Arbeitsmarkt Brandenburg - Azubis und Fachkräfte gesucht - auch nach Corona

Di 01.06.21 | 21:08 Uhr | Von Amelie Ernst
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Rico Skiebe (l), Auszubildender KFZ-Mechatroniker im vierten Lehrjahr und sein Bruder Justin Skiebe stehen am 31.07.2020 im Autohaus Eilsleben vor einer geöffneten Motorhaube. (Quelle: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert9
Audio: Antenne Brandenburg | 01.06.2021 | Amelie Ernst | Bild: dpa/Klaus-Dietmar Gabbert

Betriebe wie Hotels und Innengastronomie in Brandenburg sind zwar immer noch in Kurzarbeit oder müssen erstmal Einnahmeausfälle aufholen. Trotzdem fehlen Fachkräfte. Amelie Ernst gibt Einblicke in die Situation der Azubis.

Ganz sicher ist sich Leon noch nicht, ob sein Zeugnis am Ende auch zu seinem Traumberuf passt – er hofft auf die Fachoberschulreife. "Mein Traumjob war früher Notarzt oder Rettungssanitäter. Aber ich glaube, ich brauche dafür Abitur. Und viele haben mir auch geraten, Physiotherapeut zu werden. Dabei möchte ich jetzt bleiben."

Berufsberaterin Anja Raue kann Leon und den anderen Zehntklässlern auf dem Hof der Potsdamer Lenné-Gesamtschule direkt Vorschläge machen, welche freien Ausbildungsplätze zu ihren Vorlieben und zu ihrem Zeugnis passen könnten. Die Auswahl ist groß: Von A wie Anlagenmechanikerin bis Z wie Zimmerer ist alles dabei.

Ausschlaggebend: der Weg zur Lehrstelle

Rein rechnerisch kommen in Brandenburg auf 100 potentielle Auszubildende 117 Ausbildungsplätze. In Berlin ist es andersherum – der Markt ist deutlich enger. Dafür stellt sich in Brandenburg für viele Auszubildende deutlich häufiger die Frage, ob und in welcher Zeit sie ihren Wunsch-Ausbildungsplatz mit Bus und Bahn erreichen können. Nicht selten ist das ein Grund, die eigentlich passende Lehrstelle nicht anzutreten.

Ähnlich wie Leon streben am Ende des Corona-Jahres vergleichsweise viele junge Leute eine Ausbildung im medizinischen oder pflegerischen Bereich an. "Viele Jugendliche sagen von sich aus:'Mensch, das wird gebraucht, da habe ich eine Affinität dazu – das ist deutlich stärker geworden seit Corona'", beobachtet Berufsberaterin Anja Raue. Ein positiver Corona-Effekt also. Andererseits habe das Corona-Jahr auch dazu geführt, dass das Interesse der Jugendlichen in anderen Bereichen kaum geweckt werden konnte, ergänzt Matthias Päper. Er kümmert sich an der Lenné-Schule um die Berufsorientierung. Kaum jemand habe noch ein Praktikum absolvieren können, wie sonst üblich in der 9. und 10. Klasse. Auch Berufsberatungen und Berufswahlmessen hätten nur virtuell stattgefunden. Dabei bräuchten viele Jugendliche in dieser wichtigen Frage dringend Orientierung.

Fachkräftemangel das große Thema – ob mit und ohne Corona

Einer der wenigen Lenné-Schüler, die trotz Corona ihr Berufspraktikum absolvieren konnten, ist Lukas. Er hat seinen Vertrag mit einer Potsdamer Autowerkstatt schon in der Tasche. Der Betrieb habe ihm alles gut erklärt. "Dadurch bin ich überzeugt worden, Kfz-Mechatroniker zu werden", sagt Lukas. "Ich hatte ziemlich Glück – andere nicht." Arbeitgeber, die sich engagieren, finden in der Regel Azubis. Und umgekehrt. Doch der Markt wird enger – vor allem wegen des demographischen Wandels.

"In den nächsten Jahren wird jeder vierte sozialversicherungspflichtige Beschäftigte in den Ruhestand gehen", mahnt Ramona Schröder, die Geschäftsführerin der Arbeitsagentur Berlin-Brandenburg. "Das sind über 200.000 Menschen, die jetzt noch ihre fachliche Expertise in die Unternehmen einbringen." Damit sei klar, dass der Fachkräftemangel das große Thema auf dem Brandenburger Arbeitsmarkt sei – mit und ohne Corona.

"Fachkräfte können wir nicht kaufen"

Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) will deshalb auch außerhalb von Brandenburg um Auszubildende werben. Anders seien die vielen freien Stellen nicht zu besetzen, so Steinbach. Selbst in stark von der Pandemie betroffenen Branchen wie der Gastronomie seien derzeit noch viele Ausbildungsplätze frei, sagt Berufsberaterin Anja Raue. "Das hat mich auch überrascht."

Ein Anreiz für Betriebe, trotz Krise weiter auszubilden, soll auch die Ausbildungsprämie vom Bund sein: Gerade wurde sie auf 4.000 beziehungsweise 6.000 Euro pro Azubi erhöht. Doch viele Unternehmen hätten den Ernst der Lage längst erkannt, so Arbeitsagentur-Chefin Schröder: "Fachkräfte können wir weder im Laden kaufen noch online – wir müssen sie selbst ausbilden." So ist mittel- und langfristig nicht Corona, sondern der Fachkräftemangel die größte Herausforderung für den Brandenburger Arbeitsmarkt.

Sendung: Inforadio, 01.06.2021, 18:25 Uhr

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Beitrag von Amelie Ernst

8 Kommentare

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  1. 7.

    Die soziale Marktwirtschaft sucht nicht nach Fachkräften, sondern nach billigen und beliebig austauschbaren Helfern, mit denen man Mindestlöhne unterwandern kann. Wie sieht es aus mit Millionen Arbeitssuchenden, die alle um den Berufsschutz gebracht wurden, auch jene sollen unter Tarif arbeiten, vielleicht als Helfer, siehe Pflege, Logistik. Fachkräfte unerwünscht, könnte man meinen, denn die sind teuer. Es ist nur die Geschichte von lupenreinen Unternehmern, die den Sub des Subs gar nicht kennen wollen. Lückenhafte Gesetze machen es möglich. Darum sozial wählen, damit die Arbeit im Land auch sozial abgesichert ist.

  2. 6.

    1900 eoro Brutto da habe ich vor 30 Jahre im Westen als gelernter Handwerker in Netto schon mehr verdient. Wesentlich und da konnte man von der Mark noch gut leben. Leider sind wir hier ja in Berlin und den dummen Spruch arm aber sexy, kann ich nichz mehr hören.
    Die goldene Nasen haben Andere micht die Arbeitnehmer und die sogenannten Gewerkschaften haben jahrelang Mitgliedsbeiträge kassiert aber nicht allzu viel gebracht. Zumindest im Handwerk.
    Wenn Lohnerhöhung, dann selbst ausgehandelt oder
    die Firma gewechselt.

  3. 5.

    Qualifizierte Fachkräfte, die während der Coronaschließung in Kurzarbeit waren oder aktuell noch sind, haben sich größtenteils bereits eine andere Arbeitsstelle gesucht oder gesichert. Mit geregelterer und geringerer Ist- Arbeitszeit . Und Auszubildende benötigen in der Branche auch qualifizierte Ausbilder. Und solange noch Osttarif gezahlt wird, wird es wohl schwer, geeignete Fachkräfte wieder zurück zu gewinnen. Ein bestimmtes Niveau sowie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit der Mitarbeiter wird auch im Osten von den Gästen erwartet.

  4. 4.

    Versuchen Sie es mal bei Ausbildungsverbund Fachinformatik Berlin.

  5. 3.

    Bei etwas genauerer Betrachtung - unabhängig welche Motivation dahinter steht - die Fachkräfte fehlen trotzdem.
    Es gibt tatsächlich Menschen, denen ein Job für 1900 Egonen Brutto spaß macht.

    Wer also alles an der Knete fest macht - wird nicht wirklich froh sein - mit seinem Job.

  6. 2.

    Ahja, da ist es wieder, das Märchen vom Fachkräftemangel.
    Ein/e ausgebildete/r Gastro-Fachmann/-frau mit mehrjähriger Berufserfahrung als Leiter/in verdient man etwa 1900€ brutto im Monat.
    Als unausgebildete/r Fahrer/in mache ich das gleiche Geld bei DHL, und zwar mit weniger Wochenstunden.
    Liebe Bar- und Restaurantbesitzer, was war nochmal der Anreiz, in der Gastro zu bleiben?

  7. 1.

    Betriebe sind viel zu faul zum Ausbilden. Z.B. Fachinformatik. Sehr großer Bedarf, aber bei Ausbildungsplätzen ist kaum was zu bekommen, da nur sehr wenig ausgebildet wird. Anscheinend keine Lust.

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