Berliner Ankunftszentrum für Geflüchtete - "Tegel ist kein Ort, den sich irgendjemand wünscht"

Fr 08.12.23 | 09:29 Uhr | Von Thorsten Gabriel und Franziska Hoppen
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Ein neunjähriger Junge aus Syrien, der ein Deutschland-Trikot trägt, sitzt im Ankunftszentrum am ehemaligen Flughafen Tegel vor der Schlange für die Essensausgabe. (Foto: dpa)
Video: rbb|24 | 08.12.2023 | Material: rbb24 Abendschau | Bild: dpa

Auf das Ankunftszentrum für Geflüchtete in Berlin-Tegel gibt es mehr als eine Perspektive: Bewohner berichten von unzumutbaren Verhältnissen. Verantwortliche betonen, die Mitarbeiter der Massenunterkunft gäben ihr Bestes. Von Thorsten Gabriel und Franziska Hoppen

  • Ursprünglich sollten Geflüchtete nur kurz in Tegel bleiben, inzwischen sind es oft viele Monate
  • Mehr als 5.000 Menschen leben auf dem ehemaligen Flughafengelände – jetzt soll Platz für 7.000 geschaffen werden
  • Zuletzt gab es Schlägereien und Vorwürfe gegen das Sicherheitspersonal

Nataliia Brovko hat es aus Tegel rausgeschafft. Neun Monate hat sie mit fremden Männern und Frauen auf engstem Raum gelebt. Seit einer Woche ist sie in einer neuen Unterkunft. Beim Verein "Schöneberg hilft" lässt sie sich jetzt beraten, wie es weitergeht.

Doch die Erinnerungen an Tegel sind noch frisch: "Wir lebten in ständigem Stress. Immer unter psychologischem Druck", sagt Brovko am Donnerstag bei einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus. Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes (DRK) und anderer Hilfsorganisationen hätten den Bewohnern gedroht, sie aus der Unterkunft in Tegel zu verweisen, wenn sie etwas falsch gemacht hätten. "Uns wurde klargemacht: Ihr fliegt hier raus und könnt unter der Brücke schlafen, wie Obdachlose."

Auch mit dem Sicherheitsdienst habe es immer wieder Probleme gegeben, sagt Brovko. Manchmal seien sie und ihre Mitbewohner nicht auf die Toilette gelassen worden. Oder die Security habe sich bei der Leitung über angebliche Beleidigungen beschwert, ohne überhaupt Ukrainisch zu verstehen.

Vorhänge statt Türen – Privatsphäre: null

Raus aus Tegel – so weit ist Angela Zaitseva noch nicht. Auch sie kam im vergangenen Jahr aus der Ukraine nach Berlin. Vom Hauptbahnhof ging es mit dem Bus nach Tegel, erinnert sie sich. Sie ging davon aus, dass ihr Aufenthalt dort maximal drei Monate dauern würde. Doch sie lebt immer noch dort.

Im Integrationsausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses erzählt sie den Parlamentariern von den riesigen Hallen mit den engen Boxen: Fünf Etagenbetten pro Abteil, die Kunststoffwände gerade mal zwei Meter hoch, Vorhänge statt Türen. Privatsphäre gibt es – fast – nicht. Umziehen sei nur in der Dusche möglich. Das alles sei besonders belastend, nicht zuletzt für die vielen, die traumatisiert aus Kriegsgebieten nach Tegel kämen. Zaitseva kritisiert, es gebe in Tegel keine Psychologen, die sich um die Menschen kümmerten.

Zaitseva berichtet auch von Diebstahl, von Taschen- und Unterkunftskontrollen, die viele Flüchtlinge als erniedrigend empfänden – und davon, dass es mittlerweile auch Mäuse und Ratten auf dem Areal gebe. Dies hänge auch damit zusammen, dass zum Teil ältere Kriegsflüchtlinge ihr Mittagessen mit in die Boxen nähmen, es dort versteckten und es dann schimmele.

Hilfsorganisationen haben eine lange Liste von Missständen

Ähnliches bekommt auch Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin immer wieder zu hören. Sie erreichen auch Berichte von Menschen, die mit chronischen Erkrankungen in Tegel leben und die nicht adäquat unterstützt würden. "Es gibt auch die Extremform, dass Mütter mit ihren drei Tage alten Babys in gemischte Parzellen mit sechs anderen Männern gelegt werden", sagt Barnickel und fügt hinzu: "Ich habe vier Kinder entbunden, ich kann Ihnen sagen: Das ist kein Zustand."

Anne-Marie Braun nickt. Braun ist in der Initiative "Schöneberg hilft" aktiv und hat auch eine lange Liste von Missständen. Sie kritisiert vor allem, es gebe im Unterkunftszentrum in Tegel keine Geschlechtertrennung: "Ich versteh wirklich nicht, warum es notwendig ist, Männer und Frauen in gleichen Boxen, sogar in gleichen Betten schlafen zu lassen. Das ist mir unverständlich."

"Tegel ist kein Ort, den sich irgendjemand hier wünscht"

Nicht nur Betroffene und Helfende geben an diesem Nachmittag im Integrationsausschuss Auskunft. Auch Regierung und Verwaltung beziehen Stellung. Einigkeit besteht bei allen, wie es scheint, nur in einem Punkt: Niemand will eine Unterbringung, wie sie in Tegel Wirklichkeit ist. "Tegel ist kein Ort, den sich irgendjemand hier wünscht", versichert der designierte Präsident des Landesamtes für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF), Mark Seibert.

Den Berichten über unhaltbare Zustände hält Seibert entgegen: Es sei zwar nicht alles gut, aber alle gäben ihr Bestes. Natürlich gebe es Gewaltschutzkonzepte, Kinderbetreuung, ärztliche Versorgung. Außerdem sei Tegel "einzigartig", so Seibert. Eine solche Großunterkunft für 5.000 - und demnächst für bis zu 7.000 - Menschen gebe es kein zweites Mal in der Republik. "Selbstverständlich läuft bei einer Einrichtung dieser Größenordnung nicht immer alles rund. Aber wir zerren jeden Tag darum, dass es runder läuft."

Der Pool an Security-Mitarbeitern ist begrenzt

Beispielsweise beim in die Kritik geratenen Wachschutz. Auf Probleme habe man sofort reagiert. Aber man müsse realistisch bleiben, sagt Seibert. Würde man den Sicherheitsdienstleister wechseln, bliebe das Personal das Gleiche. Pro Schicht würden 250 Menschen benötigt und der Pool an Security-Leuten sei begrenzt.

Auf den Vorwurf, es gebe in Tegel keine Geschlechtertrennung bei der Unterbringung geht die Leiterin des Ankunftszentrums, Kleopatra Tümmler ein. Sie versichert, es werde durchaus separiert. "Es gibt Bereiche für allein reisende Frauen, es gibt Bereiche für Familien mit Kindern, es gibt Bereiche für allein reisende Frauen mit Kindern und so weiter", zählt sie auf. Angesichts der hohen Zahl an Menschen, die in Tegel untergebracht seien, bleibe dies aber eine Herausforderung.

Flüchtlingsrat: Für mehr Aufklärung sorgen

Nach zwei Stunden Anhörung meint man, es gebe so etwas wie zwei Wahrheiten über Tegel. "Frau Tümmler und Herr Seibert, Sie versichern ja beide – und ich finde, auch auf eine sympathische Art und sehr glaubhaft –, dass eigentlich alles gut ist, soweit, wie es im Schlechten halt gut sein kann", stellt Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat bilanzierend fest – um dann hinterherzuschieben: "Ich frage mich aber: Wenn es alle diese wunderbaren Angebote gibt, wie ist es möglich, dass Frau Zaidseva seit sieben Monaten in Tegel lebt und sagt: 'Es gibt keine psychologische Unterstützung‘ und Frau Tümmler sagt: 'Es gibt die'?"

Barnickel überlegt kurz und sagt dann: "Es kann sein: Beide Perspektiven stimmen und es gibt nur eine schlechte Aufklärung darüber, was es eigentlich für Angebote gibt." Das gibt sie den Verantwortlichen als Hausaufgabe mit: für mehr Aufklärung sorgen.

Betreiberverträge mit dem Deutschen Roten Kreuz überarbeitet

Der designierte LAF-Präsident verweist unterdessen darauf, dass das Land gerade nochmal die Betreiberverträge mit dem Deutschen Roten Kreuz (DRK) nachgebessert habe. Jetzt dürften auch andere Hilfsorganisationen in Tegel mit unterstützen. Das hatten verschiedene Initiativen lange gefordert. In welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen das künftig der Fall sein dürfte, muss sich allerdings erst noch zeigen.

Auch wenn sich die Situation an vielen Stellen weiter verbessern sollte, steht am Ende die Erkenntnis: Die Unterbringung in Tegel bleibt eine Notlösung – mit Betonung auf Not.

Sendung: rbb24 Inforadio, 08.12.2023, 06:20 Uhr

Beitrag von Thorsten Gabriel und Franziska Hoppen

25 Kommentare

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  1. 24.

    "Ja die Menschen können einem Leid tun aber wie wollen sie denn das Problem lösen?"
    Weder Sie noch ich können das "Problem" lösen. Worum ich bitte, ist nur etwas mehr Menschlichkeit zu zeigen, wenn man diesen Artikel gelesen hat. In solchen Umständen möchte ich nicht leben müssen und Sie sicherlich auch nicht. Wie kann man seine Menschlichkeit so ausschalten, dass einen die Umstände und Zustände in Tegel überhaupt nicht interessieren? Damit meine ich jetzt nicht Sie, aber einige andere hier.

  2. 23.

    Leute wie sie sind früher mit Glocke und schwarzen Kapuzenumhang durch die Straßen gezogen und haben vom nahenden Untergang der Welt gefaselt. Heute geht das bequem von der Couch aus.

    Man hört von ihnen nichts anderes. Keine Lösungsvorschläge - nichts.

    Solche Leuten haben eher Probleme mit sich und ihrer Umwelt.

  3. 22.

    Warum schreibt der rbb nicht über eine weitere Aussage Seiberts: „Ich habe nicht so eine ärztliche Versorgung für mich“, sagte er.

    Diese Einstellung zeugt doch deutlich vom Willen nichts verbessern zu wollen. Überhaupt gibt es einige Fehlbesetzungen in Tegel, die sich nur auf die quasi Monopolstellung vom DRK zurückführen lassen. Kleopatra Tümmler ist so ein Fall, wie ihre Biografie verrät. Zumal sie auch noch auf zwei Hochzeiten tanzt und damit überfordert ist. Entweder man ist Manager seiner eigenen Firma oder man leitet das Ankunftszentrum Flughafen Tegel.

  4. 21.

    Und das GG am besten gleich mit abschaffen? Hier kommentiert der blanke Hass und Unverstand.

  5. 20.

    "Stattdessen wird "raus" oder "Abschieben" geschrieben. Wie bitte schön ist so ein Verhalten zu erklären?"

    Ja die Menschen können einem Leid tun aber wie wollen sie denn das Problem lösen?

    Es fehlen im Land ca. 700 000 Wohnungen.
    Da zZt. mehr Menschen nach Deutschland einwandern als Neubau entsteht wird das Problem von Jahr zu Jahr größer.
    Und es sind ja nicht nur Wohnungen die fehlen sondern auch Betreuer, Lehrer, Erzieher, Ärzte, Fachkräfte usw usw.!

  6. 19.

    "Ursprünglich sollten Geflüchtete nur kurz in Tegel bleiben, inzwischen sind es oft viele Monate"
    Naja, es dauert noch ein bißchen, bis die neuen Wohnungen im Tegeler Feld fertig sind.
    Nach meinen Informationen ist man dabei die Planung zu überarbeiten. Es sind ja auch viel mehr als angenommen.

  7. 18.

    Es war neben Warmherzigkeit auch unglaubliche Naivität. Warnende Stimmen gab es von Anfang an, sie wurden aber reflexartig in die rechte Ecke gestellt.

  8. 17.

    Wenn die Deutschen etwas wirklich gut können, dann ist es meckern. Ich persönlich glaube, dass es keine Partei momentan gut hinbekommen könnte. Dazu sind die Gesamtumstände zur Zeit zu schwierig und kompliziert.

  9. 16.

    Also, ich möchte nicht dort leben müssen, gruselige Vorstellung. Hat mit leben können nicht viel zu tun. Medizinische Grundversorgung viele Monate lang. Bedeutet, man bekommt nur Notversorgungen. Versorgung ja, aber nur das Nötigste. Viele Menschen auf engstem Raum mit unterschiedlichen Geschichten, alle gestresst, frustriert und voller Angst, was da nun kommen wird.
    Ich glaube schon, dass die psychologische Betreuung auf dem Papier steht, ich glaube aber auch, dass sie nicht zeitnah ankommen kann, weil der Bedarf viel höher liegt, als das Angebot hergibt.
    Aber jene benötigen diese Unterstützung unbedingt und schneller, weil viele traumatische Erlebnisse mit sich umhertragen.
    Die medizinische Versorgung über Land ist übrigens ähnlich bescheiden. Man gewöhnt sich an alles.

  10. 15.

    "Weder 'warme Herzen' noch der bemitleidenswerte Herr Brömme werden die nötigen Unterkünfte und hinreichend Personal aus dem Hut zaubern können."

    Das stimmt, aber dann kann man doch wenigstens etwas verständnisvoller darüber schreiben. Die Ablehnung einiger Foristen hier springt einen ja förmlich an. Wie die Zustände sind, scheint keinen zu interessieren. Stattdessen wird "raus" oder "Abschieben" geschrieben. Wie bitte schön ist so ein Verhalten zu erklären?

  11. 14.

    Die AfD wurde in Sachsen als gesichert rechtsextrem eingestuft. Das Suggerieren, die Geflüchteten wären überversorgt, ist eine Taktik, um gegen diese Menschen andere Menschen aufzubringen. Vielleicht geben Sie uns einfach mal die direkte Quelle Ihrer Aussage an, um Zusammenhänge zu formulieren.
    Denn, Geflüchtete bekommen 18 Monate lang gerade einmal medizinische Grundversorgung, wenn Sie wissen, was das heißt, würden Sie hier nicht das Gegenteil behaupten.
    Mich ärgern diese Falschdarstellungen und Verdrehungen der Situation, die das Leid der einen nutzen, um andere zur Neiddebatte zu animieren.


  12. 13.

    ......der Artikel handelt aber nicht von Ellwangen in BW sondern von Tegel in Berlin. Alleine in Tegel gibt es 5000 Flüchtlinge und es soll auf 7000 aufgestockt werden. Aber immer schön, wenn man nochmal auf die AfD verweisen kann oder?

  13. 12.

    Der Artikel ist noch untertrieben. Es sind unzumutbare Zustände an jeder Ecke. Pflegebedürftige, psychisch kranke, ...keiner kümmert sich adäquat..aggressive heimbewohner, Massenschlägereien, Bedrohungen Richtung Mitarbeitern. Ein Bus shuttle auf dss Gelände dürfen sich Mitarbeiter und Geflüchtete teilen.
    Leider ein Sinnbild für das Versagen in der Migrationpolitik

  14. 11.

    Bedauerlich nur, dass zuviel an Warmherzigkeit die jetzigen Zuständen hervorgerufen hat. Weder 'warme Herzen' noch der bemitleidenswerte Herr Brömme werden die nötigen Unterkünfte und hinreichend Personal aus dem Hut zaubern können.

  15. 10.

    Gegen 2 Wahrheiten helfen doch nur Fakten.
    Bezüglich medizinischer Versorgung müsste es doch Zahlen geben.

    In BW hatte --wieder einmal--die AfD nachgefragt, wie die medizinische Versorgung in unserer Erstaufnahmeeeinrichtung Ellwangen aussieht.
    Und man staunt.

    Dienstplan Stufe IV ab 701 Personen:
    Montag bis Freitag-8-12 Uhr--und 14-20 Uhr
    3 Vollzeit aquivalente VZÄ -Gesundheitsfachpersonal

    Samstag, Sonntag, Feiertage:
    9-14 Uhr
    2 VZÄ

    Wöchentlich 80 Arztsprechstunden davon 50% Allgemeinmediziner sowie Anteilig Fachärzte (insbesondere Frauenheilkunde, Augenarzt)
    Wöchentlich 40 Sprechstungen durch Psychologen
    Nach Bedarf Zahnärzte, Hautärzte

    Alles genau aufgelistet---und in unseren ländlichen Gegenden, bei denen z.T. Arztmangel herrscht, sicher nicht zu wenig für 700-800 Menschen.

    Vielleicht sollte die AfD auch einmal in Berlin eine Anfrage stellen.

  16. 9.

    Das Wort „Not“ ist seit der Ampelkoalition ein Dauerzustand mit schlimmsten Folgen für alles und jenen. In Tegel ist der Senat auch nur der gezwungene ausführende Endpunkt dieser Politik wie in jedem Bundesland. Wie lange das noch gut geht - es wird schlimmer, jeden Tag mehr.

  17. 8.

    So kann es nicht mehr weiter gehen. Wir sitzen in jeder Beziehung auf einem Pulverfass, warum ist die Regierung nicht in der Lage, ehrlich zu sagen es geht nicht mehr, wir sind am Ende.

  18. 7.

    Tegel ist nur ein Beispiel und Sinnbild einer komplett versagenden Ampelpolitik. Der Notstand sitzt eigentlich immer noch im Kanzleramt bzw. versteckt sich dort vor der selbst erschaffenen Realität

  19. 6.

    Das schreiben Sie, selbst nachdem Sie diesen Artikel gelesen haben? Solch eine "kalte" Reaktion? Unfassbar!

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