Klimaschutz im Bausektor - Berliner Bündnis fordert Stopp von Gebäude-Abrissen - Umbau soll Standard werden
Abreißen und neu bauen – das ist immer noch das Credo vieler Bauherren. Ein Berliner Bündnis aus Architekten und Umweltschützern schlägt nun einen Aktionsplan dagegen vor. Begründung: Abriss schadet dem Klima und verschwendet Ressourcen. Von U. Barthel und T. Mandalka
- Große Teile des deutschen Abfalls stammt aus dem Bausektor
- Berliner Initiative kritisiert Abrisse als umwelt- und klimaschädlich
- Sie fordert mehr Umbau und Genehmigungen für Abrisse
- Berliner Senat will Investoren jedoch frei entscheiden lassen
Wie ein Dinosaurier sieht der Greifer der Abbruchraupe aus, wenn er sich durch die oberen Etagen des Gebäudeskeletts an der Urania in Berlin-Schöneberg frisst. Immer wieder fallen Betonteile auf einen großen Schutthaufen. Es ist staubig und heiß. In ein paar Wochen wird von dem Bürohaus, in dem früher der Landesrechnungshof saß, nichts mehr übrig sein. Das Land Berlin plant an der Stelle einen neuen Gebäudekomplex für Wohnungen, Gewerbe und Verwaltung. Bis zuletzt hatte eine Initiative für den Erhalt des Hauses demonstriert. Ohne Erfolg.
"Es wurde nie darüber nachgedacht, dass man das Gebäude auch erhalten könnte", kritisiert Eike Roswag-Klinge, der zu den Erstunterzeichnern einer Petition für den Erhalt des Bürohauses gehört. Er ist Architekt und Professor an der Technischen Universität (TU) Berlin. Roswag-Klinge geht davon aus, dass man den Turm hätte umbauen können – in ein Wohnhaus. Doch das sei nie ernsthaft geprüft worden. "Dabei ist das locker möglich", sagt der Architekt im rbb24 Recherche-Interview.
Die Initiatoren der Petition hatten sogar eine Studie vorgelegt, die zeigt, dass ein Umbau möglich und sinnvoll ist. Trotzdem ließ das Land Berlin das Haus abreißen. Begründung: das Gebäude sei über die Maßen schadstoffbelastet gewesen. Die Schadstoffe aber, so die Abriss-Gegner, hätte man auch verkapseln können.
Bündnis fordert Abriss-Stopp
Roswag-Klinge gehört mit dem "Natural Building Lab" der TU Berlin zu einem Berliner Bündnis, das sich "Klimastadt 2030" nennt. Ziel der Initiatoren: Sie wollen den Abriss von Gebäuden verhindern, die umgebaut und umgenutzt werden könnten. Zu den Mitstreitern gehören Architekten und Organisationen wie der Mieterverein, der Umweltschutzverband BUND sowie verschiedene Bürgerinitiativen.
"Klimastadt 2030" geht jetzt mit einem Aktionsplan für den Umbau von Gebäuden an die Öffentlichkeit. Die wichtigsten Forderungen lauten: Abriss-Moratorium, Leerstandsverbot, Umwandlung von Gewerbebauten in Wohnbauten, eine Bepreisung der Umweltfolgen für Abrisse.
"Alles, was die Stadt sich vorstellen könnte, abzureißen, sollte man erstmal bestehen lassen", sagt Professor Roswag-Klinge. "Man sollte immer die Nachnutzung prüfen und Nutzungen finden, die zu dem Gebäude passen." Seine Begründung: Der Abriss ist von Gebäuden ist immer umweltschädlich, weil er mit Lärm, Staub und Dreck verbunden ist und das Klima belastet. Mehr als die Hälfte des Abfalls in Deutschland geht auf die Baubranche zurück, dazu gehören auch die Gebäudeabrisse. Außerdem ist der Bausektor nach Berechnungen des Wirtschaftsberatungsunternehmens Prognos für mindestens ein Viertel der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland verantwortlich.
Durch den Umbau von und neue Nutzungskonzepte für Gebäude, die in ihrer bestehenden Form – wie der Urania-Turm – nicht mehr benötigt werden, ließen sich die Emissionen deutlich reduzieren, meinen die Initiatoren der "Klimastadt 2030" - nicht zuletzt, weil bei einem Umbau weniger Baumaterial vernichtet und weniger energieintensive Materialien wie Zement, Stahl und Glas benötigt werden. "Im Rohbau eines Gebäudes sind ca. 80 Prozent der Ressourcen verbaut. Das sind Unmengen an Beton, Sand und Stahl", erklärt der Architekt. "Wenn ich die erhalten kann, dann ist das schon eine umweltschützende Maßnahme." Und es sei in der Gesamtrechnung inklusive der Umweltkosten fast immer die kostengünstigere Variante.
Berliner Senat will keine Überregulierung
Das Berliner Bündnis ist mit seinen Vorschlägen nicht allein. Schon 2022 forderte die bundesweite "Initiative Abrissmoratorium" in einem offenen Brief an Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) eine Umkehrung der Prioritäten: Erhalt und Sanierung von Gebäuden sollten Standard werden, Abriss und Neubau die Ausnahme.
In der Politik finden die Forderungen durchaus Gehör. Der Berliner Senat will laut Koalitionsvertrag "verstärkt Gebäude erhalten und umnutzen". Auch die Senatsbaudirektorin Petra Kahlfeldt sagt im Interview mit rbb24 Recherche: "Da rennen Sie bei mir alle Türen ein." Die Berliner Baupolitiker würden sich heute viel kritischer ansehen, welchen Wert Bestandsgebäude haben und wie man sie beispielsweise durch Umbau und Aufstockung weiter nutzen könne, sagt sie.
Die reinen Zahlen zeigen jedoch etwas anderes: Von 2002 bis 2012 wurden in der Stadt insgesamt 2.994 Wohn- und Nichtwohngebäude abgerissen. Von 2013 bis 2023 waren es 2.933, geändert hat sich also kaum etwas.
Schadstoffbelastung als Abriss-Argument
Allerdings könne es Gründe geben, die eine Umnutzung nicht ermöglichen, sagt die Senatsbaudirektorin. Im Falle des Gebäudes an der Urania sei es eben die hohe PCB-Belastung gewesen. Als weiteres Beispiel führt sie das frühere Landeslabor am Berliner Hauptbahnhof an: Dieses sei so stark asbestverseucht, dass nur noch ein Abriss sinnvoll sei.
Es seien aber auch wirtschaftliche Gründe, sagt Kahlfeldt, die Investoren Häuser aus den 1960er und 70er Jahren abreißen lassen. Eine Genehmigung ist dafür bisher nicht nötig - nur der Nachweis, dass Ersatzwohnraum geschaffen wird. Investoren können dann auf den Grundstücken oft mehr Wohnungen bauen, als zuvor dort im Bestand waren. Diese Wohnungen sind dann in der Regel teurer und werfen mehr Rendite ab. Auch deshalb fordert das Bündnis eine Genehmigungspflicht für den Abriss von Gebäuden.
Die Senatsbaudirektorin glaubt jedoch, dass das nicht nötig ist. Man könne an die Eigenverantwortlichkeit der Bauherren appellieren, die mittlerweile sehr viel sorgsamer mit dem Bestand umgehen würden, so ihre Ansicht. In den Bauvorschriften gebe es ohnehin schon 26.000 Richtlinien und Normen - man müsse nicht alles reglementieren, sondern könne sich auf die Verantwortung von denkenden und entscheidenden Personen verlassen, zumal es sehr oft um die sehr private Gestaltung von Lebensräumen gehe.
Früheres Stasi-Krankenhaus in Buch vor Abriss gerettet
In Berlin-Buch hat sich die Senatsverwaltung überzeugen lassen, dass es auch ohne Abriss geht. Dort ist ein neues Wohnquartier geplant. Doch das frühere Stasi-Krankenhaus, das seit 2007 leer steht, war den Neubauten im Weg und sollte abgerissen werden. Das Architektur-Büro von Peter Tschada und Anna Weber legten eine Machbarkeitsstudie für die Umnutzung des Gebäudes vor: 600 Wohnungen und Ateliers könnte man ihrer Ansicht nach in dem Haus unterbringen. Außerdem sei der Umbau auch noch kostengünstiger. Nach ihren Berechnungen würde der Umbau 15 Millionen Euro kosten, für Abriss und Neubau seien dagegen 25 Millionen Euro nötig. Mit diesen Argumenten wurde der Abriss abgewendet. Die Howoge plant jetzt den Umbau.
Doch das frühere DDR-Regierungskrankenhaus, das in unmittelbarer Nachbarschaft steht, ist noch immer vom Abriss bedroht. Auch dieses Gebäude steht seit 2007 leer und verfällt. Hier ist noch nicht entschieden, ob es auch umgenutzt werden soll.
Peter Tschada vermisst im Handeln des Senats eine klare Linie. "Wobei die Linie eigentlich exakt vorgegeben ist: Das Ziel ist die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens. 40 Prozent des gesamten weltweiten CO2-Ausstoßes kommt aus dem Bau und Betrieb der Gebäude. Das ist die größte Stellschraube, die wir haben.”
Berlin muss gegen Klimakrise handeln
Vertrauen in die Eigenverantwortlichkeit reicht nicht – so sieht man es jedenfalls beim Bündnis "Klimastadt 2030". Zu massiv seien die Abrissfolgen, nicht nur für Klima und Umwelt, sondern auch im Hinblick auf die damit regelmäßig einhergehende soziale Vertreibung. Trotzdem handele der Senat wie eh und je und habe in den vergangenen acht Jahren 24 Schulen abgerissen: "Alles, was nicht so geradesteht, wird weggeräumt und neu gebaut", sagt Roswag-Klinge. Aber die Zeiten würden sich ändern: Seiner Meinung nach ist die Klimakrise inzwischen eines der wichtigsten Menschheitsprobleme. Daraus müsse sich das Handeln der Stadt ableiten.
Sendung: rbb24 Inforadio, 19.07.2024, 13:05 Uhr