Interview | BVG-Chefin - "Klima wird uns länger verfolgen als Corona"

Sa 12.12.20 | 09:52 Uhr
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Eva Kreienkamp, Vorstandsvorsitzende der BVG, sitzt am Steuer eines Busses vom Typ "Alexander Dennis Enviro500 (Quelle: dpa/Pedersen)
Audio: rbb 88.8 | 09.12.2020 | Interview mit Eva Kreienkamp | Bild: dpa/Pedersen

Seit Oktober dieses Jahres ist Eva Kreienkamp Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe. Sie will einen "wirklich guten" Öffentlichen Nahverkehr anbieten, sagt sie im rbb-Interview - und setzt dabei auch auf Elektrobusse und Digitalisierung.

rbb: Frau Kreienkamp, was würde ein harter Lockdown für Ihr Unternehmen, die BVG, bedeuten?

Eva Kreienkamp: Zunächst einmal: Wir fahren weiter für die, die trotzdem fahren müssen. Das können Lehrerinnen und Lehrer sein, Polizistinnen und Polizisten oder Menschen, die in Krankenhäusern arbeiten. Für uns ist es natürlich auch eine sehr, sehr schwierige Situation. Das bedeutet, dass wir weniger Fahrgäste haben werden, was wir dann sehr bedauern. Wir bereiten aber natürlich alles vor, damit wir mit dieser Krise weiter umgehen können.

Müssen Sie noch spezielle Vorbereitung treffen, etwa für Ihr Personal?

Wir sind bislang wirklich gut durch diese Pandemie durchgekommen und haben bei uns sehr wenige Infizierte. Das liegt auch an den Schutzmaßnahmen für unser Personal. Wir haben schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt zum Beispiel unsere Busfahrer und Busfahrerinnen abgetrennt vom allgemeinen Betrieb, sodass die weiterfahren können. Wir passen sehr auf unsere Menschen in den Leitstellen auf, weil die besonders systemrelevant sind. Deshalb werden wir jetzt nicht noch weitere Vorkehrungen für unser Personal schaffen.

Was wir aber auch tun, geht ja mehr in die Richtung: Wie gehen wir mit unseren Fahrgästen um? Da ist die Maskenpflicht, die wir auch kontrollieren. Wir lüften unsere Fahrzeuge. Wir halten die sauber und sind damit auch auf jeden Fall immer mit diesen AHA-Regeln unterwegs. Und das ist das Wichtigste.

Die BVG hat 30 Prozent weniger Fahrgäste durch Corona. Damit liegen Sie etwa im Vergleich zu New York gar nicht mal so schlecht. Trotzdem brauchen Sie Geld. Sechs Milliarden Euro sollen investiert werden. Wo liegt der Schwerpunkt, im U-Bahn-Ausbau?

Ich finde vor allem den Ausbau von öffentlichem Verkehr gut – nicht nur, weil ich jetzt die Vorstandsvorsitzende der BVG bin, sondern vor allem, weil wir eine Klimakrise haben. Klima wird uns länger verfolgen als Corona, davon bin ich felsenfest überzeugt. Und darauf brauchen wir gute Antworten. Da ist der öffentliche Verkehr als Rückgrat des Verkehrs natürlich wesentlich. Und er muss qualitativ gut sein, und er muss vor allem auch ausgebaut sein, sodass er möglichst viele Menschen erreicht. Also ist eine der wesentlichen Aufgaben erstmal Qualität, also sprich neue Fahrzeuge hinzukriegen, sowohl Busse als auch Trams. Unsere Infrastruktur so zu ertüchtigen, dass sie wirklich State of the Art ist. Manche Schienen, die wir haben, sind einfach schon ein bisschen abgefahren, würde Volksmund sagen. Wir müssen uns wirklich darum kümmern, dass das, worauf wir fahren, in einem guten Zustand ist.

Sind Sie von einem öffentlichen Verkehrsmittel ein besonderer Fan?

Ich bin im Augenblick ein Fan der U5, zwei von drei Bahnhöfen haben wir aufgemacht, sie sind ausgesprochen schön. Es ist angenehm, da drin zu sein, es sind architektonische Meisterwerke. Und wenn wir dann noch den dritten Bahnhof an der Museumsinsel aufmachen, dann haben wir wirklich etwas in Berlin geschaffen, was auch für die nächsten hundert Jahre wirken wird.

Stichwort: Elektrobusse. Viele Profis sagen, auf die Dauer wäre Wasserstoff besser. Elektrobusse seien zu schwer und zu dick und das würde Unsummen kosten. Wir machen das trotzdem. Ist es schlau?

Wir machen das vor allem jetzt. Jetzt gibt es Elektrobusse, und die bringen wir ins Netz hinein. Wir ertüchtigen die so, dass sie wirklich gut funktionieren. Wir lernen auch an diesen Bussen, weil das ja Neuland ist für alle Beteiligten. Und natürlich sind wir offen: Wenn wir eine Situation bekommen, wo wir sehen, dass Wasserstoffbusse gut funktionieren, werden wir uns auch damit beschäftigen. Im Augenblick ist es aber nicht so, und wir können da nicht warten.

Wie schnell geht die Elektrifizierung der Busse?

Wir haben jetzt ungefähr 100 bis 120 Busse, die auch ins Netz hineinkommen, also wirklich im Linienbetrieb sind. Wir wollen weitere 90 beschaffen. Da sind wir gerade in einer Ausschreibung. Und dann hätten wir über 200. Das ist eine erkleckliche Größenordnung. Dann wissen wir auch besser, wie es funktioniert, und werden von da aus weiter beschaffen. Wir haben das erklärte Ziel bis 2030 komplett elektrifiziert zu sein, und das ist natürlich ein Hochlauf. Es macht aber keinen Sinn, das alles auf einmal zu machen.

Ich habe von Ihnen gelesen, das Tempo beim Straßenbahnausbau sei traurig. Warum geht es denn da nicht schneller?

Wir sind nicht die einzigen, die da mitwirken. Die Strecke Adlershof bis Schöneweide wird nächstes Jahr eröffnet. Wir sind sehr stolz, dass wir auch dieses Projekt gut hinkriegen und dass es in der Zeit und im Budget ist. Wir würden uns natürlich mehr Straßenbahnausbau wünschen, sind da sehr intensiv mit Politik und Verwaltung in Kontakt, sind bei zweien auch im Planfeststellungsverfahren. Das braucht halt auch ein bisschen Zeit.

Digitalisierung von Mobilitätsangeboten ist ein Riesenthema. Wie zufrieden sind Sie jetzt mit der BVG?

Ich glaube, dass alle Verkehrsunternehmen noch ein bisschen Luft nach oben haben. Die BVG hat sich auf die Reise gemacht. Wir haben verschiedene Apps im Angebot für die Fahrgäste. Wir haben Jelbi, die Mobilitäts-Plattform, wo wir vor allem eben auch eine Kombination hinkriegen aus verschiedenen Verkehrsmöglichkeiten. Und das ist die Zukunft.

Während der Pandemie fahren weniger Menschen, dadurch nimmt die BVG nicht so viel Geld ein. Nun gab es in Berlin die Überlegung, eine City-Maut einzuführen oder höhere Parkgebühren. Gibt es etwas, von dem Sie sagen, das finde ich toll? Oder ist es Ihnen egal, woher das Geld kommt?

Ich glaube, da muss im Gesamtsystem geguckt werden. Wir müssen gemeinsam mit der Politik überlegen: Was ist eine lebenswerte Stadt? Wie soll die aussehen? Was ist autoarm? Wie kann das bewerkstelligt werden? Dazu gehört natürlich auch ein attraktiver ÖPNV. Dazu gehört aber auch: Wie ist der Straßenraum aufzuteilen? Was ist uns da wirklich wichtig?

Was ist Ihre Vision?

Mir ist es wichtig, dass wir wirklich guten ÖPNV anbieten, also dass die BVG so gut ist, dass keiner mehr fragt, ob er ein Auto braucht oder nicht.

Sie waren fünf Jahre in Mainz tätig, zuvor waren Sie schon mal in Berlin. Jetzt sind Sie wieder hier. Wie ist das für Sie?

Vertraut und neu gleichermaßen. Das Tolle an Berlin ist, dass es so schön im Werden ist. Es gibt immer noch Baustellen überall, aber auch neue Angebote, neue Geschäfte. Ich freue mich darauf, wenn Berlin wieder Berlin sein kann, und wir wieder ausgehen können und das genießen können, was Berlin wirklich ausmacht.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Eva Kreienkamp sprach Ingo Hoppe, rbb 88.8. Dieser Beitrag ist eine gekürzte und redigierte Version. Das Originalgespräch können Sie mit Klick auf das Audiosymbol im Header oben im Artikel nachhören.

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8 Kommentare

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  1. 8.

    Der ÖPNV muss massiv ausgebaut werden und kostenlos werden! Die Auto- und Flug-Industrie soll das bezahlen! Die haben Milliarden bekommen. Wir brauchen Fortschritt und nicht Rückschritt!

  2. 7.

    Die Marktverfügbarkeit von H2-Bussen ist das kleinere Problem. Es gibt die politische Vorgabe, diese nicht zu beschaffen - s. Nahverkehrsplan. Deren Reichweiten sind aktuell auch nicht, falls überhaupt, nennenswert größer als die von batterieelektrischen Bussen, lösen also das Problem der typischen langen Umläufe der Busse nicht. Hamburg beschafft laut NDR bis 2025 weitere 530 E-Busse.

    Bei der Straßenbahn ist RRG mit der Vorgabe gestartet, in dieser Legislaturperiode vier neue Strecken zu eröffnen. Anders als von der Dienstwagenfahrerin gerade erst im Verkehrsausschuß des Abgeordnetenhauses behauptet, wird es wohl laut Tagesspiegel mit Quelle BVG nichtmals eine werden. Bei den weiteren Planung hat RRG auch keine besonderen Ehrgeiz an den Tag gelegt außer beim Verschieben und Nichtstun wie hier in Spandau. Auch darüber hatte der Tagesspiegel berichtet.

  3. 6.

    Sie denken also immer noch in West und Ost? Mit Ihrem Vorschlag würden Sie Jüngere automatisch ausschließen. Denn die Wiedervereinigung ist nun schon so lange her, dass man nur bei Älteren eine „ostdeutsche Biografie“ finden kann. Wie wäre es denn mal mit einer jüngeren Geschäftsleitung? Oder jemand mit Migrationshintergrund? Sie merken, wenn man in Schubladen denkt, kommt man zu Einschränkungen. Wobei es Schubladen gibt, die irgendwann verstaubt sind. Eben die Ost-West-Schublade.

  4. 5.

    Könnte die BVG nicht mehr aus der Zukunft planen. Also "wir wünschen uns einen stärkeren Tramausbau" mal übersetzen in ein gewünschtes berlinweites Tramnetz im Jahre 2050. Was müsste dann 2049, 48, 47, 46, 45, ... 2030, 29, 28, 27, ... 2021 geschafft sein - um das ganz realistisch noch bis zur gewünschten Klimaneutralität für Berlin im Jahr 2050 umzusetzen :)
    Und was ist aus den "neuen" Busspuren geworden, sind die im Nirvana verschwunden. Neue Busse, die auch im Stau stehen bringen relativ wenig bzw. steht mensch dann nur im stehenden Bus statt an der Haltestelle ;)

  5. 4.

    Menschen, die nach der Wiedervereinigung geboren wurden, haben bereits eigene Kinder. Vielleicht sollten wir das Ost-West-Denken langsam hinter uns lassen.

  6. 3.

    Wenn Frau Kreienkamp auch nur teilweise ihre Vorstellungen umsetzen kann, wäre das schon ein Riesenschritt. Das Interview lässt hoffen. Also ran an die Bouletten. :-)

  7. 2.

    Gab es seit der Wiedervereinigung eigentlich mal einen Vorstandsvorsitzenden mit ostdeutscher Biografie? Immerhin handelt es sich ja um ein Unternehmen welches in West und Ost stark präsent ist.

  8. 1.

    Man trifft in öffentlichen Verwaltungen selten Menschen in leitender Stellung, die engagiert und optimistisch ihren sinnvoll erscheinenden Visionen folgen. Sie scheint eine der wenigen zu sein. Solche Leute braucht man und man muss sie deshalb unterstützen. Möge sie ihr Mut deshalb nie verlassen, auch wenn mal die Bedingungen temporär schlechter werden. Als Mathematikerin weiß sie um den Amplitudenverlauf. Falls mal ein Tal kommen sollte, ist die nächste Spitze trotzdem in Sicht.

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