Interview | Arbeiten im Home-Office - "Nicht einmal Investment-Banker binden sich vor der Videokonferenz einen Schlips um"

Di 17.03.20 | 11:03 Uhr | Von Efthymis Angeloudis
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Homeoffice: Ein Mann sitzt Zuhause am Tisch und arbeitet am Laptop. (Quelle: dpa/KEYSTONE)
Bild: dpa/KEYSTONE

Wegen der Ausbreitung des Coronavirus arbeiten plötzlich viele Arbeitnehmer im Home Office. Ist das eine Chance auf die Digitale Transformation oder nur ein notwendiges Ärgernis? Start-up-Gründer Christoph Räthke beantwortet die wichtigsten Fragen.

Was Sie jetzt wissen müssen

Das Coronavirus macht auch nicht vor dem Arbeitsalltag halt. Auf der ganzen Welt verrichten momentan immer mehr Arbeitnehmer ihren Job von zuhause, während immer mehr Firmen gewungen sind, alteingessenene Strukturen gegen neue Arten zu arbeiten auszutauschen. Ändert sich gerade unsere Arbeitswelt nachhaltig? Und wie muss man sich verhalten, um nicht in der Einöde des Home Office einzugehen?

rbb|24 hat dazu mit Unternehmer und Gründer Christoph Räthke über seine Erfahrungen im Home Office gesprochen - und über den Umgang mit peinlichen Ausrutschern.

Herr Räthke, erst einmal das Wichtigste vorweg. Ist es ok, im Pyjama zu arbeiten?

Christoph Rätke: Ja, denn Home Office darf informell sein. Ich vermute, dass nicht einmal Investment-Banker sich vor der Videokonferenz im Wohnzimmer noch den Schlips umbinden. Aber auch unabhängig davon: Wie viele Berufe außerhalb von Polizei und Feuerwehr erzwingen denn noch eine sichtbare Uniformierung?

Für viele Arbeitnehmer ist Home Office Neuland. Welche technischen Voraussetzungen müssen sie erfüllen, um zuhause arbeiten zu können?

Grundvoraussetzung ist natürlich der Internetzugang. Alles andere richtet sich nach den Anforderungen der Arbeit, die getan werden muss. Konzerne und Behörden haben oft sehr spezifische und komplizierte Zugangsvoraussetzungen, um Emails versenden oder Dokumente bearbeiten zu können. Wenn das auf dem Dienst-Laptop alles eingerichtet ist, prima. Wenn nicht, tja...

Viele werden bei der Gelegenheit entdecken, in welchem Maße ihr Smartphone ein Arbeitswerkzeug ist; Videokonferenzen, informelle Mails, sogar Dokumentenbearbeitung geht alles auch auf Handy und Tablet. Wie das funktioniert, kann man auch am heimischen Küchentisch problemlos googeln.

Was für Fehler machen Chefs und Angestellte beim Wechsel ins Homeoffice?

Ein Fehler ist sicher, dass es meistens keinen Plan B für Meetings gibt. Meetings sind trotz ihres schlechten Rufs essentiell für viele Prozesse, zum Beispiel für Mitarbeitergespräche, Onboarding neuer Kollegen, generell für den Gemeinschaftsgeist einer Firma. Für diese Situationen gibt es flexible Lösungen, die auch von zu Hause funktionieren - die aber im Gegensatz zur Meetingkultur nicht seit Jahrzehnten eingespielt sind.

Wenn Home Office etwas ist, das einmal im Jahrzehnt als Resultat einer Epidemie für ein paar Wochen über eine Firma hereinbricht, dann werden manche Mitarbeiter erst einmal die Webcam finden und entstauben müssen. Und der IT-Leiter wird auch nicht alle Systeme umstellen, bloß, weil für einen Monat Not am Mann ist. Ich will deswegen gar nicht von "Fehlern" sprechen; es muss sich halt für alle einüben.

Sie haben als Start-Up-Gründer sicherlich auch oft von zuhause arbeiten müssen. Was sind ihre persönlichen Tipps und Tricks? Was darf man auf keinen Fall machen?

Ein peinlicher Klassiker ist, das Mikro anzulassen, während man den Rechner und seine Audio-Konferenz mitnimmt in die Küche oder ins Badezimmer. Ein anderer, nach einer Weile zu vergessen, dass die Laptop-Kamera an ist, wenn man sich gemütlich in der Nase bohrt. Ein guter Trick ist dagegen, sich auch zu Hause einen dedizierten Arbeitsbereich einzurichten, an dem man sich "professionell verhält". Wo also der Laptop stets am Ladekabel hängt, so dass man nicht drei Minuten vor einer Deadline panisch die Wohnung durchforstet, wo man ihn gestern Abend liegen gelassen hatte. Wo der Drucker in Griffweite ist, und wohin - für die Zeit nach Corona - man auch mal schnell einen Kollegen für eine Absprache einladen kann.

Was soll man aber mit den Kindern machen, die man gleichzeitig betreuen muss?

Darauf hat die Menschheit in 10.000 Jahren arbeitsteiliger Gesellschaftsordnung noch keine universelle Antwort gefunden. Aber zu finden ist sie nur durch Übung. Wenn Home Office nur selten, dann aber ungewollt und überfallartig ins Familienleben einbricht, bleibt Improvisation die einzige Möglichkeit.

Viele Firmen erzählen ihren Angestellten seit Jahren, dass ihre Arbeit nicht von zuhause zu erledigen wäre. Jetzt scheint das doch zu gehen. War das Angst vor einer Veränderung? Und war diese Angst gerechtfertigt?

Wie so oft stimmt beides. Viele Dinge, zum Beispiel die Produktion in einem Chemiewerk, lassen sich beim besten Willen nicht ins Wohnzimmer verlegen. Andere Aufgaben, wie sehr viel Behördliches, ließen sich gewiss von zu Hause erledigen - wer sagt denn, dass man der Sachbearbeiterin der Pass-Stelle unbedingt vis a vis gegenübersitzen muss, früh um halb sieben? Dafür müssten allerdings die Prozesse dahinter digital sein.

Und dann gibt es in der Tat hunderttausende Fälle, in denen Home Office ohne Qualitätsverlust möglich wäre, aber nie in der Organisation eingeübt wurde. Denn Home Office ist nicht die private Entscheidung des Einzelnen, sondern etwas, das sein gesamtes Arbeits-Ökosystem tangiert. Von den Team-Mitgliedern, die sich nicht mehr zur informellen Absprache in der Kaffeeküche treffen können, bis zur Kantine, die ein Mittagessen weniger machen muss.

Wird das Coronavirus nachhaltig unsere Arbeitswelt verändern, wenigstens die, die im Büro stattfindet?

Das glaube ich nicht, denn das Virus wird als Einmal-Ereignis wahrgenommen werden. Dem gegenüber stehen 150 Jahre industrielle Prozesse. Es ist nicht Verschlafenheit oder Ewiggestrigkeit, dank derer ignorante Manager kurz vorm Rentenalter den Fortschritt behindern. Jeder, der schon mal eine Organisation oder auch nur ein Team geleitet hat, weiß, wie schwierig es ist, im Nachhinein neue Prozesse, Software oder Strukturen einzuführen. Daran scheitern auch die Besten. Und der Grund, warum das in Startups eher gelingt, ist nicht, dass wir besonders helle wären, sondern, dass wir die Chance haben, von null anzufangen.

Ist dieser Wechsel zu mehr Home Office gut oder schlecht? Was sind die Risiken, die durch das Homeoffice bei Mitarbeitern entstehen können?

Alles, was Arbeitnehmer dazu veranlasst, selbständiger und souveräner mit ihren Fähigkeiten, moderner Technik und Arbeitsorganisation umzugehen, ist gut - und genau das geschieht, wenn man zumindest teilweise im Home Office arbeitet. Ich sehe da auch keine besonderen Risiken. Es wird ja immer die Möglichkeit geben, für spezifische Aufgaben zusammenzukommen, in Firmen, Coworking-Spaces - oder auch dem eigenen Wohnzimmer, für das man für kleinere Zusammenkünfte vielleicht noch drei, vier faltbare Meeting-Stühle kauft.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Efthymis Angeloudis, rbb|24

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Beitrag von Efthymis Angeloudis

2 Kommentare

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  1. 2.

    Man kann es auch übertreiben.
    Ich frage moch sowieso, ob man jeden Tag mit Schlips und Kragen suf Arbeit erscheinen muss. Jeans und ein Hemd tun es auch.

    Und wer setzt sich in Schlips und Kragen zuhause hin und arbeitet?

  2. 1.

    Es ist ein Akt der Höflichkeit gut gekleidet zu sein, auch bei der Videokonferenz - ich habe jeden Tag mehrere - meine Chefs jedenfalls sehen das gern. Also würde ich von einer Konferenz im Schlafanzug abraten.

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