Rechtsstreits teils teuer und langwierig - Viele Start-ups können sich schlecht gegen Design-Diebstahl schützen

So 25.09.22 | 07:58 Uhr | Von Tamara Keller
Symbolbild: Eine Frau zeigt den Bildschirm ihres Handys (Quelle: IMAGO/Eugenio Marongiu)
Bild: IMAGO/Eugenio Marongiu

Das eigene Produkt plötzlich bei einer anderen Firma im Verkauf: Probleme mit dem Designschutz haben nicht wenige Start-ups. Doch Rechtsstreitigkeiten können ins Geld gehen - und das ist bei kleineren Firmen oft knapp. Von Tamara Keller

Sophie Zepnik wurde vor knapp einem Jahr von einer Freundin angesprochen: "Cool, dass ihr jetzt so eine große Kooperation habt!" Zepnik versteht zuerst nicht, was ihre Freundin meint, bis sie ihr den Link zum Onlineshop eines großen Sportartikelherstellers schickt. Das Produkt, das sie dort sieht, sieht ihrem zum Verwechseln ähnlich. Zepnik produziert mit Anna Souignier seit 2018 mit ihrem Nürnberger Start-up "HejHej-mats" nachhaltige Yogamatten.

Den Namen des Sportartikelherstellers, auf dessen Link Zepnik aufmerksam gemacht wurde, möchte das Unternehmen "HejHej-mats" nicht öffentlich nennen, zu groß ist die Angst, dass das rechtliche Konsequenzen für ihr Unternehmen haben könnte. "Als ich das Produkt gesehen habe, war ich mir sicher: Das ist kein Problem. Das Produkt sah gleich aus, wir sind geschützt. Die große Firma muss mit dem Vertrieb aufhören", sagt Zepnik heute. Sie und Sougnier hatten ihre Yogamatten direkt von Anfang an mit einem Designschutz versehen, der sowohl deutschlandweit als auch in Europa gilt. Doch ihr Anwalt äußert beim Beratungsgespräch Bedenken: zu groß sei das Risiko, dass eine Imitation nicht nachgewiesen werden könne.

Start-ups berichten über Imitationen

So wie den beiden Gründerinnen geht es Start-ups oder kleinen Unternehmen oft: Das Leipziger Unternehmen Tictoys entdeckte erst gerade im September-Katalog von Tchibo eines seiner Produkte - ein Wurfringspiel. "Es heißt ja oft, deutsche Produkte würden von chinesischen Firmen kopiert, aber dass ein deutsches Unternehmen das einfach so machen kann, finde ich schon schockierend", sagt Firmengründer Matthias Meister. Knapp ein Dutzend Start-ups haben rbb24-Recherche gegenüber Fälle geschildert, bei denen ihre Designidee ihrer Ansicht nach von einem anderen Unternehmen imitiert wurde, sie aber nicht in der Lage waren mit juristischen Mitteln dagegen vorzugehen.

Die Fallschilderungen sind vielfältig und im Detail sehr unterschiedlich: Mal wurde direkt beim Produzenten das gleiche Produkt für eine andere Firma hergestellt, mal das Produkt sogar samt Online-Präsentation übernommen oder neben dem Produkt auch der Werbetext eins zu eins auf die "neue" Verpackung kopiert. Mal wurde das Produkt imitiert und kurzzeitig billiger beim Discounter oder bei Einzelhändlern verkauft.

Hohe Gerichtskosten

Doch es gibt drei Faktoren, die immer wieder als Hürde in so einem Fall auftauchen: Die Start-ups berichten immer wieder davon, dass das Kostenrisiko, sich ihr Recht zu erkämpfen, für sie zu hoch sei. Beim Designrecht ergeben sich die Prozesskosten anhand des Streitwerts. "Der liegt in so einem Fall nie unter 25.000 Euro", sagt der Patentanwalt Frank Steinbach, der an der Universität der Künste Berlin auch zu Designrecht lehrt. Unterm Strich müssten die Unternehmen mit der Wahrscheinlichkeit rechnen, dass der Streit über mehrere Instanzen geht und damit auch mit einem niedrigen fünfstelligen Betrag zwischen 10.000 und 17.000 Euro. "Kleineren Unternehmen fehlt da oft der Hebel so einen Prozess durchzuhalten", sagt Steinbach - allerdings auch mit dem Verweis, dass das deutsche Rechtssystem im europäischen Vergleich im Design- und Patentschutz eines der schnellsten und kostengünstigeren sei.

Die Rückmeldung der Start-ups, mit denen rbb24-Recherche gesprochen hat, ist eindeutig: Wenn sie dieses Risiko eingingen und die Kosten übernehmen müssten, gebe es ihr Unternehmen danach nicht mehr. Ein Problem, das die großen Unternehmen mit höheren Umsätzen und größeren Gewinnen nicht hätten. "Wir hatten damals gerade das erste Mal eigenes Personal eingestellt. Wir wollten das Risiko dann nicht eingehen und haben uns dann doch auf unsere Firma konzentriert", sagt Sophie Zepnik von HejHej-mats. In solchen Fällen kommt es nicht darauf an, ob es sich um einen Fall nach dem "David-gegen-Goliath"-Prinzip handelt: "Wenn ein Kleinunternehmen gegen ein anderes klagt, existiert das gleiche Kostenrisiko", sagt Patentanwalt Steinbach.

Viel Stress und hoher Aufwand

"Wir haben uns machtlos gefühlt", sagt Sophie Zepnik. Zudem sei ihr Unternehmen auch enorm belastet gewesen durch die Situation. "Wenn wir so einen Rechtsstreit eingehen, dann müssen wir uns auch um alles selbst kümmern. Wir haben keine eigene Rechtsabteilung, die das übernimmt", so die Gründerin.

Die Erfahrung, mit wieviel Aufwand eine juristische Auseinandersetzung verbunden ist, hat das Nürnberger Unternehmen schon in der Vergangenheit in einem anderen Fall gemacht. Dort kam es zwar zu einer außergerichtlichen Einigung, wonach die andere Firma, auch ein Start-up, sich deutlich mehr von den Hejhej-Mats abheben musste. Doch kurz darauf wechselte der Konkurrent von Hejhej-Mats seine Rechtsform: "Die alten Verträge galten dann nicht mehr. Wir hatten aber nicht die Kraft die langwierige Einigung über die Anwälte nochmal zu machen", sagt Zepnik. Auch die anderen Start-ups zögern, sich auf ein Klageverfahren einzulassen - Zeit für das aktuelle Tagesgeschäft bliebe dann nicht mehr. Patentanwalt Steinbach bestätigt, dass in so einem Fall Nerven und Kosten das Hauptproblem seien.

Der Name Tchibo fällt oft

Ein bekannter Fall, der dieses Jahr vor allem in den sozialen Medien für Aufsehen sorgte, ist "Wayks versus Tchibo". Das Berliner Start-up Wayks basiert auf der Idee eines nachhaltigen praktikablen Reiserucksacks. Via Instagram wies Wayks darauf hin, dass Tchibo nun einen Rucksack im Sortiment habe, der ihrem und ihren weiteren Produkten ziemlich ähnlich sehe. Die Gründergeschwister Leonie und Fabian Stein entdeckten daraufhin, dass es in ihrem System Bestellungen gab, die an die Adresse der Tchibo-Zentrale in Hamburg geliefert worden waren. Zum Vergleich stellte das Start-up die Werbefotos auf Instagram direkt gegenüber. Der Tenor, der User:innen-Kommentare war sich einig: Das ist eine Kopie. Tchibo teilt dazu auf Nachfrage von rbb24-Recherche mit: "Als Teil der Marktbeobachtung haben wir unter anderem auch ein Vergleichsprodukt der Firma Wayks zum Abgleich bestellt. Das ist branchenüblich." Im Laufe der Gespräche nach Erscheinen der Tchibo-Version habe man Wayks Gespräche über eine Kooperation angeboten, diese sei aber abgelehnt worden. Die beiden Wayks-Gründergeschwister hatten auf Instagram ausführlich erläutert, warum aufgrund des Verhaltens von Tchibo für sie eine Zusammenarbeit nicht in Frage kam.

Doch das ist nicht der einzige Tchibo-Fall: Ein Drittel der Unternehmen, mit denen rbb24-Recherche gesprochen hat, gibt an, ihr Produkt sei in ähnlicher Form bei Tchibo aufgetaucht. Damit konfrontiert, teilt Tchibo mit, dass die eigenen Produktentwickler und Designer ständig nach Trends suchen würden, um daraus Produkte zu entwickeln. Bei den etwa 5.000 Produkten die das Unternehmen pro Jahr anbiete, "erkennt man schnell, dass es sich bei den wenigen behaupteten Ähnlichkeiten um Einzelfälle handelt", heißt es in der Mitteilung. "Anderen Unternehmen zu schaden, indem wir deren Produkte nachahmen, entspricht nicht unserem Geschäftsprinzip", heißt es weiter.

Im aktuellen Fall des Leipziger Unternehmen Tictoys ist Firmengründer Matthias Meister vor allem über die Aufmachung verärgert: Im Tchibo-Katalog ist das Produkt unter der Überschrift "Monstermäßig nachhaltig" aufgeführt. Dabei sei der Ring aus Polypropylen und die dazugehörige Tasche aus recyceltem Polyester gefertigt. "Für mich bedient sich Tchibo an unserer Idee und betreibt zeitgleich Greenwashing. Wir haben Jahre rein investiert, um ein Produkt zu entwickeln, welches komplett nachhaltig ist." Tchibo hätte so die Möglichkeit das Produkt zehn Euro billiger zu verkaufen.

Auch Zepnik, Stein und die anderen Firmen berichten davon, dass ihre nachhaltigen Ideen in der Imitation der Konkurrenz nicht nachhaltig und das Produkt dementsprechend billiger in den Verkauf gegangen sei. Tchibo weist jedoch alle diese Vorwürfe zurück: Die Inspiration für das Produkt sei Teil der aus der Spiele-Geschichte: Der Klassiker "Game of Graces" habe die Idee geliefert und stamme aus dem 19. Jahrhundert aus Frankreich. Die Überschrift mit "Monstermäßig nachhaltig" beziehe sich auf alle aus FSC zertifizierten Holzprodukte auf der Katalogseite. Die Zusammensetzung der Einzelteile würde zudem in den Produktbeschreibungen transparent dargestellt. Und weiter schreibt Tchibo: "Wir behaupten keinesfalls, dass der Ring aus einem nachhaltigen Material besteht."

Schutz nicht beantragt - selbst schuld?

Im Fall Wayks hatte die Start-up-Firma ihr Design nie selbst geschützt und sich wegen des Kostenrisikos dagegen entschieden, juristisch gegen Tchibo vorzugehen. "Recht haben und Recht bekommen sind zwei unterschiedliche Dinge", sagt Fabian Stein. An sich ist ein Design auch ohne eingetragenes Gebrauchsmuster automatisch drei Jahre geschützt. Diese Frist war abgelaufen, als Tchibo mit dem eigenen Produkt auf den Markt ging. "Am Anfang drehst du jeden Euro dreimal um", das sei der Grund gewesen, warum Wayks sich gegen einen Schutz entschieden habe.

Die Hälfte der Unternehmen mit denen rbb24 gesprochen hat, hat - wie Wayks - sein Produkt nicht geschützt. Auch hier gaben die Unternehmen an, dass das Geld nicht dagewesen sei. Die Anmeldegebühr für den Designschutz kostet in Deutschland allerdings nur 60 Euro, für diejenigen, die den Schutz selbst einreichen. Hinzu können Kosten für die europäische Ebene und für einen Anwalt kommen, dann liegen die Kosten bei bis zu 3.500 Euro.

Experten: Rechtsschutz ausreichend

Mehrere Rechtsexperten und -expertinnen von der Deutschen Vereinigung für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht und dem Deutschen Marken- und Patentamt beteuern, dass auch aus juristischer Sicht das geistige Eigentum im Designschutz gut geschützt sei. Sie sehen eher ein Problem darin, dass das Anmelde- und Schutzsystem in der breiten Masse nicht bekannt genug sei. Dabei seien gerade kleine Unternehmen von einer einzelnen Idee abhängig. "Kosten für gewerblichen Rechtsschutz sollten von Anfang an in einem Businessplan mitbedacht werden. Juristische Kosten fallen schneller an, als man denkt", sagt Steinbach.

Designschutz zählt als ein schwächeres Schutzrecht als zum Beispiel ein Patent, weil es ohne Überprüfung eingereicht wird. Beim Patent gilt, was schwarz auf weiß auf dem eingereichten Dokument geschrieben steht. Beim Designschutz können kleine Abwandlungen an anderen Produkten reichen, um als Weiterentwicklung oder Inspiration zu zählen.

Keine Lösung in Sicht

Eine wirkliche Lösung für die hohen Risikokosten gibt es derzeit nicht. Die gängige Rechtsschutzversicherung greift beim gewerblichen Schutzrecht nicht, allerdings gibt es vereinzelt speziellere Versicherungen, für die aber natürlich auch wieder Kosten entstehen. Auf Prozesskostenhilfe haben Unternehmer oft keinen Anspruch, weil sie die Anforderungen dafür nicht erfüllen. "Ein Unternehmen hat Geld zu haben, da liegt das Problem", sagt Patentanwalt Steinbach. Er betont aber nochmals, dass wer sein Produkt nicht schützt, damit auch suggeriert, dass sein Produkt keinen Wert am Markt habe. Zudem gebe es auch noch die Möglichkeit, Risikokapitalgeber miteinzubeziehen.

Fabian Stein hingegen würde sich eine Gesetzesinitiative wünschen, die sich dafür einsetzt, dass es kleinen Unternehmen ermöglicht wird, risikoärmer Prozesse gegen große Firmen anzustrengen. Sophie Zepnik ist bis heute enttäuscht, dass der Schutz, den sie beantragt hatte, nicht ausreichend war, um sich effektiv zu wehren.

Beitrag von Tamara Keller

Nächster Artikel