Equal Pay Day 2025 - 66 Tage arbeiten Frauen im Vergleich zu Männern unbezahlt

Die ersten 66 Tage des Jahres 2025 haben Frauen quasi unbezahlt gearbeitet - bis zum Equal Pay Day am 7. März. Der Tag zeigt symbolisch: Die Lohnlücke schließt sich nur langsam. Warum Frauen noch immer benachteiligt sind und was sich ändern muss. Von Jenny Barke
Das erste Gespräch mit der Berlinerin Franziska Lehmann* verläuft beispielhaft für ihren aktuellen Alltag. Ihr 14 Monate altes Kind schreit im Hintergrund, sie bittet ihren Partner um Hilfe, dann geht das Telefonat weiter. "Noch teilen wir uns die Care-Arbeit 50:50", sagt die 44-Jährige. Beiden war wichtig, sich gemeinsam Elternzeit zu nehmen, die gemeinsamen Monate seien ein Privileg. Doch nun stehen sie vor einem Dilemma: Wer arbeitet wieder wie viel, wie lang soll ihr Kind in die Kita?
Franziska ist nicht ihr richtiger Name, sie will anonym bleiben. Die Suche nach einer Frau, die offen über ihren Beruf, Familie und Gehalt spricht, war schwierig. Offenbar ist geschlechtsspezifische Lohnungleichheit auch 2025 noch ein Tabu. Dabei zeigen Zahlen: Das ist kein selbstverschuldetes, sondern ein strukturelles Problem.
Das zeigt der Gender-Pay-Gap, also die geschlechtsspezifische Lohnlücke. Diese wird jährlich neu bemessen und in bereinigter und unbereinigter Form veröffentlicht. Die unbereinigte Lohnlücke zeigt die durchschnittliche Brutto-Verdienstlücke zwischen Frauen und Männern. Die lag laut Statistischem Bundesamt 2024 bei 16 Prozent. Im Jahr 2023, auf die sich der diesjährige Tag bezieht, lag sie bei 18 Prozent, das sind 66 von 365 Tagen. Beim bereinigten Gender-Pay-Gap werden strukturelle Unterschiede und Zugangshürden von Frauen auf dem Arbeitsmarkt herausgerechnet. Er ist, bereinigt, kleiner: 2023 lag er bei sechs Prozent.
Lohnungleichheit beginnt früh
Die finanzielle Benachteiligung beginnt bei Franziska weit vor der Geburt ihres Kindes. Sie selbst, Tochter einer alleinerziehenden Mutter, muss früh selbst im Haushalt Verantwortung übernehmen. Das Geld ist knapp, die Zeit für die Schule ebenfalls. Sie wählt eine Berufsausbildung mit Beschäftigungsgarantie: Hotelfachfrau. "Zehn Jahre prekäre Verhältnisse: wenig Geld, viel Schichtarbeit. Ich bin davon krank geworden."
Gehalt verhandeln? Kam ihr nie in den Sinn. "Ich glaube, das war auch einfach weibliche Sozialisation, ich bin nett, angepasst und höflich - und dankbar, dass ich diesen Job überhaupt habe." Mit 30 will und kann sie nicht mehr und entscheidet sich doch für ein Studium der Sozialen Arbeit. "Da habe ich erst eine Sprache dafür gefunden, was soziale Ungleichheit und Benachteiligung mit einem macht."
30 Stunden Lohn für 40 Stunden Arbeit
Wie oft in der Sozialen Arbeit üblich, arbeitete sie Teilzeit. 30 Stunden, also 75 Prozent. Faktisch sind es jedoch oft 40 Stunden, bezahlt für 30. "Das ist ganz spannend, weil an dem Punkt eine Lähmung einsetzt. Ich sehe die strukturelle Ungleichheit und laufe doch immer wieder gegen eine Wand." Noch immer sind in Deutschland Frauen in sozialen Berufen deutlich stärker vertreten als Männer – ihr Anteil macht laut Daten des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) [was-verdient-die-frau.de] über 70 Prozent aus.
Doch: Dass Frauen soziale Berufe wählen, ist grundsätzlich nicht das Problem. Sondern, dass sie strukturell schlechter bezahlt werden, kritisiert Uta Zech, Leiterin der Equal Pay Day Kampagne. Und das trotz gleichwertiger Arbeiten im Vergleich mit eher männlich dominierten Berufsfeldern.
Vorschullehrerin vs. Elektroingenieur
Deutlich macht das der Comparable-Worth-Index von der Hans-Böckler-Stiftung [boeckler.de]. Er definiert vier geschlechtsneutrale Kriterien, nach der Arbeit beurteilt wird: Wissen und Können, psychosoziale Anforderungen wie Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit, körperliche Anstrengungen, zu denen auch die Staub- und Lärmbelästigung zählt, und der Grad der Verantwortung.
Laut Index müsste eine Vorschullehrerin genauso viel verdienen wie ein Elektroingenieur. Aber die Vorschullehrerin verdient durchschnittlich nur 18, der Elektroingenieur 30 Euro pro Stunde. "Die Zahlen sind zwar schon von 2018. Aber an der Differenz hat sich bis heute kaum etwas geändert", so Zech.
Individuelle Lösungen für strukturelle Probleme
Franziskas finanzielle Benachteiligung ist strukturell, gekümmert hat sie sich dann individuell. Während ihrer Elternzeit besucht sie einen Finanzworkshop von "Ma-Fin". Coaching-Angebote wie dieses gibt es viele, ob von der Berliner NGO EAF, Gewerkschaften wie dem DGB, dem Berliner Jobcenter oder Alleinerziehungsvereinen. Andere private Anbieter geben Youtube-Kurse an, Podcasts wie "Frau verhandelt" oder "Moneypenny" geben Tipps aufs Ohr.
"Ich habe bei dem Kurs meine Glaubenssätze kennengelernt und hinterfragt, zum Beispiel 'Ich kann gar nicht reich werden' oder 'Arbeit muss hart sein'." Dass sie reich wird, glaubt sie immer noch nicht. Aber zumindest hat sie gelernt, sich abzusichern und ihr Geld anzulegen. "Ich traue mich jetzt an ETF-Pläne, damit ich was sparen kann und meiner Familie und meinem Kind in Zukunft eine andere Sicherheit geben kann."
"Altersarmut ist weiblich"
Das erste Kind: Immer noch oft ein Bruch in der Erwerbsbiografie – für Frauen. Eine Studie des DIW [destatis.de] zeigt: Während die Lohnlücke zwischen Männern und Frauen bei 25- bis 30-Jährigen bei 8 Prozent liegt, steigt sie mit der Familiengründung auf 28 Prozent an.
Frauen übernehmen noch immer 44 Prozent mehr unbezahlte Care-Arbeit als Männer, sagt die Leiterin der Equal Pay Day Kampagne Zech: "Dafür unterbrechen oder reduzieren Frauen ihre Erwerbsarbeit und arbeiten fast dreimal so häufig in Teilzeit wie Männer. Teilzeit ist oft schlechter vergütet als Vollzeit, im Durchschnitt 19 Prozent weniger pro Stunde." Die Folge: Die Lohnlücke könne das gesamte Erwerbsleben nicht mehr aufgeholt werden. "Altersarmut ist weiblich", sagt Zech.
Ehe als Vertrag mit dem Staat?
Auch wenn Franziska sich bisher die Elternzeit paritätisch mit ihrem Partner geteilt hat: sie plant den Wiedereinstieg in den Job ebenfalls in Teilzeit. Als Sozialarbeiterin kümmert sie sich – wie viele Frauen – auch beruflich um andere Menschen. Sie selbst hat die Diskriminierung einer Kollegin erlebt: "Bei uns sollte eine Psychologin nach der Elternzeit wiedereingestellt werden. Meine Kollegen haben nach dem Vorstellungsgespräch gesagt: 'Die können wir nicht einstellen, sie hat ein Kind, sie wird oft ausfallen'."
Die 44-Jährige befürchtet, nun bei der Jobsuche ebenfalls benachteiligt zu werden. Ganz weg ist die Angst trotz Coaching nicht. "Ich wünsche mir vielleicht utopische Dinge, aber die Vereinbarkeit von Kinderbetreuung und Beruf muss doch möglich sein", sagt Franziska. Heiraten ist für sie keine Option der Absicherung. "Wir haben im Kurs gelernt: Unterschreibe keinen Vertrag, den du nicht verstanden hast. Und genau das ist die Ehe – ein Vertrag, den ich nicht nur mit meinem Partner, sondern auch mit dem Staat eingehe."
Politik in der Pflicht
Das Ehegattensplitting setzt falsche Anreize, sagt Uta Zech von der Equal Pay Day Kampagne. Sie fordert dessen Abschaffung. Außerdem wünscht sie sich, dass Deutschland die EU-Richtlinie der Entgelttransparenz umsetzt. Damit würden Arbeitgeber verpflichtet, Gehaltsstrukturen von Anfang an offen darzulegen. Bis Juni 2026 muss die Richtlinie umgesetzt werden.
"Insgesamt wünsche ich mir, dass die Gleichstellung von den politisch Beteiligten nicht mehr als Sahnehäubchen gesehen wird, so nach dem Motto: Wir haben so viele Krisen, wir können uns jetzt nicht auch noch um die Gleichstellung kümmern." Stattdessen müsse klar werden, dass Gleichstellung ein Teil der Lösung von ganz vielen Problemen sei, wie dem Fachkräftemangel.
Den Equal Pay Day gibt es seit 2009. Er findet jährlich an dem Tag statt, ab dem Frauen auch für ihre Lohnarbeit bezahlt werden. 2009 fand der Aktionstag noch am 20. März statt. Die Lücke wird also kleiner, liegt aktuell bei 66 Tagen. Doch bis Frauen auch ab dem 1. Januar bezahlt werden, so wie Männer, dauert es wohl noch.
* Name von der Redaktion geändert
Hinweis: Wir haben nach der Veröffentlichung einen Absatz unserer Autorin ergänzt, der den Unterschied zwischen bereinigtem und unbereinigtem Gender-Pay-Gap erklärt.
Sendung: rbb24 Inforadio, 07.03.2025, 06:00 Uhr