"Köpfe des Wandels" - Die Lausitz zwischen Enttäuschung und Aufbruch

Die Lausitz erlebt einen historischen Umbruch: Milliarden-Investitionen und Innovationen sollen die Region in die Zukunft führen. Doch viele Menschen spüren davon wenig. Warum tiefes Misstrauen bleibt - und welche Chancen es gibt.
Sie ist wieder da. Die DDR scheint nach der letzten Bundestagswahl auferstanden aus Wahlergebnissen. Der Osten zeigt sich nahezu einheitlich in tiefem Blau: In Brandenburg hat die AfD knapp ein Drittel bei den Zweitstimmen eingesammelt.
Im Wahlkreis Cottbus-Spree-Neiße waren es gar 39 Prozent – in einer Region, die für viele als eine der spannendsten in Deutschland gilt. Hier geht was: Mehr als 10 Milliarden Euro pumpt der Bund bis 2038 in die brandenburgische Lausitz, etwa die Hälfte davon entfällt auf Projekte, die zwischen Guben, Spremberg und Cottbus den Ausstieg aus der Braunkohle mit dem Einstieg in die Zukunft verbinden sollen.
Video: "Köpfe des Wandels" - Raj Kollmorgen, Transformationsforscher
Umbruchprozesse in der Lausitz führten zu Enttäuschung
Nur kommt davon offenbar kaum etwas an bei den Menschen, die hier leben. Dankbarkeit? Fehlanzeige. Und das ist auch kein Wunder, sagt der Transformationsforscher Raj Kollmorgen von der Hochschule Zittau-Görlitz im sächsischen Teil der Lausitz, mit Blick auf die Erfahrungen der letzten 35 Jahre: "Diese unglaubliche Verdichtung der Umbruchprozesse und Zumutungen führte bei vielen Menschen zu einer tiefen Enttäuschung, die nicht der besonderen Zeit oder speziellen Systemen zugeordnet werden – sondern dem System."
Kollmorgen sieht da auch eine Mitverantwortung der politischen Akteure. In der Nachwendezeit sei es das Versprechen von den "blühenden Landschaften" gewesen und in der jüngsten Zeit die Beschwichtigung, von den komplexen Veränderungen etwa der Energiewende, werde der Bürger kaum etwas spüren. "In Wahlkämpfen erleben wir, dass Politiker weiter das Blaue vom Himmel holen. Und wenn die Wahlen dann vorbei sind, muss man den Schalter umlegen, weil man feststellt, dass es eben so einfach doch nicht geht. Und dann sind wir in der nächsten Enttäuschungskurve."
Zusammenbruch nach der Wende war unausweichlich
Die Lausitz ist seit 150 Jahren Braunkohlerevier. Dieser Industriezweig gilt noch heute als industrielles Rückgrat der Region. In der DDR bis zur Schmerzgrenze ausgedehnt, die Anlagen auf Verschleiß gefahren, ohne Rücksicht auf Umweltschutz oder Wirtschaftlichkeit, war der Zusammenbruch nach der Wende unausweichlich.
Reihenweise schlossen Tagebaue und Kraftwerke. Von 79.016 Beschäftigten im Wendejahr 1989 sank die Zahl der Kumpel auf einen Tiefstand von 7.081 im Jahr 2000, so gibt es der Deutsche Braunkohlen-Industrie-Verein an.
Dazu brach die Textilindustrie nahezu vollständig zusammen. Massenarbeitslosigkeit und Abwanderung bestimmten die 1990er Jahre. Das Urvertrauen in den Staat wurde in vielen Familien generationenübergreifend erschüttert, so Kollmorgen. "Dieser massive Verlust der Arbeitsplätze, da ist doch klar, dass das die Menschen hochgradig verunsichern muss."
Video: "Köpfe des Wandels" - Walter Karge, ehemaliger Leiter des LMBV
Früher gab es in der Lausitz Arbeit und Perspektive
Walter Karge hat Mitte der 1950er Jahre mit einer Lehre in der Braunkohle begonnen. Sein Vater war Friseur, Karge wollte was anderes machen. "Das war eine tolle Zeit, viele, vor allem junge Leute, sind in die Lausitz gekommen. Hier gab es Arbeit, Wohnungen, Perspektive", sagt er.
Karge hat später den Tagebau Meuro mitbegründet, heute der Großräschener See. Und er kennt noch den Tagebau Niemtsch, aus dem vor über 50 Jahren der Senftenberger See wurde. "Wenn ich am Ufer stehe", sagt der 84 Jahre alte Senftenberger lächelnd, "dann höre ich immer noch die Eimerketten der Bagger quietschen". Karge hat sich hochgearbeitet, nach der Wende leitete er den Länderbereich Brandenburg der Lausitzer und Mitteldeutschen Bergbauverwaltungsgesellschaft, kurz LMBV.
Die Abwicklung der Kohleindustrie
Nach zähem Ringen hatten sich etablierte westdeutsche Konzerne die profitablen Bereiche der einstigen DDR-Kohlekombinate gesichert: den Stromversorger Veag und die Laubag aus der später Vattenfall wurde und heute die Leag. Das war einer der lukrativsten Deals, den die damalige Treuhandgesellschaft bei der Privatisierung des industriellen DDR-Erbes geschlossen hatte.
Der Großteil der überdimensionierten Kohleindustrie allerdings wurde abgewickelt, stillgelegt, gesprengt und zurückgebaut. "Das war für die Menschen hier eine Katastrophe. Anders kann man das nicht sagen", so Karge. "Auch meine Familie ist betroffen, meine Töchter sind alle verschwunden, also wohnen im Westen, auch die Enkel sind weg. Sie haben alle versucht, von hier so weit wie möglich wegzukommen. Und das betrifft ganz viele Familien, das ist für die Lausitz auch in der Langzeitwirkung ein harter Schlag gewesen."
Abwickeln und die Altbergbauwunden heilen – dafür ist bis heute die LMBV zuständig, eine bundeseigene Gesellschaft, deren Arbeit über ein Bund-Länder-Abkommen finanziert wird. Ein langwieriges Geschäft, vor allem die Sanierung des über Jahrzehnte aus den Fugen geratenen Wasserhaushalts. Allein das Grundwasserdefizit in der Lausitz betrug noch in den 1990er Jahren die unvorstellbare Größe von etwa 10 Milliarden Kubikmetern.
Video: "Köpfe des Wandels" - Gesine Grande, BTU-Präsidentin
Die BTU in Cottbus bringt neuen Aufschwung
Wenn dagegen Gesine Grande vom Strukturwandel spricht, dann leuchten ihre Augen. "Wir ziehen mit unseren Forschungen mittlerweile Interessenten aus aller Welt her, weil es hier so spannend ist", sagt die Präsidentin der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU).
Seit 1948 hat Cottbus eine Hochschule, aber so wichtig wie heute war die BTU noch nie. Im Strukturwandel soll sie einer der treibenden Motoren sein, ein großer Rucksack für eine kleine Universität ohne viel Anziehungskraft am Rande der Republik. Doch nachdem sie in einem umstrittenen Verfahren mit der Fachhochschule Lausitz zu einem Universitäts-Hybriden verschmolzen worden war, ging das Interesse zunächst rapide nach unten. Die Studentenzahlen sanken über Jahre. Erst jetzt gelinge es dank vieler neuer Forschungsfelder den Trend langsam umzukehren, sagt Grande.
Nun tüfteln sie hier über grünem Kerosin, hybrid-elektrischem Fliegen, CO2-armen Industrieprozessen, nachhaltigen Produktionsmethoden. Die Liste ist lang, auch die Stadt Cottbus wächst nach 30 Jahren Niedergang wieder. Plötzlich muss gebaut statt abgerissen werden, ein Paradigmenwechsel auch in den Köpfen für viele Einwohner.
Die große Angst um Arbeitsplätze und neuerliche Abwanderungsbewegungen hat sich längst gedreht. Bahnwerk, Universitätsmedizin, Science Park, Neugründungen, Institute - alle haben einen enormen Arbeitskräfte-Hunger. Die zentrale Frage ist längst nicht mehr Ab- sondern Zuwanderung.
Eine Studie der BTU hat errechnet, dass der Lausitz in den nächsten Jahren bis zu 60.000 Fachkräfte fehlen werden. Eine Region boomt – und viele merken davon nichts. "Wir müssen auch respektieren, dass es viele Menschen gibt, die sich nicht für Fortschritt und Innovation interessieren und möglicherweise eine eher negative Haltung dazu haben. Viele wollen einfach in Ruhe gelassen werden", sagt Gesine Grande.
Wie es mit der Lausitz weitergeht? Der Soziologe Raj Kollmorgen sagt: "Das liegt an uns, an der Zivilgesellschaft. So eine Transformation, so ein Wandel, das geht nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit. Aber wir müssen uns von der Jammerkultur verabschieden und die Chancen wahrnehmen und auch ein Scheitern in Kauf nehmen. Das ist nicht tragisch, dann fangen wir halt wieder neu an."
Ausführliche Interviews mit Gesine Grande, Walter Karge und Raj Kollmorgen in der Reihe "Köpfe des Wandels" im rbb-Fernsehen, der ARD-Mediathek und hier bei rbb24.de.