Interview | Peng!-Kollektiv - Wie ein fiktives Bundesamt große deutsche Firmen reingelegt hat

Do 06.08.20 | 14:16 Uhr
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Berliner Peng!-Kollektiv
Video: rbb|24 | 06.06.2020 | Mitya Churikov | Bild: Peng!-Kollektiv

Ein imaginäres "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" kontaktiert im Juli deutsche Wirtschaftsbosse, fragt sie nach Zukunfts-Strategien und lockt mit Geld. Jetzt hat sich das Berliner Peng!-Kollektiv als Initiator bekannt. Was steckt hinter der Aktion?

Die "deutsche Wirtschaft sicher durch die Krise" bringen – eine schwierige Aufgabe. Immerhin ist das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal des Jahres um ganze zehn Prozent eingebrochen. Doch diesem Ziel hatte sich das "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" laut seiner im Juni veröffentlichten Internetseite gewidmet. Das Problem: Dieses Bundesamt gibt es genauso wenig wie das auf der Seite prominent plakatierte Zitat von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), in dem dieser die angebliche Behörde als "wichtigen Pfeiler in der Stabilisierung der deutschen Wirtschaft" bezeichnete.

Die zugehörige veröffentlichte Website des fiktiven Bundesamtes ist mittlerweile nicht mehr abrufbar. Anfang Juli ist es trotzdem gelungen, große deutsche Unternehmen hereinzulegen und unter dem Vorwand der Corona-Hilfen Gespräche mit Managern und Vorständen zu ergattern. Zu den Betroffenen gehört auch der Energiekonzern RWE. Der Vorstandschef des Energiekonzerns, Rolf Martin Schmitz, berichtete der "Welt am Sonntag", dass ihm eine Frau mit niederländischem Akzent Fragen gestellt habe: etwa, ob es nicht sinnvoll wäre, auf eine schrumpfende Wirtschaft zu setzen. Oder ob es eine staatliche Beteiligung an RWE geben sollte.

Das Bundeswirtschaftsministerium warnte in diesem Zusammenhang zunächst vor Betrug. Doch hinter dem "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" verbergen sich nicht etwa Corona-Betrüger, sondern das Berliner Peng!-Kollektiv.

rbb|24 hat zwei Mitglieder getroffen, die an der Aktion beteiligt waren. Ihre richtigen Namen möchten sie nicht veröffentlichen, deswegen reden wir sie in diesem Interview mit Lara und Anja an.

rbb|24: Das Peng!-Kollektiv hat sich als das erfundene "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfen" ausgegeben und bei großen deutschen Unternehmen, wie dem Energiekonzern RWE, der Westfleisch GmbH und dem Immobilienkonzern Vonovia angerufen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Anja: Ich glaube, die Idee kam etwa zeitgleich mit der wirtschaftlichen Hilfe für Lufthansa auf. Wir stellten uns die Frage: Moment mal – wenn da so viel Geld fließt, sollte man eigentlich mal anrufen und vorschlagen, einfach das ganze Unternehmen zu verstaatlichen. Das kann man eigentlich bei allen Unternehmen machen. Da sind ja ziemlich viele Gelder geflossen.

rbb|24: Wie haben Sie sich auf diese Gespräche vorbereitet?

Lara: Vor den Anrufen haben wir untereinander geprobt – einer aus dem Team hat die Rolle des CEOs übernommen, ein anderer hat das Peng!-Kollektiv gemimt. Und daraus sind ein paar Fragen und Reaktionen entstanden, die wir schon erwartet haben. Wir haben uns sehr viel mit den Leuten und mit dem Unternehmen beschäftigt. Wir waren zum Beispiel sicher, dass, wenn wir explizit nach Vergesellschaftung fragen, keiner sagen wird: Ja auf jeden Fall.

Anja: Wir hatten gar nicht erwartet, mit CEOs zu sprechen. Als die plötzlich geantwortet haben, dachten wir, Moment mal, das wird eine Nummer ernster als wir geglaubt haben. Wir glaubten am Anfang, da meldet sich vielleicht die Pressestelle, und dann reden wir maximal fünf Minuten. Aber letztendlich wurden es lange, respektvolle Gespräche.

rbb|24: Waren Sie überrascht, dass man Sie als "seriöse" Gesprächspartnerinnen wahrgenommen hat?

Anja: Am meisten hat uns überrascht, wie klar wir gemeinsam darüber reden konnten, dass es Zeit für einen radikalen Wandel ist, dass die Krise wirklich schlimm ist und noch schlimmer werden kann. Wir haben offen angesprochen: Kapitalismus funktioniert nicht mehr. Es wird etwas anderes kommen müssen. Das ist nicht immer durchgegangen, aber bei vielen eigentlich schon. Das hätte ich nicht erwartet.

rbb|24: Wie haben die Manager reagiert?

Anja: Manche haben sehr offen mit uns gebrainstormed über die Frage: Wie kommt man hin zu einer gerechten, klimaneutralen Wirtschaft? Was kann man etwa machen, wenn Flugverkehr irgendwann einfach nicht mehr tragbar ist. Kann man ein europäisches Bahn-Netzwerk ausbauen? Was machen wir dann mit den Flughäfen? Manche sind da sehr offen eingestiegen, das waren eher die Ingenieure. Die CEOs haben eher gesagt: nee, auf gar keinen Fall.

rbb|24: Wäre es denn überhaupt ein realistisches Szenario, dass ein Bundesamt bei Unternehmen anruft und fordert, dass sie nicht mehr oder anders Geld erwirtschaften?

Anja: Wir wollten die Frage aufwerfen: warum nicht? In der Corona-Krise gab es einen Moment, wo alle gesagt haben: Ok, wir müssen unbedingt etwas ändern. Aber das ist jetzt erst der Anfang. Das ist eine Krise, eine Pandemie. Es wird vielleicht mehrere Pandemien geben. Es gibt ganz viele Auswirkungen des Klimawandels, die noch auf uns zukommen werden. Die Wirtschaft muss irgendwie dafür umgestaltet werden.

Der Staat hat schon massive Hilfsmaßnahmen geleistet – im Gesundheitssystem, in der Immobilienbranche. Es gab ein Verbot von Zwangsräumungen. Das sind alles staatliche Interventionen. Und da kommt die Frage auf: Geht es nach der Krise weiter wie zuvor, oder sehen wir jetzt ein, so geht das nicht weiter. Wir brauchen eine Wirtschaft, die negative Auswirkungen nicht immer auf die gleichen Menschen abwälzt.

Und: Wer soll denn dieses Gespräch führen? Es gibt zwar soziale Bewegungen, die über Postwachstumsökonomie und solidarische Ökonomie sprechen. Warum aber sollte es nicht auch der Staat sein, der dieses Gespräch angeht?

rbb|24: Warum ist jetzt gerade der richtige Zeitpunkt dafür?

Anja: Vor zehn Jahren war auch schon ein richtiger Zeitpunkt erreicht. Mit jeder Krise stellt sich die Frage wieder. Die Welt stand still, und es wird noch eine sehr harte Rezession auf uns zukommen. Die zweite Welle rollt vielleicht sogar jetzt schon auf uns zu. Im Rest der Welt ist die erste Welle noch nicht überstanden. Es gibt ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass radikale Maßnahmen möglich und vielleicht sogar notwendig sind. Das hat auch die Corona-Krise gezeigt. Da sind plötzlich Maßnahmen möglich geworden, massive Eingriffe des Staates, die vor 20 Jahren überhaupt nicht denkbar waren.

rbb|24: Das Peng!-Kollektiv hat in der Vergangenheit Aktionen als Kunst ausgestellt. Verstehen Sie auch diese Aktion als Kunst?

Lara: Kunst bietet natürlich einen Schutzraum, sowohl juristisch als auch, um ganz andere Sachen auszuprobieren und zu machen. Die Konsequenzen sind einfach nicht so hart. Das ist, glaube ich, ein Vorteil. Aber ich würde das Ganze nicht per se als Kunst definieren. Wir haben wirklich ernsthaft mit den Leuten telefoniert. Es war also keine Inszenierung.

rbb|24: Sie sagen, dass Sie eine ernsthafte Debatte anstoßen wollten, haben sich aber als Mitarbeiter eines Bundesamtes ausgegeben. Als sie enttarnt wurden, wurden Sie als Corona-Betrüger charakterisiert. Fühlen Sie sich als Betrüger?

Lara: Nein.

Anja: Ich kann verstehen, dass Herr Schmitz [CEO der RWE AG, Anm.d.Red.] es nicht schön fand, dass wir ihn unter falschem Vorwand angerufen haben. Das kann ich nachvollziehen.

rbb|24: Wäre es nicht ehrlicher gewesen, direkt zu sagen, wer man ist und was man will?

Lara: Das ist realitätsfern. Nachdem wir aufgeflogen sind, hat uns Herr Schmitz in dem Telefonat gesagt, er hätte auch so mit uns geredet. Ich glaube nicht, dass das der Realität entspricht. Hätten wir als Peng!-Kollektiv angefragt, wäre nichts zurückgekommen. Wir hätten überhaupt nicht die Chance gehabt, mit ihm zureden und das authentisch zu machen. Die Frage ist jetzt, was passieren würde, wenn wir ihm jetzt anbieten würden, noch mal als Peng!-Kollektiv oder gesellschaftliche Vertreterinnen ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen.

rbb|24: Nachdem Sie aufgeflogen sind, hat Rolf Schmitz Ihnen am Telefon gesagt: "Ich glaube, Sie bekommen Ärger." Nach Medienberichten hat die Polizei bereits die Ermittlungen aufgenommen. Haben Sie Angst vor den Konsequenzen?

Anja: Die juristische Beratung hat uns gesagt, dass es kein Betrug ist, solange wir keinen finanziellen Nutzen aus dieser Webseite ziehen.

Lara: Ich glaube, wir sind uns alle gewisser Risiken bewusst, die das Ganze mit sich bringt. Aber wir haben auch schon im Peng!-Kollektiv relativ viele Erfahrungen gesammelt mit solchen Aktionen. Wir hatten eine ziemlich gute juristische Beratung. Ich kann nur für mich sprechen, aber mir macht es keine Angst. Und ich bin mir dessen ziemlich bewusst, was wir da gemacht haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Lara und Anja von Peng! sprach Efthymis Angeloudis, rbb|24.

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36 Kommentare

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  1. 36.

    Hätten Sie die anderen Kommentare gelesen, wüssten Sie, dass es sich nicht um eine Straftat handeln kann.

    Sie können von Glück reden, dass die Moderation die Mehrfachnennung alternativer Fakten zulässt, anderswo (tagesschau.de) ist das nicht der Fall.

  2. 35.

    Sich als eine Behörde auszugeben ist eine Straftat. Da hilft alles schönreden nicht.
    Wenn das die AfD gemacht hätte....
    Sollte man da nicht zum gleichen Ergebnis kommen, dann sollte man mal seine eigene Unabhängigkeit hinterfragen.

  3. 34.

    Cool, dass Sie peng toll finden.

    Trotzdem sind Sie "zu faul zum Lesen" Nummer zwei. Eine Wiederholung des Semesters ist nicht nötig, wie ich zuvor formulierte. Wieso halten Sie sich überhaupt hier auf, wenn Sie kein Interesse an dem Geschriebenen haben?

    Sie formulieren ihren Beitrag als Widerspruch, obwohl Alles was Sie schreiben meine Aussage bestätigt. Sie konstruieren zur Bewertung einer allgemeinen Aussage die Beteiligung eines Dritten, die nichts mit der allgemeinen Aussage zu tun hat, was auch ihre Erwähnung des Begriffes des Willensbekundung betrifft.

    Mit der Entscheidung über die Notwendigkeit von Verboten sind Sie hoffentlich nicht betraut.

  4. 33.

    Wenn Menschen nicht zum Außerordentlichen - außerhalb des bisherigen, ach so bequemen und auch nachlässigen Arbeitsganges - bereit sind, dann ist Eigenmacht geboten.

    Die hat das peng!-Kollektiv aufgeboten.

    Das kann ich nachvollziehen und das kann tausendfach "Schule" machen.

  5. 32.

    "Exakt. Alles was nicht verboten ist, ist erlaubt. Erstes Semester Jurastudium." Sagen Sie.

    Wiederholen Sie das erste Semester besser noch einmal.
    Denn, was nicht verboten ist, ist lediglich nicht verboten. Und mehr nicht. Es bedeutet lediglich, dass man
    eine Handlung nicht bestrafen kann, wenn das Gesetz für das beanstandete Verhalten keine Regelung und Bestrafung enthält.
    Es impliziert nicht zugleich die pauschale Erlaubnis etwas zu tun, von dem ein Dritter betroffen ist.
    Denn die "Erlaubnis" ist eine aktive oder durch schlüssiges Verhalten geäusserte Willensbekundung.
    Das Fehlen eines Verbotes schließt nicht aus, dass es in bestimmten Fällen eine Notwendigkeit dafür geben könnte.

    Im Übrigen finde ich die Aktion von Peng super und auch gerechtfertigt.

  6. 31.

    Mehr als die Überschrift des Artikels zu lesen, überanstrengt sie offensichtlich.
    Aus zahlreichen Kommentaren und dem ganzen(!) Artikel geht hervor, dass es sich hierbei nicht um eine Straftat handelt.

  7. 30.

    Amtsanmaßung ist eine Straftat. Ab in Knast.

  8. 29.

    Peng versucht reflektierend auf die Realtität einzugehen, zu überspitzen und zu provozieren. Lustig ist jedoch dieser fehlende Realitätsbezug beim gewählten Beispiel des Flugverkehrs.

    Wer bestimmt, wann der Flugverkehr nicht mehr tragbar ist? Und was dann? Dürfen die Bürger dann nur noch in den Ländern Urlaub machen, die per Bahn erreichbar sind? Interkontinentale Destinationen muss man sich im Internet angucken und die Altvorderen erzählen dann anhand ihrer Fotos und Erfahrungen von Reisen auf andere Kontinente?
    Peng fragt was wir mit den Flughäfen machen. Ich frage was wir mit hundertausenden Arbeitnehmern machen, die direkt und indirekt in dieser Branche arbeiten.
    Peng gibt vor einen Diskurs anregen zu wollen, haben aber bereits "ihre" Lösungen parat. Das war auch bei anderen Aktionen bereits so. Ergebnissoffen ist hier gar nichts. Wie üblich bei Ideologen, gibt es nur deren Meinung und die falsche.

  9. 28.

    Nicht nötig.

    Sie hingegen sollten in Zukunft die bisher eingereichten Kommentare lesen, bevor Sie sich selbst an das Verfassen eines ernsthaften gemeinten Kommentars heranwagen.

  10. 27.

    Dann sollten Sie das Semester vielleicht wiederholen? Amtsanmaßung ist verboten. Die Aktion ist schlicht eine Straftat. Würde diese von der AfD begangen, hätte das mit Sicherheit pressewirksame Konsequenzen.
    Dass Straftaten die von links kommen ungeahndet bleiben ist ja nix neues.

  11. 25.

    Exakt. Alles was nicht verboten ist, ist erlaubt. Erstes Semester Jurastudium.

  12. 24.

    Apropos Narrenhaus Deutschland: Die urdeutsche Literaturfigur Till Eulenspiegel ist Ihnen ein Begriff? So viel zu "aus unserem Land geworden". Und jetzt kommen Sie wieder, vermutlich mit Liebermann... :)

    PS: Den zitierten Satz hat Liebermann übrigens anlässlich der Machtübergabe an die Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 geäußert.

  13. 23.

    "Ich werde jetzt auch Künstler und Sie dann mal im Auftrag der Kommission für Zukunftspläne der Europäischen Union zu Ihren Plänen befragen. Anschließend veröffentliche ich dann Ihre Aussagen. Mal sehen, was dabei herauskommt. Besonders zu Sachen aus dem privaten Umfeld"

    Na bitte sehr. Aussagen aus meinem privaten Umfeld gebe ich ohnehin nicht heraus. Zum Verkürzen habe ich eben schon geantwortet.

    Vielleicht auch einfach mal mit Peng! beschäftigen.

    "Das Künstler-Kollektiv entschuldigte sich bei einer spektakulären Aktion beispielsweise öffentlich für die Hartz IV-Gesetze - im Namen des dafür verantwortlichen Bundesarbeitsministeriums. Das Ministerium bekam daraufhin zahlreiche positive Reaktionen und wusste natürlich nichts von der Aktion. Oder sie ehrten bei einer fiktiven Friedenspreis-Verleihung die deutsche Waffenindustrie - mit einer eigens dafür gefertigten Statue."

  14. 22.

    "Sie zitieren den Absatz unvollständig, denn dort steht:"

    Nö, tue ich nicht, denn der ergänzende Satz bezieht sich nur auf die "Freiheit der Lehre". Insofern hat der "Fall Kutschera" hier auch nichts zu suchen. Und ganz klar, Gesetze sind nur die Basis, auf denen ein Urteil individuell gefällt wird.

    Aber Kunst und Satire - und das Peng! Kollektiv ist für Aktionskunst bekannt - darf eben bestimmte gesetzliche Grenzen "übergehen". Klassisch z.B. das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole. Wahlweise das Verwenden hoheitlicher Symbole, Marken o.ä. Die Grenze zur Gesetzesübertretung ist sicher nicht trennscharf und Motivation und entstandener Schaden fließen dann in die Entscheidung ein.

  15. 19.

    Sie können alles machen was Sie wollen, Sie müssen nur mit den Konsequenzen leben.

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