Dieses Gebäude an der Wilhelminenhofstraße 66 in Oberschöneweide wirkt auf den ersten Blick eher abweisend, es steht seit Jahrzehnten leer und ist verschlossen. 2022 hat es der Berliner Immobilienentwickler Trockland gekauft und will es nun sanieren. Hier sollen unter anderem ein Hotel, Büroflächen, Gewerbe, ein Restaurant und ein Dachgarten entstehen.

Noch macht es das Haus einem leicht, keine Notiz von ihm zu nehmen und einfach dran vorbeizufahren. Der Säulengang zum Fußweg hin ist zugetaggt, frühere Eingänge sind zugemauert. Aber das Gründerzeitgebäude mit der violett-braunen Klinkerfassade hat eine spannende Geschichte.

Schöneweide, zunächst für die Berliner Bevölkerung ein Ausflugsziel vor den Toren der Stadt, wird um die Jahrhundertwende wichtiges Zentrum der Industrie. Zuvor war hier alles grün - eine "schöne Weyde". Es gibt sogar Ansichtskarten von hier.

Doch die Fabriken brauchen bald mehr Platz und aus Schöneweide wird "Elektropolis": Die noch junge Elektroindustrie dominiert bald die Gegend, die ab 1920 zu Groß-Berlin gehört. Der bekannteste Name: AEG. Die "Akkumulatorenfabrik AG (AFA)" stellt bald tragbare, leichte Akkus und Batterien her. Um die Mitarbeiter besser zu versorgen, lässt die Unternehmensleitung 1913 ein Wohlfahrtsgebäude für sie errichten - hier rot eingekreist.

Hier im Wohlfahrtsgebäude, ungewöhnlich großzügig gebaut für damalige Verhältnisse, können sich die Arbeiter waschen, baden und zusammen essen. Die Angestellten werden auch am Gewinn des Unternehmens beteiligt.

Die Arbeit in der Akkufabrik ist gesundheitsschädlich - das liegt vor allem an der Verarbeitung des Bleis, das für die Produkte notwendig ist, aber auch an Lösungsmitteln und Schwefelsäure. Deshalb will das Unternehmen die Hygiene verbessern: Um Vergiftungen zu vermeiden oder zumindest frühzeitig zu erkennen, müssen sich die Arbeiter waschen (in diesem Raum), baden und regelmäßig ärztlich untersuchen lassen. Im Ersten Weltkrieg ist hier ein Lazarett untergebracht.

Unter der Nazi-Herrschaft profiziert die Akkumulatorenfabrik vor allem von Rüstungsaufträgen, hier die Kantine im Wohlfahrtsgebäude. Während des Zweiten Weltkrieges zwingt die AFA knapp 1.000 Gefangene aus der Sowjetunion zur Arbeit in der Fabrik. Sie müssen Akkus für U-Boote und Teile für "V2"-Raketen herstellen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wird das Wohlfahrtsgebäude zum "Haus der Kultur der Sowjet-Union" umgebaut. Viele Fenster werden zugemauert, zusätzliche Treppenhäuser eingezogen.

Ab 1950 nutzt der benachbarte VEB "Werk für Fernsehelektronik" (WF) das riesige Gebäude. Es ist eines von vier Betriebs-Kulturhäusern in Schöneweide.

Dort finden nun verschiedene Veranstaltungen statt, zum Beispiel im Terrassensaal, für wenig oder keinen Eintritt. Hier war es ein Tanzabend - das Parkett in der Mitte ist frei geblieben.

So sieht der 500 Quadratmeter große Saal heute aus. Die früheren Fenster auf der rechten Wand sollen wieder freigelegt, die Bühne soll erhalten werden.

Der jahrzehntealte Originalvorhang hängt noch - ein Feuer hat ihm glücklicherweise keinen größeren Schaden anhaben können.

Das ehemalige Tanzparkett liegt heute hellgrau und verstaubt darnieder. Es soll aufgearbeitet werden, ganz wie es der Denkmalschutz verlangt.

Auch die Kassettendecke wird restauriert. Der abgehängte, untere Teil stammt aus DDR-Zeiten, der obere noch aus der Zeit des Kaisserreichs.

Das Haus ist zu DDR-Zeiten wie ein Gemeindezentrum für die Beschäftigten und ihre Familien - hier die Kinderweihnachtsfeier 1954. Es gibt einen Kammerchor, einen Jugendklub, eine Biblibothek und immer wieder Konzerte.

Ehemalige Garderoben für Künstlerinnen und Künstler. Wo früher drei Schminkspiegel samt Beleuchtung hingen, ragen heute nur noch ein paar alte Drähte aus der Wand. Über dem Waschbecken sind fünf gelbe Handtuchhaken übriggeblieben.

Nach der Wende wird das WF-Kulturhaus geschlossen, der Industriestandort bricht zusammen. Zu DDR-Zeiten arbeiteten hier noch etwa 25.000 Menschen: In den Kabelwerken Oberspree (KWO), der Transformatorenfabrik (TRO), dem Werk für Fernsehelektronik oder der Berliner Akkumulatoren- und Elementefabrik (BAE). Die Zahl der Arbeitsplätze sinkt binnen weniger Jahre auf knapp 3.000.

Aus dem Kulturhaus wird unter anderem ein kurdisches Kulturzentrum, das geht allerdings schnell pleite. Mehrere andere Anläufe, das Gebäude umzunutzen, scheitern. Trotz verschiedener Pläne von Investoren setzt sich der Zerfall des leerstehenden Hauses seit Jahren fort.

Oberschöneweide aber hat sich in dieser Zeit stark gewandelt. Seit Ende der 90er steigt die Einwohnerzahl des Viertels wieder. "Oberschweineöde", wie die Gegend spöttisch bezeichnet wird, ist es hier an vielen Stellen nicht mehr.

Direkt gegenüber des WF-Kulturhauses ist 2009 die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) mit einem zweiten Standort gezogen. Etwa 10.000 Studierende sind hier immatrikuliert. In den nahen Reinbekhallen kann man Kunst bestaunen, Ateliers und einige Start-Ups haben hier Platz gefunden. Das hat auch Folgen für die Mieten: Investoren haben Oberschöneweide längst entdeckt.

Der Nachfolgebetrieb der AFA-Fabrik, die damals das Wohlfahrtsgebäude bauen ließ, hat es übrigens als einer der wenigen in der Ecke bis in die Gegenwart geschafft. Die "BAE Batterien GmbH" ist noch heute genau nebenan untergebracht. Heute stellt der Mittelständler vor allem Batterien für die Notstromversorgung in Datenzentren oder Krankenhäusern her.

Am Behrens-Ufer am Ende der Wilhelminenhofstraße saniert die Firma "DIE AG" das ehemalige Werk für Fernsehelektronik mit seinem ikonischen Turm - der war mal der höchste der Stadt. Links im Vordergrund das Ex-Kulturhaus. Nicht weit entfernt hat Trockland auch das ehemalige DDR-Rundfunkgebäude an der Nalepastraße gekauft. "Boom-Korridor Berlin-Südost" nennt die Firma in ihrem Exposé die Gegend.

Am ehemaligen Kulturhaus merkt man von diesem Boom noch nichts. Birken wachsen aus dem Mauerwerk. Aber schon Ende 2024 sollen hier die Bauarbeiten beginnen.

Auf die Rückseite des Gebäudes soll ein zusätzliches "Gartenhaus" gesetzt werden, in das Dach sollen Lichtbänder eingezogen werden, um viel mehr Helligkeit ins Haus zu lassen.

Dieses Treppenhaus soll zurückgebaut werden, dann stünde man hier im Garten, so die Pläne von Trockland.

Im Erdgeschoss, noch sind da nur düstere Gänge, soll ein Restaurant entstehen - so könnte es laut der Visualisierung des Investors aussehen.

So bewirbt Trockland die zukünftige Lobby des "Wilhelmine"-Gebäudes.

In dem Gebäudekomplex könnte ein "Boutique-Hotel" mit 84 Zimmern entstehen, besagt das Exposée. Die HTW habe schon Bedarf für Hotelzimmer und Tagungsräume geäußert, sagt die Firmensprecherin. Die Verbindung zwischen den Gebäudeteilen schafft ein Atrium mit begehbarem Dachgarten.

Das frühere Kulturhaus könnte düster und bedrohlich wirken, so marode und verlassen es seit Jahrzehnten ist. Aber läuft man durch die helleren Bereiche des Hauses, hat man keinen bedrückenden Eindruck.

Schließlich war dieses Haus jahrzehntelang von Leben erfüllt. Hier wurden Betriebsfeiern, Geburtstage, Faschingspartys gefeiert - Getränke gabs zum Beispiel in dieser Bar. Im Vergleich dazu zogen die Vorträge, die hier zwecks der von der DDR-Führung gewünschten "Volkserziehung" gehalten wurden, laut Zeitzeugen nicht so gut.

"Gegessen und getrunken wurde hier immer viel und gut", sagt die Projektmanagerin Gesine Lenz und dieser Eindruck drängt sich einem beim Rundgang durch das Gebäude tatsächlich auf. Hier der Tresen der Küche, an dem die Kellnerinnen und Kellner das Essen und die Getränke bestellten und abholten.

Und hier die Küche mit ihrer markanten Belüftung: Die schmutzigen Herde sehen, aus, als habe sie jemand vor langer Zeit plötzlich stehen lassen. Der Feuerlöscher ist noch aus DDR-Beständen.

Könnte auch als Installlation im Museum of Modern Art hängen, ist aber eine Tür im Dachgeschoss. Die Farbe sieht aus, als habe sie einfach nur noch abhauen wollen.

Das früheres Aufnahmestudio des Kulturhauses im Obergeschoss. Die Tapetenkombination ist: interessant.

Aber auch diese Verbindung hier beweist, dass die Einrichter ein Herz für Kontraste hatten.

Ein großes Problem ist die Feuchtigkeit: An vielen Stellen ist immer wieder Wasser ins Gebäude gedrungen, hat den Boden gewellt oder aufplatzen lassen. Unübersehbar sind auch die Spuren von Vandalismus im Haus. Sprayer in den Anfangsstadien ihres Könnens haben sich überall ausgetobt.

Die ehemaligen Kassenschalter des Kulturhauses, verborgen hinter dem verschlossenen Säulengang an der Straße. Hier könnte ein Coffee Shop hinein, sagt Trockland.

Die Rückseite des künftigen Haupteinganges. Von außen sieht er aus wie ein trauriges Gesicht - die Glasbausteine da oben wären dann der Mund.

Die Baugenehmigung erhofft sich Trockland im kommenden Jahr - was die denkmalgerechte Sanierung dieses Gebäudekomplexes kosten soll, dazu schweigt das Unternehmen. Wenn alles so läuft wie vom Eigentümer geplant, soll die "Wilhelmine" in der ersten Jahreshälfte 2026 eröffnen. | Zum Beitrag