Krise der Berliner Hotellerie bis nach Polen zu spüren - "So einen Stillstand sind wir nicht gewohnt"

Fr 19.06.20 | 06:06 Uhr | Von Raphael Jung
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Die Wäscherei der Firma Fliegel im polnischen Nowe Czarnowo (Quelle: rbb/rbb/Kowalski & Schmidt)
Video: rbb|24 | 19.06.2020 | Material: Kowalski & Schmidt | Bild: rbb/Kowalski & Schmidt

Seit 1992 reinigt die Firma Fliegel im polnischen Nowe Czarnowo die Wäsche für rund 300 Berliner Hotels. Doch den Einbruch im Hauptstadttourismus spürt man bis nach Polen. Von Raphael Jung

Alles sieht aus wie an einem ganz normalen Arbeitstag: Ein junger Mann holt Hotelwäsche aus einem Container und legt sie auf ein Fließband. An der nächsten Station wird die Wäsche entwirrt und nach Sorte und Verschmutzungsgrad sortiert. Laken, Bettbezüge und Handtücher werden getrennt gewaschen. Einmal pro Minute hebt ein 70 Kilo schwerer Wäschesack in Richtung Waschstraße ab, wo alle Textilien bei 90 Grad gereinigt werden. Die Maschinen dröhnen, es riecht nach Waschmittel, überall wird Wäsche sortiert, gemangelt und gefaltet. Doch in der Großwäscherei der Firma Fliegel in Nowe Czarnowo unweit von Stettin ist gerade nichts so, wie es einmal war.

Geschäftsführer Daniel Tarczynski steht in einer Waschhalle (Quelle: rbb/Kowalski & Schmidt)
Geschäftsführer Daniel Tarczynski | Bild: rbb/Kowalski & Schmidt

Im Normalbetrieb würden hier 500 Männer und Frauen aus den umliegenden Dörfern und Gemeinden arbeiten – an sieben Tagen die Woche, in zwei Schichten. Die Auftraggeber der Wäscherei sind rund 250 große Berliner Hotels, darunter Waldorf Astoria, Hilton und das Bristol Berlin. Aktuell läuft der Betrieb nur an zwei Tagen die Woche und auch das verkürzt. Denn seit die Corona-Pandemie den internationalen Reiseverkehr und den Tourismus fast zum Erliegen gebracht hat, übernachten kaum noch internationale Gäste in Berlin. Die Krise der Berliner Hotellerie ist weit bis nach Polen zu spüren. Nur etwa 20 Prozent des normalen Wäschevolumens fallen derzeit an, sagt Geschäftsführer Daniel Tarczynski.

Mit allen Mitarbeitern durch die Krise

Während die Wäsche aus der Waschstraße in die übergroßen Trockner geschoben wird, erzählt Tarczynski von den Anfängen des Unternehmens. 1992 habe man mit nur vier Berliner Hotels angefangen und sei fortan immer gewachsen. Alle Probleme, die seitdem aufgetaucht seien, habe man erfolgreich bewältigt: Lange Wartezeiten an der polnisch-deutschen Grenze vor Polens EU-Beitritt ebenso, wie die Einbrüche des 11. September und die Weltfinanzkrise. Im letzten Jahr hatte das Unternehmen einen Umsatz von über 50 Millionen Euro und reinigte 42.000 Tonnen Wäsche. Nun steht ein großer Teil der Produktion still, die Fixkosten müssen aber trotzdem bezahlt werden.

Dorota Trofiniuk steht an der Heißmangel (Quelle: rbb/Kowalski & Schmidt)
Dorota Trofiniuk arbeitet seit 13 Jahren an der Heißmangel | Bild: rbb/Kowalski & Schmidt

Tarczynski will mit allen Mitarbeitern durch die Krise gehen. Verlässliche Arbeitskräfte sind im deutsch-polnischen Grenzland rar, und die Konkurrenten von Amazon und Zalando stellen gerade ein. Wenn die Übernachtungszahlen in Berlin wieder steigen, will er sofort wieder loslegen können. Dafür wäre ein Kurzarbeitsgesetz wie in Deutschland hilfreich. Jedoch fallen die staatlichen Hilfen für sein Unternehmen deutlich geringer aus. "Einen Teil der Belegschaft haben wir in den Stillstand versetzt. Sie bleiben Zuhause und bekommen dafür den Mindestlohn von umgerechnet rund 600 Euro", erklärt Tarczynski. Der andere Teil unserer Mitarbeiter arbeitet verkürzt auf 80 Prozent. Für beide Gruppen übernimmt der polnische Staat jeweils die Hälfte des Lohns, allerdings zeitlich begrenzt auf drei Monate.

Sorge bei den Mitarbeiterinnen

Nachdem die Wäsche getrocknet und aufgelockert ist, wird sie gemangelt. Eine Arbeit, die fast ausschließlich in Frauenhand ist. Viele, die an der Heißmangel stehen, schauen mit Sorge auf Frotteehandtücher und Laken. Vor der Pandemie gab es für sie immer genug zu tun. Der Berliner Tourismus boomte, die Zahl der Übernachtungsgäste stieg jedes Jahr – und die Wäscheberge in Nowe Czarnowo wuchsen. Erst vor vier Jahren wurde eine neue, moderne Waschhalle eingeweiht. Dorota Trofiniuk arbeitet an der Mangel und würde ihren Job gern bis zur Rente behalten. Aktuell bekommt sie ein niedrigeres Gehalt, weil sie auf verkürzt arbeitet. "Für mich geht das gerade so", erzählt sie. "Meine Kinder sind erwachsen. Aber viele der Mädchen hier haben kleine Kinder. Die machen sich jetzt Gedanken."

Frisch gewaschene und gefaltete Handtücher liegen auf einem Fließband (Quelle: rbb/Kowalski & Schmidt)
Das Unternehmen will künftig auch kleineren Hotels einen Waschservice anbieten | Bild: rbb/Kowalski & Schmidt

Hoffen auf den Sommer-Tourismus

Von den 140.000 Hotelbetten, die es in Berlin gibt, sind aktuell nur 15 bis 20 Prozent belegt, schätzt Ragna Werler, Prokuristin der Firma Fliegel am Standort in Berlin-Neukölln. Von hier aus wird die frisch gewaschene Wäsche an die Hotels in der ganzen Stadt verteilt, und schmutzige Wäsche zum Abtransport nach Polen fertig gemacht. Werler ist mit ihren Kunden in ständigem Austausch über die aktuelle Situation. "Man hofft, dass die Belegung im Sommer auf 40 Prozent und im Herbst vielleicht auf 50 bis 60 Prozent steigt", erzählt sie. Doch das seien alles Blicke in die Glaskugel; niemand wisse, wie es werden wird. Die Branche gehe jedenfalls davon aus, dass es zwei Jahre oder länger dauern kann, bis man sich vollständig wieder erholt habe.

Unternehmen will neue Kunden akquirieren

Geschäftsführer Daniel Tarczynski in Nowe Czarnowo ist optimistisch, dass sein Unternehmen gestärkt aus der Krise hervor geht. Man sei gut aufgestellt und bereit, auch auf neue Kunden zuzugehen. Bislang habe man nur Hotels ab 100 Zimmern mit frischer Bettwäsche beliefert. Das werde sich nun ändern. "Wir wollen auch kleineren Kunden mit 70 oder 80 Zimmern unsere Wäsche anbieten. Da sehen wir ein Entwicklungspotential."

Tarczynski setzt darauf, dass bald wieder Touristen und Geschäftsreisende in der deutschen Hauptstadt übernachten werden. Er hofft, dass die Krise in 18 Monaten überstanden ist. Frische gewaschene Wäsche aus Polen, da ist er sicher, werden die Berliner Hotels auch in Zukunft brauchen.

Sendung: Kowalski & Schmidt, 13.06.2020, 17:25 Uhr

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Beitrag von Raphael Jung

4 Kommentare

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  1. 4.

    Wäre es Ihnen lieber, wenn sich Berliner Hotels nach dem Motto:
    "Mit Einnahmen aus Deutschland dürfen nur teure, deutsche Arbeitnehmer bezahlt werden!"
    richten würden?

    Hat irgendwie was nationalistisches, und das wollen wir ja in Europa nicht, oder?

  2. 3.

    Ich kann ihnen sagen, das noch nichtmal alle Berliner Firmen Soforthilfe erhalten haben
    Wir warten nich immer und glauben nicht mehr dran

  3. 2.

    Im sogenannte Westen die Kohle abgreifen und in Polen mit Mindestlöhnen die. Menschen ausbeuten. Maximale Rendite, minimaler Schutz der Beschäftigten. Schönes Europa. Ganz toll.

  4. 1.

    Gibt es von Berlin etwa keine Coronahilfen für diesen Betrieb? Immerhin unterstützen sie ja Berlins Hotels und damit sind sie qualifizier als Berlins Subkultur.

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