Fachkräftemangel im Handwerk - Im roten Bereich
Die geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge verabschieden sich in den kommenden Jahren in Rente. Berufe wie im Bereich Sanitär, Heizung und Klimatechnik sind davon besonders betroffen - Firmen spüren die Lücke jetzt schon enorm. Von H. Daehler und S. Schneider
Das Telefon klingelt fast ununterbrochen in Efrem Turacs Büro. Der Chef hebt ab: "Firma Jesse – Turac, guten Tag", sagt er und hört zu. Am anderen Ende: Berlinerinnen und Berliner mit kaputten Heizungen, alten Gasthermen oder mit Fragen zum Thema Energie-Sparen. "OK, ich prüfe das mal", verspricht Turac und guckt auf seinen Rechner.
17 Installateure beschäftigt Turac. Auf seinem Computerbildschirm sieht er anhand kleiner roter Punkte auf einer Berlin-Karte, wo sie sich in der Stadt gerade befinden. "Ich habe noch einen Mitarbeiter dort in der Prinzregentenstraße. Das ist ein Instandsetzer, was brauchen Sie denn jetzt genau, einen Installateur?", fragt er.
Von seinen 17 Angestellten gehen sechs in den nächsten Jahren in Rente. "Das ist eine absolute Katastrophe, wir können sechs Leute aus dem Programm hier löschen. Und können die Kunden nicht mehr bedienen. Das ist für einen Kunden eine knallharte Absage", sagt er.
Zahl der Stellen um mehr als neun Prozent gesunken
Im Sanitär- und Heizungsbau ist die Zahl der Beschäftigten binnen zehn Jahren um 9,4 Prozent geschrumpft, hat das Statistische Bundesamt errechnet. Stellen konnten nicht wieder besetzt werden. "Die Berufe, bei denen wir im Moment von großen Engpässen wissen, sind die Heizungsinstallateure und weitere Elektroberufe - generell die handwerklichen Berufe. Es ist sehr schwierig, für diese Jobs Personal zu finden", bestätigt Holger Seibert, Arbeitsmarktforscher am Institut für Arbeitsmarkts- und Berufsforschung (IAB).
In Turacs Branche heißt das: Mehr als 43 Prozent der Gebäudetechniker in Berlin, zu denen auch der Beruf Anlagenmechaniker Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik gehört, sind heute 55 Jahre alt oder älter. Der größte Teil dieser Menschen geht in den kommenden zehn Jahren in Rente. Sie gehören zu den sogenannten Babyboomer-Jahrgängen, den geburtenstärksten, die es in Deutschland je gab. Dazu kommt: Es gibt vergleichsweise wenig Nachwuchs in diesen Berufen. Das sieht man auch in Steglitz.
"Es kommt nichts nach"
Azubis hat Efrem Turac derzeit nur einen. Der ist auch noch krank. Zwei Ausbildungsverträge für die Zukunft hat er aber unterschrieben. Das ist zwar ein Lichtblick, wird aber bei weitem nicht reichen, sagt er. Das ist auch Heinz-Joachim Reinsch klar, wie der erzählt. Der Anlagenmechaniker, silbergrauer Schnauzbart, die Brille hoch in den Schopf geschoben, arbeitet seit Jahrzehnten in der Firma Jesse. Bald verabschiedet er sich in den Ruhestand. "Es kommt nichts nach, das ist das große Problem. Wer soll denn dann in 20 Jahren die Heizung warten und reparieren? Wer?" fragt Reinsch.
Die SHK-Innung, das steht für Sanitär/Heizung/Klima, schätzt, dass ein Drittel aller Azubi-Stellen in den Berliner Betrieben nicht besetzt ist. Man wisse um das Problem und versuche schon seit Jahren gegenzusteuern. "Schulbesuche, Ausbildungsbörsen, wir veranstalten selber einen Berufetag, wir machen ein Klima-Camp für junge Leute, um die zu interessieren, wir sind medial überall vertreten. Social Media ist ein immer wichtigeres Thema", sagt Andreas Koch-Martin, der Geschäftsführer der Innung.
Das Image wandelt sich langsamer als die Realität
Sehr erfolgreich sei ein spezielles Ausbildungsprogramm für Geflüchtete, sagt Koch-Martin. "Der Anteil an Geflüchteten bei den Auszubildenden beträgt bei uns etwa acht Prozent, das ist deutlich höher als in allen anderen Bereichen. Wir stellen auch fest, dass die Abbruchquote bei Geflüchteten spürbar geringer sind als bei den anderen Auszubildenden", erklärt der Innungschef.
Ein großes Problem sei aber noch immer das Image, obwohl sich der Beruf stark gewandelt habe. Aus dem umgangssprachlich derben "Gas-Wasser-Scheisse"-Beruf sei ein hochspannender, moderner und auch anspruchsvoller "Klima-Beruf" geworden. Es gehe um energieeffiziente Gebäudetechnik, niedrige Heizkosten, Installation von Wärmepumpen und Solaranlagen - alles Themen, die gerade wegen der Energiekrise enorm gefragt sind und mit denen sich gutes Geld verdienen lässt, wenn man sein Handwerk beherrscht.
Ausbildungsreport: Mehr als ein Drittel ohne betrieblichen Ausbildungsplan
Zieht man den Fokus weiter weg vom Betrieb in Steglitz, entsteht aber auch der Eindruck: Offensichtlich sind viele Ausbildungen im Vergleich nicht attraktiv genug. Das liegt nicht selten an der Qualität der Ausbildungsstellen selbst. Der DGB befragt regelmäßig Azubis, wie diese ihre Ausbildung bewerten - anonym, damit sie keine Angst vor Konsequenzen haben brauchen. Wie der aktuelle Ausbildungsreport zeigt, würden im ersten Ausbildungsjahr noch mehr als 71 Prozent der befragten Azubis ihre Ausbildung weiterempfehlen - im vierten Jahr waren es nur noch 48,6 Prozent [jugend.dgb.de].
Knapp zwölf Prozent der Befragten gaben an, ihr Ausbilder sei selten oder nie am Ausbildungsplatz zu finden, der höchste Wert seit 14 Jahren. Und: Mehr als ein Drittel gab an, keinen betrieblichen Ausbildungsplan zu haben, obwohl der gesetzlich vorgeschrieben ist. Die Azubis bekamen demzufolge nicht gesagt, wie ihre Ausbildung ablaufen soll und was die Lerninhalte sind. So killt man Motivation.
15- bis 20-mal am Tag Absagen
Bei der Firma Jesse in Steglitz kommen die Installateure nach Feierabend in die Werkstatt zurück. An der Decke hängen grellweiße Leuchtstoffröhren, auf den Tischen steht viel Werkzeug, an der Wand hängen zwei Kalender mit Bildern von nackten Frauen. Die Männer sitzen im Blaumann am Holztisch und diskutieren, woran es wohl liegen könnte, dass so wenig junge Menschen den Beruf als Anlagenmechaniker machen möchten. "Man macht sich eben manchmal auch ein bisschen dreckig. Und die Löhne sind auch nicht so doll natürlich", sagt einer.
Auffällig ist: Der Beruf wird weiterhin fast ausschließlich von Männern gewählt. Nur jede 75. Ausbildungsstelle wurde 2021 von einer Frau besetzt. Auch da gibt es also noch Potential für Fachkräfte. Der Chef Efrem Turac sagt, er würde sich freuen, wenn mehr weibliche Ausbildende den Beruf ergreifen würden.
Imagepflege bei Studierenden
Turac steht vor dem Tisch in der Werkstatt und bringt die aus seiner Sicht wichtigste Idee zur Sprache, wie man mehr Nachwuchs für den Job begeistern könnte: Durch mehr Anerkennung für das Handwerk. "Eigentlich ist das ein geiler Beruf, man muss die Leute einfach wegholen von der Uni. Weil diese Leute, die da in der Uni einfach unnütz sitzen, die brauchen wir", sagt Turac. Wie genau er diese Leute überzeugen kann, sagt er dabei nicht. "Da gibts ja so 'nen komischen Spruch", sagt der Anlagenveteran Reinsch, der neben Turac steht. "Der 30-jährige arbeitslose Architekt wartet zuhause sechs Monate auf den 70-jährigen Installateur, damit der kommt und seine Heizung repariert. Darüber sollte man mal nachdenken." Er stützt sich mit seiner rechten Faust auf den Tisch.
Immerhin: Für den nächsten Tag sieht es für Efrem Turac und sein Team gut aus. Alle Aufträge können wohl ausgeführt werden - also die geplanten. Neukunden muss Turac oft absagen, sagt er. 15- bis 20-mal am Tag.
Sendung: rbb24 Abendschau, 26.10.2022, 19:30 Uhr