Für Jugendliche und ihre Familien - Neue queere Beratungsstelle eröffnet in Neuruppin

Di 10.10.23 | 21:21 Uhr | Von Björn Haase-Wendt
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Neue queere Beratungsstelle eröffnet in Neuruppin. (Quelle: rbb)
Bild: rbb

Nicht selten sind queere Jugendliche von Ausgrenzung betroffen. Bisher mussten sie, wenn sie zum Beispiel aus dem Nordwesten Brandenburgs kommen, nach Berlin oder Potsdam fahren, um Hilfe zu bekommen. Nun gibt es in Neuruppin eine neue Beratungsstelle. Von Björn Haase-Wendt

Das Coming-out von Peter* vor zwei Jahren war nicht geplant. Eine Postkarte von seinem Freund landete bei seinen Eltern. Doch statt Verständnis schlug ihm vor allem eines entgegen: "Sehr viel Abweisung, sehr viel Distanz von den Eltern. Das war schwierig, ich hätte mir etwas anderes gewünscht", sagt er.

Auch im Dorf ist seine sexuelle Identität bis heute Gespräch, nachdem er sich seinen Freunden anvertraut hat und selbst in Neuruppin, wo er heute eine Ausbildung zum Erzieher macht. "Wenn ich von Neuruppin aus nach Hause fahren will, bekomme ich in der Stadt immer noch Schwuchtel hinterhergerufen."

Weitere Infos

Die queere Beratung findet jeden zweiten und vierten Montag im Monat von 16.30 Uhr bis 19 Uhr im Haus der Begegnung in Neuruppin statt. (Franz-Künstler-Straße 8) Um vorherige Anmeldung wird gebeten: 0163-3802379

Peter musste sich bisher alleine durchschlagen

Der 20-Jährige aus einer gut 4.000 Einwohner starken Gemeinde im Nordwesten Brandenburgs, musste sich mit seinen Problemen allein durchschlagen. Denn Hilfsangebote für lesbisch, schwule, bi- oder transgender-Jugendliche gab es bislang keine in der Region. Die nächsten Beratungsstellen sind erst in Berlin oder Potsdam zu finden.

Das Queere Netzwerk Neuruppin ändert das nun, auch auf Wunsch der Jugendlichen. "Wir haben mit der Jugendorganisation Queerlinge ein offenes Café gehabt und da kamen immer Ratsuchende", sagt Psychologe Lars Allolio-Näcke. Zweimal im Monat bietet der Psychologe und Berufsschullehrer gemeinsam mit der Rehabilitations-Psychologin Babett Jungblut nun im Haus der Begegnung in Neuruppin die Beratung an. "Wenn jetzt Jugendliche oder junge Menschen merken, ich fühle etwas und das ist nicht so, wie von den anderen, die neben mir leben oder ich habe blöde Erfahrungen damit gemacht. Das ist das eine. Wir sind aber auch Ansprechpersonen für andere die zum Thema Fragen haben", sagt Babett Jungblut.

Großer Beratungsbedarf

Der Bedarf ist groß. Bereits kurz nach der Ankündigung des neuen Angebots meldeten sich die ersten Jugendlichen telefonisch, zum Auftakt des neuen Angebots gab es im Haus der Begegnung zwei vertrauliche Gespräche. Immer wieder berichten die queeren Jugendlichen von Problemen, Ausgrenzung, Hass.

Eine Erfahrung die auch Psychologe und Berufsschullehrer Lars Allolio-Näcke in seinem beruflichen Alltag macht: "Bei mir an der Schule ist das relativ offen, da kann man schwul oder lesbisch sein. Nebenan ist aber das Oberstufenzentrum. Dort ist es schwierig. Ich kenne Lehrer, die nicht in ihrer sexuellen Identität auftreten, weil es eine Gefahr ist."

Verstaubte Rollenbilder in der Gesellschaft

Lars Allolio-Näcke sieht das Problem in den oftmals noch verstaubten Rollen- und Familienbildern. "Das ist ein Schichtenproblem", sagt er und meint damit vor allem die bildungsferneren Lebenswelten. Dort gebe es eine große Dunkelziffer von Menschen, die ihre Identität nicht zeigten. "Die in heterosexuellen Beziehungen leben, aber eigentlich schwul, lesbisch oder was auch immer sind. Aber da darf es das nicht geben, weil das Patriachat dort immer noch eine große Stellung hat", sagt Allolio-Näcke. Queere Jugendliche würden deshalb auch heute noch aus ihren Familien fliegen.

Ein weiteres Problem sind oftmals falsche Informationen rund um die Belange von lesbisch, schwulen, bi-, inter- oder transgender-Menschen. "Die Diskussionen gibt es und auch oftmals von Kräften, die nicht gerade demokratieförderlich sind", sagt Babett Jungblut. Die Jugendlichen, die in der Selbstfindung sind, hören aber davon und die Diskussionen treiben sie um. "Da ist es besonders wichtig, gute und ausreichend Fachinformationen weiterzugeben."

Mehr queere Sichtbarkeit

Diese Informationen will die queere Beratungsstelle in Neuruppin liefern und bei Bedarf an Experten vermitteln. Vor Ort mit den auf Wunsch anonymen Gesprächen, aber auch telefonisch oder wenn es drängt über ein Online-Gespräch. Momentan findet das Angebot auf ehrenamtlicher Basis statt, mit Unterstützung der Stadt Neuruppin, die die Räume kostenlos zur Verfügung stellt.

Ihr war es wichtig, solch ein Angebot für die Stadt aber auch für den Landkreis Ostprignitz-Ruppin zu schaffen, sagt die Neuruppiner Beigeordnete Daniela Kuzu auf rbb-Anfrage: "Wir haben erkannt, dass gerade zum Thema LGBTIQ+ wenig Sichtbarkeit in der Stadt und im Landkreis herrscht. Auch der Umgang mit diesem Thema braucht Offenheit, um Toleranz und Akzeptanz zu fördern."

Schon im Frühjahr 2022 gab es in der Stadtverwaltung deshalb einen ersten runden Tisch, um die Belange und Nöte von queeren Menschen in der Stadt zu klären. Als erster Schritt bildete sich ein Netzwerk mit gut 40 Aktiven, die sich nun zum Verein "Queeres Netzwerk Neuruppin" zusammenschließen. Neben der Beratung soll es auch Veranstaltungen wie Partys für queere Menschen und im kommenden Jahr den ersten Christopher Street Day in der Stadt geben. Außerdem Bildungsangebote etwa für Schulen und Kitas.

Neue queere Beratungsstelle eröffnet in Neuruppin. (Quelle: rbb)

Es tut mir für andere queere Menschen leid, aber ich habe hier viel Negatives erlebt

Peter*

Aufklärung für Eltern

Für Peter* ist das eine gute Entwicklung. Gerade die Beratungsstelle könne für Jugendliche und ihre Familie eine Stütze sein. "Man kann halt sagen, Mama und Papa, habt ihr Lust, wollen wir dort reden. Damit die Eltern aufgeklärt werden über das Thema und über das, womit ihr Kind zu kämpfen hat", sagt der 20-Jährige.

Aufgrund der schlechten Erfahrungen in seiner Familie und im Umfeld will er seiner Heimatgemeinde aber nach dem Abschluss der Ausbildung den Rücken kehren und in eine Großstadt ziehen, auch wenn damit ein Stück queere Sichtbarkeit auf dem Land verloren geht. "Es tut mir für andere queere Menschen leid, aber ich habe hier viel Negatives erlebt", sagt er.

* Name auf Wunsch geändert

Sendung: Antenne Brandenburg, 10.10.2023, 15:10 Uhr

Beitrag von Björn Haase-Wendt

19 Kommentare

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  1. 19.

    Wenn ich eingangs geschrieben habe, dass es mutig ist, diese Beratungsstelle zu eröffnen, dann zeigen einige Kommentare hier, wie sehr mutig das wirklich ist. Schließlich sind wir hier einfach nur online, die sind da draußen und müssen das aushalten.

  2. 18.

    Dann schreiben sie mal einfach, was sie mit "Extrawünschen" meinen. Wenn sie schon Probleme mit einer Beratungsstellen haben, die ehrenamtlich betrieben werden, dann scheinen ihnen sehr viele Sachen zu stören.

  3. 17.

    Super Kommentar. Besser kann man es nicht zusammenfassen. Genau so ist es! Besten Dank dafür!

  4. 16.

    Hallo Liebe Trine,
    Ich verstehe dein Punkt!
    Aber sind unsere Jugendlichen nicht unsere Zukunft?
    Klar das Thema ist im Moment sehr populär aber warum wohl? Richtig weil der Hass gegenüber queeren* Menschen zugenommen hat. Also ist es auch ein wichtiges Thema. Du kannst leider nicht nachvollziehen wie ich mich hier in der Umgebung als Homosexueller Mann fühle, geschweige denn kannst du keine Queere Person nachvollziehen. Dennoch alles gute dir. :)

  5. 15.

    Der Kommentar hat schon homophobe Züge. Sie können nicht mal einen Grund sagen warum diese Beratungsstelle nicht sein darf. Das Angebot findet auf "ehrenamtlicher Basis" statt und ihr Vorkommentator fängt mit "wir haben größere Probleme" an. Wenn nicht homephob, warum wird sich dann über solch eine Nichtigkeit aufgeregt?

  6. 14.

    So sehe ich es auch. Viele, sehr viele leben einfach ihr Leben wie sie es wollen. Machen nicht solch Gewese. Aber mit dem ständigen Extrawünschen und buntem hervortun wird teilweise das Gegenteil von Akzeptanz hervorgerufen.

  7. 13.

    Was hat ihr Kommentar mit der "Beratungsstelle" zu tun? Und welche großen Probleme können jetzt dadurch nicht gelöst werden?

  8. 11.

    Ich kann Tines Beitrag nur zustimmen und gebe dafür 10 Punkte. Sie machen sich mit ihren Erläuterungen immer sehr viel Mühe, aber die von ihnen genannten Themen gehören nicht zusammen. Inzwischen spielt ja in fast jedem Film ein schwules oder lesbisches Pärchen mit. Ich finde das nicht normal, tut mir leid.

  9. 10.

    Da schreibt jemand, dass alle so sein können wie sie möchten und weist darauf hin, dass es aber noch andere Probleme gibt und schon wird man in eine homophobe Ecke gestellt. das nennt man Intoleranz anderen Meinungen gegenüber ! Ich bin ein Mann, jetzt 60, mit einem Mann verheiratet, mit einem Ausländer und Moslem obendrein . Dieses Thema wird derart strapaziert, dass sich viele Schwule, die einfach nur schwul sein wollen total genervt fühlen. Diese ganze LGBTQ+ sonst was Bewegung empfinden viele Leute wie ich einfach aufgebauscht und in den Mittelpunkt gehoben, dass man sich einfach nur davon distanzieren will. Viele meiner Freunde und Bekannten sehen das so und sehen die Dinge , die damit einhergehen total kritisch ( Dragqueens im Kindergarten, Hormonhemmer in der Pubertät usw). Lasst die Leute machen, wer Hilfe haben möchte bekommt sie aber hört auf zu agitieren und alle, die es anders sehen zu diffamieren wie Sie es getan haben !

  10. 9.

    Sehr richtig kommentiert.
    Solch Beratungsstellen sind ungeheuer wichtig. Vor allem für diejenigen mit ein Coming Out.

  11. 7.

    Diese Beratungsstelle verhindert also was genau? Das größere Sachen nicht gelöst werden? Was denn was für ein Quatsch.

  12. 6.

    Das nennt man Homophobie. Trauriger Kommentar. Diese Kommentare klingen immer ähnlich. Vielleicht mögen Sie keine Minderheiten, aber irgendwann gehört jeder zu einer Minderheit in dieser Gesellschaft und benötigt gesellschaftliche Akzeptanz und Hilfe. Da Homophobie leider immer noch die Dekadenz in vielen Köpfen signalisiert, ist diese Beratungsstelle bitter nötig. Es freut mich, dass es diese Beratungsstellen gibt. Stellen Sie sich vor, Sie wären alt und schwerbehindert und hätten als Angehöriger einer Minderheit keinen Sozialverband, keine Anlaufstelle für Ihre Probleme, alle anderen würden sagen, bauscht das Thema nicht so auf, es gibt wichtigere Themen als Behinderung und Alter, warum sollte man da unnötig Hilfe anbieten.
    Homophobie klingt immer ähnlich.

  13. 4.

    Von mir aus kann jeder sein Leben so gestalten, wie er es möchte. Ob schwul, lesbisch, quer, es ist in unserem Land gelebt und geduldet. Ich selber bin auch der Meinung, jeder wie er es mag. Nur finde ich, dass das Thema mittlerweile sehr aufgebauscht wird. Es gibt größere, weitaus viel schlimmere Sachen, die gelöst werden müssen, ansonsten wird das Chaos in Deutschland noch größer!

  14. 3.

    Wirklich mal eine positive Nachricht.
    Hätte ich Neuruppin gar nicht zugetraut.

  15. 2.

    Ich finde es auch mutig, diese Beratungsstelle zu eröffnen. Es wird sicher nicht einfach. Ich wünsche allles Gute für diese wichtige Arbeit!

  16. 1.

    Schön dass es diese Beratungsstelle jetzt gibt, traurig dass es für diese Beratungsstelle noch Bedarf gibt. Wir schreiben das Jahr 2023.

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