Unterführung in Charlottenburg-Wilmersdorf - Ping-Pong statt Pipigeruch: Bezirk testet Messedammtunnel als Veranstaltungsort

Fr 01.03.24 | 19:36 Uhr
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Archivbild:Unterführung zwischen ICC und Busbahnhof am 30.04.2021.(Quelle:imago images/J.Ritter.)
Bild: imago images/J.Ritter

Er mieft und taugt vor allem als Kulisse für düstere Action-Filme: Der Messedammtunnel am ZOB. Irgendwann soll er gänzlich schließen, bis dahin aber hat der Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf neue Pläne mit der "Passerelle".

Keine Frage: Berlin hat echt hässliche Ecken. Eine, die besonders zentral gelegen ist, ist die Fußgängerunterführung unter dem Messedamm - gleich zwischen Messehallen, Zentralem Omnibusbahnhof (ZOB) und dem ICC. Wer sich in den Schlund unter den Berliner Asphalt wagt, den erwartet eine Mischung aus verstörender Tatort-Atmosphäre, orangenem Retro-Design und innerstädtischem Lost Place inklusive Uringeruch und Müll.

Das mag für Menschen mit Hang zu urbanen Mikroabenteuern faszinierend sein. Oder für die Kinobranche – in der Grusel-Unterführung entstanden schon etliche Filme. Doch der eigentliche Nutzen der Unterführung ist seit Jahren gefühlt obsolet.

Was beim Berliner nur ein Kopfschütteln hervorruft, wird für auswärtige Gäste der Stadt zum Problem. Lange Gesichter beim Zu- oder Umstieg von der S-Bahn zum ZOB oder zu den Messehallen. Wer nicht mehr weiterkommt, versucht es auch mal über die Radwege über die Kreuzung zu gelangen – zum Ärger der Radfahrer. Nicht zuletzt kann die mehrspurige Kreuzung hier sehr gefährlich sein.

Der sicherste Weg ist derzeit eine oberirdische Behelfsampel vor dem ZOB-Gelände – mit Schildern mit Hinweisen zur S-Bahn, die jedoch auch übersehen werden können.

Messedammtunnel soll geschlossen werden

Dabei könnte es so einfach sein: Eine gut ausgeschilderte Unterführung unter der Straße durch – stark ausgeleuchtet, mit internationalen Hinweisschildern, Rolltreppen, Fahrstühlen, barrierearm. Dass es diese tatsächlich gibt, sie aber praktisch unnutzbar ist, wirkt skurril.

Wahrscheinlich ist dies auch der erste Eindruck vieler auswärtiger Fahrgäste, die zum und vom ZOB kommen und den Fußgängertunnel als Option wahrnehmen. "Man darf nicht vergessen, dass wir als Weltstadt Berlin natürlich auch ein Interesse daran haben, dass die Gäste, die hierherkommen, sich hier auch wohlfühlen", sagt Carsten Rudolph, Vorstand AG City dem rbb.

Im Sommer 2023 teilte die Berliner Verkehrsverwaltung mit, dass der Fußgängertunnel am ehemaligen Kongresszentrum ICC geschlossen werden soll. Geplant sei, den Fußgängerverkehr "künftig oberirdisch abzuwickeln und die Anlage außer Betrieb zu nehmen", so eine Sprecherin zum damaligen Zeitpunkt.

Bislang fehlen aber an der großen Kreuzung von Messedamm, Masurenallee und Kantstraße Ampeln für Fußgänger – das ganze Ensemble müsste umgebaut werden. Für den Tunnel würden dann allerdings die Instandhaltungs- und Reinigungskosten sinken.

Auf Anfrage teilte die Verkehrsverwaltung dem rbb mit, dass auch im März 2024 weiterhin kein Zeitplan für eine Schließung und möglichen Umbau vorläge. Im ersten Halbjahr 2024 soll aber eine Machbarkeitsuntersuchung "Möglichkeiten der ebenerdigen Führung des Fußgängerverkehrs" aufzeigen, ob man in Zukunft auf die "Passerelle" als Ort für den Fußgängerverkehr verzichten könne. Die Ergebnisse könnten auch als Anhaltspunkt dienen, wie die Kreuzung zu einem späteren Zeitpunkt einmal umgebaut werden könnte.

Retro-Tunnel am Messedamm soll 2024 Veranstaltungsort werden

Daher nun ein neuer Versuch: Der Retro-Tunnel mit Eröffnungsjahr 1975 soll nun Veranstaltungsort werden.

So soll der Messedammtunnel in der Zeit der der Internationalen Tourismusbörse (ITB) vom 5. bis 7. März zur Konzertbühne werden [berlin.de]. Dies gab die Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe am Freitag bekannt. In der Zeit von 10 bis 21 Uhr sollen Berliner Künstlerinnen und Künstler für Passanten und Gäste der ITB auftreten Das Projekt findet zusammen mit dem Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, der Berlin Club Commission, Messe Berlin und visitBerlin statt.

Vom 26. bis 28. April wiederum soll unter der Fahrbahn ein öffentliches Tischtennis-Turnier stattfinden. Mit maximal 200 Leuten und acht Tischtennis-Platten - wegen der Fluchtwege. Toiletten und Lagerfläche gäbe es, denn der Tunnel war ursprünglich mal als Verbindungsweg zu einem geplanten U-Bahnhof vorgesehen.

"Es geht uns darum, dass wir unten in der Passarelle eine dauerhafte, inhaltliche Bespielung haben", so Oliver Schruoffeneger (Grüne), Bezirksstadtrat für Ordnung, Umwelt, Straßen und Grünflächen, gegenüber dem rbb. "Die einerseits der Nachbarschaft und den Menschen was bringt, aber auch ein Stück weit soziale Kontrolle da reinbringt, damit da beobachtet wird, was da passiert."

Ausgedacht hat sich das Ganze die Agentur "Die Wellenmaschine". Agentur-Geschäftsführer Uwe Buhrdorf ist laut "Tagesspiegel" [Bezahlinhalt] auch einer der beiden Autoren einer Machbarkeitsstudie für Nutzungskonzepte für die "Passerelle". Die Studie wurde bereits im Jahr 2020 vorgelegt.

Imagewandel für den Tunnel – Bezirk hofft auf Einnahmen

Rund 50.000 Euro soll das Tischtennis-Turnier unterm Asphalt laut "Tagespiegel" kosten, man hoffe auf eine "Anschubfinanzierung" des Landes Berlin – zum Beispiel über die Bettensteuer (City Tax). Zwei oder drei weitere Veranstaltungen könnten 2024 noch folgen, denkbar sind Musik- oder Sportevents. Zum Vergleich: Derzeit entstehen pro Jahr Unterhaltskosten für den Messedammtunnel in Höhe von von 350.000 Euro.

Mehr Events bedeuten langsamen Imagewandel – und bedeuten, der Tunnel könnte eine neue Chance haben. Über Vermietungen und Werbung könnten so laut Schruoffeneger Einnahmen generiert werden, die in die Unterhaltung des Tunnels flössen. Vielleicht lassen sich damit auch die Probleme der Rolltreppe lösen – zwei davon wurden ausgeschlachtet, weil Ersatzteile fehlen. Auch die passenden Leuchtstoffröhren für die Lampen in der Unterführung gibt es bereits nicht mehr.

Sendung: rbb Abendschau, 29.02.2024, 19:30 Uhr

15 Kommentare

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  1. 15.

    Sehe ich absolut auch so. Alles vorhanden, um die Fußgänger von der Monsterkreuzung fernzuhalten, also warum bitte nur kommt niemand auf die Idee den Tunnel zu reaktivieren?? Gerade weil wor viele internationale Messebesucher haben und an diesen Tagen doch nucht ernsthaft die Massen künftig über diese Kreuzung geführt werden sollten.
    Ein bisschen hauptstädtisch könnte sich Berlin ja mal geben und hier umfassend investieren.

  2. 14.

    Ich verstehe nicht, warum der Tunnel geschlossen werden soll, ist doch viel sicherer als über diese gruselige Kreuzung! Für mich ist er abgesehen vom Dreck einer der schönsten in Berlin, und DIESES Problem haben wir ja wahrlich nicht nur dort! Wenn es danach ginge, müsste so einiges geschlossen werden, angefangen bei den Parks....

  3. 13.

    Erinnerungen an meine Kindheit. Mir gefiel der Tunnel damals. Mit Glück funktionierten die Rolltreppen.

    Schönstes 70er-Jahre-Design. Kann man das nicht unter Denkmalschutz stellen?

    Es kann doch nicht so schwer sein, die Rolltreppen auszutauschen, neue Beleuchtung in die vorhandenen Lampen zu bekommen und das Areal per Video zu überwachen.

    Sicher deutlich preiswerter und schneller als ein Neubau oberirdisch.

  4. 12.

    Korrekt, noch einige Kameras zur aktiven Kontrolle installiert, Thema erledigt.

  5. 11.

    Merkwürdig, kommt wirklich niemand auf die Idee das der Fussgängertunnel eine sinnreiche Bedeutung hat und hatte?
    Der gesamte Kreuzungsbereich dort ist wirklich nur unterirdisch ohne Probleme querbar und die Messe erreichbar.
    Was ist nur in Berlin los?

  6. 10.

    Genau Björn. Daran hab ich auch schon gedacht! Warum in die Ferne schweifen, wenn das Glück is so nah!?

  7. 9.

    Meine Fresse, warum installieren sie da nicht ein gänzlich neues Lichtsystem, sodaß alle Winkel ausgeleuchtet werden - so schwer kann doch nicht sein!

  8. 8.

    Mir fällt dazu folgendes ein. Beim Thema Legalisierung v.Cannabis die erste staatlich kontrollierte Aufzuchtstation einrichten für Berlin. Platz ist vorhanden und wenn’s klappt weiter zum ICC übergreifen. Leute, benutzt euren Verstand. Einmalige Gelegenheit. Und mit einem Schlag wäre auch das Problem Dealer im Görli Park u.anderswo Geschichte.

  9. 7.

    Man kommt aus dem Kopfschütteln nicht mehr raus. Sanieren will man nicht, die Rolltreppen können nicht mehr repariert werden, aber nun sollen regelmäßige Events stattfinden. Gerade geht es darum, wo sinnvoll gespart werden kann. Wie wäre es hier? Was sagt eigentlich der Rechnungshof dazu und was soll das überhaupt. Ich empfand den Beitrag echt nur zum Fremdschämen. Berlin ist sich manchmal für nichts zu schade. Zuschütten das Ding und gut ist es.

  10. 6.

    .... der sollte doch mal zugeschüttet werden....
    Und oben auf der Straße eine neue Verkehrloesung für alle Beteiligten gefunden werden...
    Ja, das ist Berlin. Zur nächsten Messe schämen sich die Berliner wieder. Aber die Gäste kennen das ja bereits.

  11. 5.

    Grundsätzlich ist erst mal jegliche Idee willkommen, diesen Un-Ort zu beleben. Ob nun allerdings Tischtennisturniere dabei hilfreich sind, sei dahin gestellt; wir werden sehen, was es bringt.
    Um dieses gesamte Areal erträglich zu gestalten, hilft wohl nur ein kompletter Umbau der Kreuzung - ein Jahrzehnt-Projekt. Und ja, auch samt Abriss dieser unsäglichen ICC-Ruine, die jährlich an die 2 Millionen Euro an Unterhalt kostet.
    Aber das traut sich momentan niemand laut auszusprechen...

    PS:
    Ich mochte diesen Ort früher sehr, natürlich wegen seines Designs, und weil es die einzige Verbindung zwischen den breiten, sozusagen großspurigen Asphaltflächen war, gebaut in einer Zeit, als Autos noch das Nonplusultra bedeuteten.

  12. 4.

    Legga. Das Mikroklima da dürfte weder für Instrumente noch für Sportler besonder "dufte" sein.
    Mal vom Gestank abgesehen meine ich feucht-kalt-zugig.

  13. 2.

    Warum nicht den U-Bahnhof darunter in Betrieb nehmen? Oder wird das wieder nichts mit der Verkehrswende?

  14. 1.

    Ein paar Tischtennis-Platten werden das Problem dieses größten innerstädtischen Urinals nicht lösen. Wie kann man auf so eine Schnapsidee kommen? Und dafür wird eine „Eventagentur“ auch noch teuer bezahlt. Unfassbar.

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