Vorstoß auch von Bernauer Richter - Bundesverfassungsgericht hält an bisherigem Cannabis-Verbot fest

Di 11.07.23 | 19:06 Uhr
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Die Spitze eines angezündeten Joints, aufgenommen am 15.04.2023. (Quelle: dpa/Hannes P Albert)
Audio: rbb|24 Inforadio | 11.07.2023 | Gigi Deppe | Bild: dpa/Hannes P Albert

Drei Amtsgerichte, darunter aus Bernau, stellten die Strafbarkeit von Cannabis in Frage. Das Bundesverfassungsgericht sieht das anders - und beruft sich auf einen Beschluss von 1994: Es gebe kein "Recht auf Rausch".

Das bisherige Verbot von Cannabis hat nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes weiterhin Bestand. Die Karlsruher Richter erklärten am Dienstag Vorstöße von Amtsrichtern aus Bernau (Barnim) sowie Paswalk (Mecklenburg-Vorpommern) und Münster (Nordrhein-Westfalen) gegen das Verbot für unzulässig.

Die Amtsgerichte hatten die Strafnormen des Betäubungsmittelgesetzes im Umgang mit Cannabis-Produkten als verfassungswidrig angesehen, entsprechende Verfahren an ihren Gerichten ausgesetzt und sich mit der Bitte um Klärung an das Bundesverfassungsgericht gewandt.

Bundesverfassungsgericht verweist auf Beschluss von 1994

Die Amtsgerichte machten laut Bundesverfassungsgericht geltend, dass das unter Strafe gestellte Cannabis-Verbot unverhältnismäßig in die allgemeine Handlungsfreiheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die Freiheit der Person eingreife.

Das Amtsgericht Bernau bei Berlin begründet ausführlich, warum diese Entscheidung nicht mehr zeitgemäß sei: Der langfristige Cannabis-Konsum habe sich inzwischen als weit weniger gefährlich erwiesen als ursprünglich angenommen. Das Suchtpotential von Cannabis sei wesentlich geringer als das von Nikotin oder Alkohol.

Verfassungsrichter verweisen auf Beschluss von 1994

Zwei Richterinnen und ein Richter des Bundesverfassungsgerichts erklärten die Vorlagen der Amtsgerichte jetzt jedoch als unzulässig. Die Kollegen von den Amtsgerichten hätten nicht ausreichend begründet und belegt, warum von der früheren Verfassungsgerichtsentscheidung heute abzuweichen sei.

Das Bundesverfassungsgericht verwies auf seinen Beschluss aus dem Jahr 1994, wonach die Strafbarkeit von Besitz, Handel, Einfuhr, Abgabe und Erwerb von Cannabis-Produkten ohne Erlaubnis mit dem Grundgesetz vereinbar ist. An der Sach- und Rechtslage habe sich nichts geändert. Bereits damals habe das Gericht entschieden, dass es im Rahmen der privaten Lebensgestaltung kein "Recht auf Rausch" mit Drogen gebe.

Die Verfassungsrichter gaben an, dass die Kollegen an den Amtsgerichten das Ziel des Gesetzgebers nicht richtig verstanden hätten. Mit der Strafbarkeit des Cannabis-Konsums habe der Gesetzgeber nicht nur den einzelnen Konsumenten, sondern insbesondere Jugendliche schützen wollen.

Zudem gehe es bei der Gesetzlage um den Kampf gegen die organisierte Kriminalität. Zwar habe sich der Cannabis-Konsum als weit weniger gefährlich erwiesen als angenommen. Die völlige Ungefährlichkeit sei aber nach wie vor nicht belegt.

Amtsrichter Müller aus Bernau schockiert von Entscheidung

Zudem kritisieren die Verfassungsrichter das Argument der Amtsrichter, dass andere Staaten auch ihre Drogenpolitik lockern würden. Das sei noch kein Grund, dass hier von Verfassung wegen anders vorzugehen sei. Zum Punkt, dass Alkohol schädlicher und gefährlicher sei als Cannabis, sagte das Verfassungsgericht: "Ja, das haben wir schon 1994 anerkannt. Aber wir haben damals auch gesagt, dass sich der Konsum von Alkohol letztlich nicht effektiv unterbinden lässt."

Den Vorstoß gegen das Verbot von Cannabis brachte in Bernau der Jugendrichter Andreas Müller auf den Weg. Der Cannabis-Aktivist argumentiert seit Jahren für eine Veränderung der "gescheiterten Drogenpolitik" und setzt sich für eine Legalisierung von Cannabis ein. Von dem Urteil der Bundesverfassungsrichter zeigte er sich enttäuscht.

"Ich bin immer noch im Zustand des Nichtverstehens und des Schocks über das", was die Richter des Bundesverfassungsgericht gemacht hätten, schrieb Müller auf seinem Twitter-Kanal. "Wie Jahrzehnte die Homosxexuellen und Frauenverfolgung gebilligt wurde, billigen sie jetzt weiter die Cannabis-Verfolgung."

Politik am Zug

Mit der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist klar: Wenn sich in Sachen Cannabis-Verbot etwas ändern soll, muss das der Gesetzgeber regeln. Die Bundesregierung plant die Legalisierung von Cannabis in einem gewissen Rahmen. Ein Gesetzentwurf sieht vor, dass grundsätzlich der Besitz von bis zu 25 Gramm Cannabis für Menschen ab 18 Jahren und der Anbau von maximal drei Pflanzen zum Eigenbedarf erlaubt werden sollen.

Einen freien Verkauf der Droge in spezialisierten Geschäften, wie anfänglich diskutiert, soll es aber nicht geben. Sie soll stattdessen in so genannten "Cannabis Social Clubs" gemeinschaftlich angebaut und abgegeben werden dürfen. Damit sind Vereine gemeint, die nicht-gewinnorientiert sind.

Sendung: rbb24 Inforadio, 11.07.2023 , 12 Uhr

36 Kommentare

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  1. 36.

    Die Richter des BVerfG leben im hier und jetzt. Nur weil manche Cannabis-Konsumenten es nicht akzeptieren können, gibt es keinen Grundrechtsanspruch darauf, sich mit diesem stinkenden Kraut zu berauschen.

  2. 35.

    Die Argumente des BVerfG, was den Vergleich zwischen Alkohol und Cannabis betrifft, erscheinen mir für richterliche Begründungen seltsam widersprüchlich:

    - das generelle Cannabisverbot ziele auf Jugendschutz: bei Alkohol sei das aber nicht geboten?
    - ein Alkoholverbot könne man eh nicht vollständig durchsetzen: bei Cannabis aber schon?

    In welcher Welt leben die?

  3. 34.

    Harte Entscheidung gegen weiche Droge. Also Tütchen drehen und entspannt den Aufreger zur Kenntnis nehmen.

  4. 33.

    "sollte Cannabis das auch tun dürfen"

    Cannabis verursacht kein Leid, kein Elend, keine häusliche Gewalt im Alkoholrausch. Die letale Dosis liegt bei 100g Gras. Das muss man schon essen, um daran zu sterben, aber niemand isst 100g Gras. Aber schon eine Flasche Schnaps kann töten.

  5. 32.

    Der reine Konsum von Cannabis wird doch längst nicht mehr juristisch verfolgt und selbst der Besitz von kleinen Mengen für den Eigenbedarf wird nicht mehr verfolgt. Es muss sich daher am Amtsgericht schon um gravierendere Verstöße gehandelt haben, also das Mitführen größerer Mengen oder das verbotene Führen von Kraftfahrzeugen nach dem Konsum. Das letztere wird auch bei Alkohol äußerst streng geahndet.

  6. 31.

    Ich bin gegen eine Verharmlosung von Cannabis, aber mir ist nicht bekannt worum es in den Urteilen der AG ging?wenn Jemand Cannabis raucht der in eine willkürliche Straßenkontrolle mit dem PKW gerät ist das Auto und die Pappe beispielsweise weg,wenn Jemand Alkohol getrunken hat fällt das eventuell nicht mal auf aber es gibt eventuell nur Punkte in Flensburg.Fährt Jemand mit nur einem Scheinwerfer am Auto wird Derjenige eventuell gar nicht erwischt.Wo ist da das Prinzip der Gleichstellung wenn der Eine korrekt fährt mit Cannabis und dadurch kriminell wird ,während andere nicht korrekt fahren und nur durch Zufall dran sind aber meist so davon kommen.Das hat mit dem Recht auf Rausch nichts zu tun sondern mit Gleichstellung,den wo wäre das Recht auf Alkoholrausch im Auto

  7. 30.

    Es ist schon spannend, wie gerade bei diesem Thema die Emotionen hochkochen und gefühlt keiner zumindest Versucht die andere Seite zu verstehen.
    Objektiv betrachtet ist die bisherige Drogenpolitik gescheitert, bzw. nicht zielführend. Auch wenn ich die Sorgen der Legalisierungsgegner verstehen kann, glaube ich persönlich, dass sie helfen könnte.
    Simplicissimus hat dazu eine sehr informative Doku gemacht, es gibt allerdings zahlreiche solcher Art.

    Am Ende des Tages hat jeder das Recht auf seine eigene Meinung, sich gegenseitig anzufeindden bringt niemanden dazu, seinen Standpunkt kritisch zu hinterfragen.

    Habt einen schönen Tag.

  8. 29.

    Nun formal mag dieser Weg korrekt sein, aber wenn man die Argumentation betrachtet, die doch recht einseitig ist und dabei die Rechte der Nichtkonsumenten auf körperliche Unversehrtheit mißachtet darf man doch schon fragen, ob die Richter jedem Mainstram hinterherrennen oder ob sie nicht ans Gesetz und die Rspr gebunden sind?

  9. 28.

    Und weil Ihrer Behauptung nach Alkohol viel Leid, Elend und Zerstörung mit sich bringt, sollte Cannabis das auch tun dürfen. Auch Drogen haben Gefühle, oder wie?
    Wie kaputt ist diese Gesellschaft eigentlich?

  10. 27.

    Der erste Schritt mag korrekt gewesen sein, die Äußerungen nach dem Urteil kratzen aber schon sehr scharf an den Grenzen des Mäßigungsgebotes. Ein Richter der unteren Instanzen hat sich schlicht und ergreifend der höchsten richterlichen Instanz zu beugen und deren Rechtsvorgaben anzunehmen. Cannabis ist in Deutschland (außer medizinisch verordnet) weiterhin aufgrund der bestehenden Gesetze illegal und das hat das BVerfG als grundgesetzkonform bestätigt. Nicht mehr und nicht weniger.

  11. 26.

    Na dann verbieten wir einfach joints auch in Gaststätten und überall wo Rauchen verboten ist. Das sollte ja die Bedenken ausräumen. Reicht ja schließlich bei Tabak auch.

  12. 25.

    Wenn ich Sie recht verstehe, wollen Sie, dass das BVerfG jedem Mainstream hinterherrennt? Sie scheinen zu verkennen, dass auch diejenigen, die kein Cannabis konsumieren wollen das Recht haben vor den Auswirkungen des Cannabiskonsums geschützt zu werden, ebenso wie die Nichtraucher. Zudem steht ganz deutlich im Beschluss, dass es hier um den Schutz von Jugendlichen geht! Hier gibt es zu Cannabiskonsum diverse Studien, die eine erhöhte Gesundheitsschädigung bescheinigen. Diese Studen werden aber von den Befürwortern ausgeblendet. Zudem erscheint es doch recht merkwürdig, dass ein Jugendrichter als Cannabisaktivist benannt wird. Man sollte meinen, dass Richter sich an geltendes Recht halten und nicht dem Mainstream folgen!

  13. 24.

    Nun dann schauen Sie mal in den Wasseranalysen nach!
    Zudem es geht hier um das Passivrauchen. Ihre Argumente gleichen denen der Raucher, als es um das Rauchverbot in Gaststätten ging!

  14. 23.

    Nun dann denken Sie mal an die Kampagnen gegen Raucher in Gaststätten und die Argumente die dort vorgebracht wurden! Oder meinen Sie man wird als Nichtraucher von den Cannabisschwaden nicht eingehüllt, wenn man durch die Straßen geht und ein Kiffer vor einem ist? Meinen Sie etwa man wäre bei Cannabis kein Passivraucher?

  15. 22.

    Die Unabhängigkeit der Justiz steht ja nicht erst seit den Hausdurchsuchungen im Bundesfinanz- und Justizministerium während des letzten Wahlkampfes auf dem Spiel. Politische Unabhängigkeit sollte in der Justiz die Regel sein und daran mangelt es diesem Beschluss doch ebenfalls. Schon die Bemerkung, dass man das geltende Recht nicht verstanden habe, klingt mehr nach Rachefeldzug, politischer Diskreditierung und politischer Steilvorlage als nach sachlicher und wissenschaftsbasierter Auseinandersetzung. Vielleicht sollte man mal zur Bedingung machen, dass man als Beamter kein Mitglied einer Partei sein darf.

  16. 21.

    "Zudem was ist mit dem Recht derjenigen die den Cannabiskonsum ablehnen"

    Ich glaube nicht, dass jemand plant Cannabis ins Trinkwasser zu schütten oder so. Wer nicht konsumieren will tut das einfach nicht. So wie mit Tabak oder Alkohol halt.

  17. 20.

    Rechtssprechungen ändern sich. Alte Nazi-Urteile 33-45 wurden erst wann aufgehoben?

  18. 19.

    Die Richter haben ja gerade nicht versucht, ihre Rechtsauffassung gegen das BVerfG durchzusetzen, sondern haben den verfassungsrechtlich in Art. 100 GG vorgesehenen Weg der Richtervorlage gewählt.

  19. 18.

    „ Zudem was ist mit dem Recht derjenigen die den Cannabiskonsum ablehnen. Ist ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit geringer zu achten?“
    Wenn jemand etwas nicht macht … wie kann es sich negativ auf seine körperliche Unversehrtheit auswirken ?

  20. 17.

    Sehr gut, Demokratie funktioniert :-)

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