Interview | Rettung der Lufthansa - "Für diese Probleme brauchen wir eine europäische Lösung"

Mi 29.04.20 | 21:37 Uhr
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Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) (Quelle: dpa/Gregor Fischer)
Audio: Inforadio | 29.04.2020 | Interview mit Marc Fratzscher | Bild: dpa/Gregor Fischer

Die Lufthansa klopft beim Staat wegen Hilfen an. Geld steht prinzipiell bereit durch den Wirtschaftsstabilisierungsfonds der Bundesregierung. Gestritten wird nun, ob der Staat das Unternehmen retten soll. Im Interview erklärt der Ökonom Marcel Fratzscher, warum.

rbb: Herr Fratzscher, Die Rettung der Lufthansa ist umstritten. Dabei wirkt das Unternehmen wie ein idealer Kandidat für die Corona-Rettungsprogramme der Bundesregierung.

Marcel Fratzscher:
Ja, die Lufthansa wäre sicherlich ein Kandidat. Die Bundesregierung hat in ihrem Wirtschaftsstabilisierungsfond gesagt, dass der Staat ungefähr hundert Milliarden Euro zur Verfügung stellt, um sich an Unternehmen beteiligen zu können. Jetzt muss man ehrlicherweise sagen, der Staat kann sich nicht an jedem Unternehmen beteiligen. Wir haben viele Zehntausende von Unternehmen. Deshalb muss man sehr vorsichtig überlegen: Wo macht es Sinn, dass sich der Staat beteiligt?

Wie lässt sich das klären?

Es gibt verschiedene Kriterien. Etwa: Ist das Unternehmen Lufthansa für die deutsche und europäische Wirtschaft so wichtig, dass man alles tun muss, um es zu retten, notwendigerweise auch mit staatlicher Beteiligung? Wollen wir das denn? Wenn man sich anschaut, welche Unternehmen man retten will, dann geht es natürlich erst mal um Daseinsfürsorge.

Was heißt das?

Mal ganz plump gesagt: Sie können kein privates Wasser- oder Elektrizitätswerk insolvent gehen lassen. Dann haben die Leute keinen Strom mehr. Wir brauchen eine gewisse Grundversorgung, Daseinsfürsorge.

Gehört denn eine Fluglinie zur Daseinsfürsorge?

Das ist eine schwierige Frage. Klar, Lufthansa macht natürlich auch ganz viel Cargo, ganz viel Transport von Gütern, Dienstleistungen – auch von Masken. Logistik ist wichtig. Aber braucht Deutschland eine nationale Fluglinie? Viele Länder haben das nicht mehr. In Österreich und der Schweiz gibt es zwar Austrian Airlines und Swiss, die gehören aber mittlerweile zur Lufthansa. Sie sind keine nationalen Fluglinien mehr, das sieht nur so aus. Alitalia in Italien kränkelt vor sich hin. Es ist wahnsinnig teuer für ein Land, eine Fluglinie zu subventionieren und zu haben.

Wie wichtig ist überhaupt eine nationale Fluglinie?

Für ein großes Land wie Deutschland ist es sinnvoll, in eigene Fluglinie zu haben. Wir haben Frankfurt und München als Hub [großes Drehkreuz, Anm.d.Red.], dadurch reisen viele Menschen über Deutschland weiter. Das ist für die Logistikbranche wichtig. Also auch aus strategischer Sicht, wäre es gut, eine nationale Fluglinie zu haben.

Bei der Entscheidung, ob der Staat rettend eingreift, geht es natürlich auch um Arbeitsplätze.

Wenn ein Unternehmen insolvent geht und Zehntausende von Menschen arbeitslos werden, hat man auch als Staat eine Pflicht. Wenn man sich solche Kriterien anschaut, würde man sagen: Ja, die Lufthansa erfüllt die meisten Kriterien. Deswegen macht es jetzt prinzipiell schon Sinn, darüber nachzudenken, wie man die Lufthansa auch von staatlicher Seite unterstützen und auch retten kann.

Ein weiteres Problem sind die Spannungen zwischen Deutschland und der EU in Sachen Unternehmensrettungen. Deutschland hat gigantische Mengen Geld, um möglichst viele seiner Unternehmen zu retten. Andere EU-Länder haben diese Gelder nicht und kommen daher auch nicht so gut gegen die Krise an – aller Gemeinschafts-EU-Hilfen zum Trotz. Deshalb fürchtet die Europäische Kommission eine mögliche Marktverzerrung in der EU zugunsten Deutschlands. Ist das berechtigt?

Ja, das ist absolut berechtigt. Nehmen Sie folgendes Szenario: Der deutsche Staat gibt ganz viel Geld in die Lufthansa, rettet sie, macht sie stärker. In Spanien etwa ist das nicht möglich, und die nationale Fluglinie Iberia Air kommt in Schieflage. Dann entscheidet die Lufthansa vielleicht in einem Jahr: Uns geht's gut, Iberia schlecht. Wir kaufen jetzt Iberia auf. Spanien sagt dann: Hier kauft ein quasi staatliches Unternehmen unsere Fluglinie auf, weil wir nicht das Gleiche tun konnten wie die Bundesregierung. Iberia ist also nicht weniger wettbewerbsfähig als die Lufthansa oder weniger solide, sondern es hängt einfach von der staatlichen Unterstützung ab. Und das widerspricht eigentlich jeder Idee und jedem Konzept von fairem Wettbewerb. Das ist einer der Kritikpunkte der Europäischen Kommission. Sie sagt: Wenn wir wirklich einen europäischen Markt haben, dann müssen für alle Unternehmen überall in der EU die gleichen Bedingungen gelten. Dann kann es nicht sein, dass ein Unternehmen mit riesigen Milliardenbeträgen vom Staat aufgepäppelt wird. Aber ein anderes Unternehmen der Branche, das genauso gut oder wettbewerbsfähig ist, bekommt diese Unterstützung nicht, gerät dadurch in Schieflage oder erleidet Nachteile. Es ist schon wichtig, diese Kritik ernst zu nehmen.

Die Europäische Kommission hat auch kritisiert, dass die Bundesregierung jetzt für viele mittelständische Unternehmen hundert Prozent Kreditgarantie übernimmt.

Die Banken sagen: Ihr kriegt einen Kredit und wenn der ausfällt, übernimmt der Staat hundert Prozent des Risikos. Auch das ist natürlich ein Vorteil, den Unternehmen in vielen anderen Ländern nicht haben. Es ist wichtig zu verstehen, dass in einer solchen Situation staatliche Hilfen für einzelne wichtige Unternehmen prinzipiell nicht falsch sind. Aber es zeigt, dass wir für diese Probleme, die wir im Augenblick haben, letztlich eine europäische Lösung brauchen. Dass nicht nur in Deutschland staatliche Unterstützung sinnvoll ist, sondern dass in allen europäischen Ländern solche Hilfen für Unternehmen ausgeben können, die strategisch und für die Volkswirtschaft wichtig sind.

Wie könnte eine solche europäische Lösung aussehen?

Es würde Sinn machen, dass die Europäische Kommission gewisse Bedingungen auferlegt und beispielsweise sagt: Die Bundesregierung kann die Lufthansa retten. Aber ihr dürft das nicht als Chance nutzen, schwächere oder Unternehmen in Ländern, die eben diese Möglichkeiten nicht haben, systematisch zu übernehmen. Ein anderer wunder Punkt ist, dass der Staat dann sagt: Wir wollen nicht, dass ihr staatliche Gelder bekommt, aber trotzdem Dividenden ausschüttet oder riesige Boni zahlt. Deshalb wollen übrigens auch viele Unternehmen keine staatliche Beteiligung. Wenn der Staat Geld gibt, dann müssen gewisse Bedingungen erfüllt sein, müssen sich die Unternehmen an gewisse Vorgaben halten. Ich denke, man kann diesen Spagat hinbekommen. Aber man muss sicherstellen, dass es für andere Unternehmen, für andere Regierungen, nicht zum Problem wird.

Mit DIW-Präsident Marcel Fratzscher sprach Eric Graydon, Inforadio. Der Beitrag ist eine gekürzte und redigierte Fassung des Podcasts: "Corona - das Virus und die Wirtschaft", Folge vom 29.04.2020 "Braucht Deutschland eine nationale Fluglinie?"  

 

5 Kommentare

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  1. 5.

    Sorry, Leute wegen der Tippfehler! Es war noch voll früh und sicher haben Schrippenkrümel in der Tastatur die Sache nicht erleichtert ;-)

  2. 4.

    Die Deutsche Lufthansa AG hat Rücklagen und zwar die Aktionäre. Was soll das auf Hilfe Gepoche?

  3. 3.

    Alles geht den Bach runter, richtig gute Fluggesellschaften wurden in die Insolvenz GETRIEBEN und Liebling Lufthansa wird gerettet... wie immer.

  4. 2.

    Staatshilfe sollte nur gewährt werden, vermeidbare Verbindungen gestrichen werden. Flüge unter 1000km braucht kein Mensch (ich persönlich verzichte sogar auf alle innerkontinentalen Flüge). Den ungeduldigen Menschen kann ruhig zugemutet werden, mal 5 Std. im Zug zu sitzen.

  5. 1.

    Wer vom Staat so alles gepampert wurde / wird ist ja echt erstaunlich: Banken, Autohäuser, bzw. -industrie, Fluggesellschaften, etc. Aber der gesamte Sozialbereich, die Kreativen / Künstler und Kneipen, Restaurants und viele ungenannte kleine Familienbetriebe und hoffnungsvolls Startups gehen einfach so vor die Hunde. Solidarität und zusammenhalt sieht für mich anders aus :-(
    Wer also etwas mit richtig viel Kohle macht ist sozusagen schützeswerter als derjeniger der sich fürs Gemeinwohl und den Zusammenhalt gesellschaftlich engagier, so so.... Es ist 1. Mai!

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