rbb|24-Blog | Inflation - Wenn ein Sparfuchs in den Discounter geht, wie groß ist dann sein Preisschock?

Immer wieder erreicht uns Kritik, weil Preissprünge für Lebensmittel bei Aldi, Lidl und Co. höher seien, als wir berichten würden. rbb|24 hat sich darum die Datenlage bei Discountern angeschaut. Von Wanda Bleckmann, Sophia Mersmann, Haluka Maier-Borst
Tief durchschnaufen an der Supermarktkasse, so geht es vielen in Zeiten der Inflation. Aber wie viel teurer der Einkauf ist, hängt auch davon ab, wer man ist und was man isst. rbb|24 begleitet darum drei Menschen aus Berlin und Brandenburg, die sehr unterschiedlich einkaufen - und schaut sich an, wie und wieso die Inflation bei jedem einzelnen so anders sichtbar wird.
"Die beschriebenen Preiserhöhungen stimmen nicht."
"Wo ist der Typus 'preisbewusst einkaufen im Discounter'? Der erlebt die Inflation ganz anders. Kartoffeln, 2,5 kg: von 1,49 auf 2,29 , also gut 50% Steigerung."
Oder schlicht der Vorwurf, wir würden versuchen, Leserinnen und Leser zu "verarschen".
Immer wieder berichten Leserinnen und Leser uns, dass sie die Inflation anders erleben als wir und unsere drei rbb|24-Einkäufer:innen es berichten.
Dass Menschen andere Erfahrungen bei der Inflation machen, ist erstmal nicht verwunderlich. Wir nutzen – wie wir bereits zum Anfang der Serie hier erklärt haben – Daten des Statistischen Bundesamtes, die nur die Preissteigerung im Durchschnitt abbilden. Dass also Menschen nicht die Inflation genau so erleben, wie es die Durchschnittswerte bei uns nahelegen, das ist zu erwarten.
Aber sind die Abweichungen von diesen Durchschnittsdaten nicht nur zufällig, sondern zeigen ein Muster? Oder konkreter: Heben Discounter die Preise besonders heftig an? Nun, darauf deutet vieles hin.
So schaut die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) seit April auf die Preisveränderungen von Rewe-Produkten. Die NZZ-Analyse [nzz.ch] zeigt zum Beispiel, dass sich "die Preise von Joghurt der Marke 'ja!' zwischen Mai und Oktober um 47 Prozent erhöhten." Zum Vergleich: unsere Analyse mit Daten des Statistischen Bundesamts zeigt für den Zeitraum Januar 2022 bis Dezember 2022 "nur" eine Teuerung von 26 Prozent für den Durchschnittsjoghurt. Ähnlich sei es bei vielen weiteren Discounter-Produkten laut den schweizerdeutschen Kollegen.
Auch andere Analysen zeigen vergleichbare Ergebnisse. So weist die Seite "Discounter-Preisvergleich" [discounter-preisvergleich.de] für viele Discounterprodukte die Preisveränderungen auf. Für Aldi Süd gibt es sogar eine übersichtliche Liste an Produkten, die die Inflation über den Zeitraum eines Jahres verfolgt. Und auch hier zeigt sich, mit Ausnahme vom Sonnenblumenöl: So ziemlich alles im Discounter hat deutlich stärker im Preis angezogen als im regulären Supermarkt.
Inwiefern diese überdurchschnittlichen Preissteigerungen gerechtfertigt sind, ist nicht ganz einfach zu sagen. Aktuell spielt jedenfalls die Inflation und das Verhalten der Konsument:innen den Discountern in die Hände. Denn weil die Inflation so massiv ist, gehen jetzt auch Menschen zum Discounter, die bislang eher Markenprodukte eingekauft haben. Das jedenfalls legen Befragungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) nahe. Diese Analyse geht auch davon aus, dass der Marktanteil der Discounter am Gesamtumsatz im Lebensmittelbereich aktuell steigt.
Dadurch dass also mehr Kundinnen und Kunden zu Aldi, Lidl und Co. kommen und gleichzeitig selbst bei einem größeren Preissprung die Discounter-Produkte billiger sind als die Markenprodukte, wäre die aktuelle Situation ideal für Discounter, um größere Gewinne zu machen. Einerseits.
Andererseits ließe sich argumentieren, dass Discounter-Produkte per se abhängiger von der Inflation sind. Denn eben weil die Produkte nicht über Werbung angepriesen werden, weil weniger Zwischenstationen in der Produktion und im Handel vorhanden sind, sind diese Produkte ja billiger. Das heißt aber auch, Energie- und Rohstoffpreise machen einen viel größeren Anteil des Endpreises aus. Steigen diese, steigt darum auch der Produktpreis heftiger, ohne dass es viel Puffer in der Kalkulation gibt.
Zudem weist Hanna Kehl von der GfK darauf hin, dass aktuell viele Handelsmarken oder auch umgangssprachlich Markenprodukte vermehrt zum Sonderpreis angeboten werden. Das führe dazu, dass im Vergleich dazu die relative Inflation bei Discounterprodukten höher sei.
So oder so führen die besonders drastischen Preisanstiege zu einer prekären Situation von denen, die vorher schon jeden Cent umdrehen mussten. So sagt Tomaso Duso vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung: "Diejenigen, die bislang sich gerade so die Sachen beim Discounter leisten konnten, werden weniger konsumieren. Also die alte Frau mit kleiner Rente wird einfach eine Packung Milch weniger kaufen, und das ist natürlich ein Problem."
Laut GfK-Umfrage sagen diejenigen, die sich kaum noch etwas leisten können, auch am häufigsten, dass sie sich kaum wertgeschätzt fühlen. Dazu passt ins Bild, dass auch die Tafeln bundesweit davon berichten, rund fünfzig Prozent mehr Kundinnen und Kunden zu haben. Und dazu würden neben Geflüchteten eben auch Erwerbslose und Geringverdiener und Rentner gehören.