Interview | Filmemacherin Annekatrin Hendel - "Für mich ist Union Berlin ein Betrieb und keine Familie, wie oft gesagt wird"

Mi 30.10.24 | 13:11 Uhr
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Die Filmemacherin Annekatrin Hendel im Stadion An der Alten Försterei. Quelle: imago images/Matthias Koch
imago images/Matthias Koch
Audio: Interview mit Annekatrin Heidel von Jakob Rüger | Bild: imago images/Matthias Koch

Der 1. FC Union marschierte in vier Jahren aus der 2. Liga bis in die Champions League. Ein Stück dieser Reise hat die Filmemacherin Annekatrin Hendel mit der Kamera begleitet. Über den Film "Union - Die besten aller Tage" spricht sie im Interview.

Dieses Interview wurde erstmals am 10. April 2024 vor der Kinopremiere des Films veröffentlicht. Ab sofort können Sie "Union - die besten aller Tage" auch in der ARD Mediathek anschauen. Zu diesem Anlass haben wir diesen Beitrag erneut publiziert.

rbb: Annekatrin Hendel, Sie haben im Sommer 2021 angefangen, den 1. FC Union zu begleiten. Herausgekommen ist die zweistündige Dokumentation "Union - Die besten aller Tage", die am Donnerstag ins Kino kommt. Ist es am Ende so geworden, wie Sie es sich am Anfang vorgestellt haben?

Annekatrin Hendel: Ehrlich gesagt, hätte ich lieber eine Serie gemacht. Aber dafür reichte das Geld nicht. Ich hatte so viel Material und wusste, dass es für viele Stunden mehr reichen würde. Insofern ist dieser Film eine sehr komprimierte Variante dessen, was ich mir vorgestellt habe. Wir hatten eine Viereinhalb-Stunden-Fassung, die ganz anders reich war. Viele Geschichten konnten genauer erzählt und mehr Personen und Mitwirkende gezeigt werden. Wir haben es jetzt auf exemplarische Figuren reduziert.

Zur Person

Annekatrin Hendel wurde 1964 in Ost-Berlin geboren.

Bekannt ist sie vor allem für ihre Dokumentarfilme.

2011 führte sie Regie bei "Flake – Mein Leben", ein Film über Christian Flake Lorenz, den Keyboarder der Band Rammstein.

2012 und 2013 wurde Hendel für "Mein Leben – Die Fotografin Sibylle Bergemann" und "Vaterlandsverräter" mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

2015 kam ihr Film "Fassbinder" über Rainer Werner Fassbinder ins Kino und Fernsehen.

Wie ist die Idee entstanden, ausgerechnet den 1. FC Union zu begleiten?

Die Idee gab es bei mir schon lange, weil ich selber aus der Wuhlheide komme. In der ersten Klasse ging damals die Tür auf und es wurde "Eisern" gebrüllt. Davor hatte ich Union noch gar nicht so wahrgenommen. In der Schule musste man sich dann aber für den BFC oder Union entscheiden. Ohne großes Fußball-Interesse habe ich mich immer als Unioner Kind gefühlt. Als Jugendliche war ich dann mit meinen Freunden immer im Stadion. Das habe ich dann allerdings aus dem Blickfeld verloren. Es kam dann wieder durch politische Parteien, die man als ostdeutsches Phänomen bezeichnet und die aus meiner Sicht negative Schlagzeilen machen. Man spricht heute von einer Spaltung der Gesellschaft. Ich habe dann überlegt, was die Menschen zusammenbringt. Aus meiner Sicht ist das der Sport überhaupt und sehr populär der Fußball. Ich finde es auch hier in meiner Heimat exemplarisch dafür, dass es eine Blase gibt, die viele Blasen in sich aufnehmen kann - und wo Leute zusammenstehen und singen, zum Beispiel über Liebe.

Was macht den 1. FC Union aus Ihrer Sicht sonst noch aus?

Um diese Frage zu beantworten, bräuchten wir ein mindestens zweistündiges Gespräch. Deshalb habe ich eben den Film gemacht. Der Anspruch für mich als Filmemacherin war es, nicht zu erklären, was den Klub besonders macht, sondern eher den Verein und den Betrieb zu begleiten, damit jeder Zuschauer und jede Zuschauern sich selber raussuchen kann, was den Verein ausmacht. Ich halte mich eher zurück. Für mich ist das ein Betrieb und keine Familie, wie oft gesagt wird. Und dieser Betrieb hat eine bestimme Arbeitsweise. Das habe ich hier vorgefunden. Wie Entscheidungen getroffen werden, wie der Betrieb aufgebaut ist und wie die Leute miteinander arbeiten. Das ist das Interessante und Besondere.

Das klingt nach einem Film für Union-Fans, aber vor allem auch für Menschen, die mit Fußball oder dem Klub gar nicht so viel am Hut haben.

Ich hoffe, dass es ein Film für Union-Fans ist, aber auch für Menschen, die sich für die Arbeitswelt interessieren. Es hätte auch ein Film über eine Werft sein können. Warum schwimmt das Schiff, wie machen die das? So ist es ein Film über einen Fußball-Klub, der von sich reden macht, der ein Phänomen ist, ein Rätsel ist und ein kleines Wunder vollbracht hat.

Fußballvereine schotten sich immer mehr ab und machen ihre eigene Medienarbeit und entscheiden selbst, was nach außen dringt und was nicht. Wie hat der Verein reagiert, als Sie mit Ihrer Idee auf ihn zugegangen sind?

Bevor ich überhaupt zum Präsidenten gegangen bin, habe ich die Leute hier gefragt, ob es für sie in Ordnung wäre. Es war interessant, dass der Klub, der ja auch selber schon Film über sich produziert hat, keinen Imagefilm haben wollte. Sie haben gesagt: Wenn du etwas machst, das anders ist, dann ist es okay. Das hat mir gefallen und damit bin ich zum Präsidenten gegangen. Von ihm gab es dann noch die Ansage, dass ich keine Termine bekäme, sondern einfach da sein müsse. Das habe ich dann auch wahrgenommen und sicher immer mal wieder auch die Leute hier genervt.

Was war für Sie, die bereits Dokumentationen über die Familie Brasch den Regisseur Rainer Werner Fassbinder gedreht hat, bei der Begleitung von Union Berlin die größte Herausforderung?

Es war eine einzige Herausforderung für mich. Weil ich ganz viel Neues erfahren habe. Ich habe mich zum Beispiel gefragt, wie die Menschen, die hier arbeiten, dieses ständige Auf und Ab, die ständige nervliche Anspannung aushalten. Das Gleiche gilt für die Fans, die für ihren Klub teilweise drei Mal in der Woche zu Spielen reisen. Dann habe ich aber gemerkt, dass die sich fragen, wie man es aushält, wenn man nicht mitmacht. Wie kann man nicht Fußball-Fan sein? Diese Dinge fand ich sehr spannend und für mich war es wirklich extrem anstrengend. Weil ich plötzlich selbst mitfieberte - das war das anstrengendste. Hinzu kommt, dass man hier als Film-Team wirklich stört, das war ich aus vergangenen Projekten nicht gewöhnt.

Insbesondere die Szenen, wenn Sie bei Präsident Dirk Zingler im Büro oder bei Besprechungen sind, haben eine gewisse Intimität. Hat der Klub Ihnen auch Grenzen aufgezeigt und gesagt: Jetzt ist Schluss?

Grenzen gab es nicht. Er hat mich am Anfang gefragt, was ich will und ich habe gesagt: alles. Das hat er sofort akzeptiert. Einmal hat er gesagt, dass jetzt gerade nicht der richtige Zeitpunkt sei, und die Tür zugemacht. Das lag daran, dass er keinen Bock hatte. Das konnte ich auch verstehen, habe die Tür aber wieder aufgemacht und ihm gesagt, dass es so nicht geht. Dann war ich doch wieder drin.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Jakob Rüger. Es wurde für die Online-Fassung gekürzt und redigiert. Das komplette Gespräch hören Sie bei einem Klick ins Titelbild.

Sendung: rbb24 Inforadio, 02.04.24, 10:15 Uhr

24 Kommentare

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  1. 24.

    Wenn Sie dbzgl. über Erkenntnisse verfügen, geben Sie diese bitte gerne Preis anstatt hier nur äusserst befremdlichen whataboutism einzuraunen, "Berliner".

  2. 22.

    Statt sich mit ihrem insolventen 2.Ligisten, "dem beliebtesten Fußballverein Berlins", um dessen Protagonisten, wie um den Trikotschöpfer, mediengeilen Hertha-Super-Star, dem brutalen Schläger, der seit einem Jahr durchgeschleppt wird und vielen mehr zu beschäftigen, wird hier die feige Neidkarte gespielt.
    Um mal nur einen kleinen Tipp von mir: wie stand der Verein und Vereinsvorsitzenden zum Nationalsozialismus?
    Und bitte keine Auszüge aus dem von Hertha BSC finanzierte Pamphlet.

  3. 21.

    Ich finde die Meinung von Herrn Rigel/Drögel oder Drögel/Rigel nicht ....;-)

  4. 20.

    Hier in Königs Wusterhausen gibt es sehr viele Unioner und nicht bloß in Köpenick wo spielt Hertha 2 Liga hoffentlich kommt die nicht wieder nach oben denn hier der Spuk von vorne los

  5. 19.

    Tja, lieber Herr Schmidt /Rigel

    Es ist immer wieder erstaunlich, dass Sie sich als Nichtfußballfan und jemand, der sich gar nicht im Fußball auskennt (siehe frühere Beiträge, ich beziehe mich auf ihre eigenen Aussagen) immer wieder zu Fußballthemen zu Wort melden.

    Sollte uns dies zu denken geben?

  6. 17.

    Ein Profifußballverein wird natürlich geführt wie ein Unternehmen. Die Fans sind hingegen wie eine große Familie – mit allem, was dazugehört.

  7. 16.

    Nur 2 Stunden Nachhilfe in Sachen Geschichte dürften bei diesem problematischen Fall kaum ausreichen.

  8. 15.

    Danke für Ihre objektive Meinung - Sie haben vollkommen Recht. Und jeder darf neben seiner Loyalität für andere Vereine auf seinen persönlichen Liebling stolz sein.
    Ohne eigenes Interesse und nur auf Wiki - Berichte zugreifend anderen Unwissenheit anzudichten (wie Gibbs mir)- naja - wenns ihn glücklich macht ....;-)

  9. 14.

    Danke. Mein Vater war von Anfang an dabei - ich bei der Gründungsveranstaltung als "Stippi" in seinem Schlepptau ;-)
    Ohne Einverständnis der SED gab's nichtmal ne Konsum- Eröffnung aufm Dorf. Das die FDGB Gewerkschaft federführend war, war zu der Zeit noch möglich. Der Verein arbeitete nie stasibetrieben wie beispielsweise Dynamo und ließ sich meines Wissens auch nie politisch beeinflussen. Als Ortsverein war es daher nach der Wende relativ leicht, ein "Familien- Unternehmen" aufzubauen, weil staatliche Strukturen nicht erst beseitigt oder überwunden werden mussten.

  10. 12.

    @Der Ball ist rund und @Sigurd
    Absichtlich falsch verstanden? Dann nochmal auch die beiden Beiträge davor lesen, vlt. klappt es dann.

    Ich habe nichts gegen die Köpenicker, kann damit auch nichts anfangen.
    Ja sie sind anders. Ist aber nicht mein Ding.
    Trotzdem ist es in den letzten Jahren ne gute Leistung gewesen. Respekt.
    Nur die Schönfärberei war störend, aber egal. Wenn ihr es braucht soll es so sein.

  11. 11.

    Ich finde den Beitrag von Gibbs sehr sachlich und informativ .Dass Union ein Gegenpol zu den von Milke und Staatsapparat gestützten Vereinen war ist ja auch einem Wessi wie mir hinlänglich bekannt .Jeder saugt halt seins aus der Geschichte,wie bei den Ruhrpottvereinen,St. Pauli und alles hat Charme, weil es eben nicht nur aus der Masse Geld aufgebaut wurde .Aber Respekt sollte man auch den Hoffenheimern und ihren Heimatverbunden Vereismäzen Hopp zollen, genauso wie der alten Dame Hertha, die ja eine ganz besondere Geschichte in Berlin hat .Genauso wie Union,Hansa Rostock oder eben die Stuttgarter Kickers und so weiter.Fur mich hat Union Berlin einen ganz besonderen Charme und ich finde die "Familie" oder Firma sollte es als Auszeichnung sehen dass eine Filmemacherin mit starkem Bezug auf Grund ihrer Nähe und im System aufgewachsen solch einen Film macht.Also eisern weiter im Geist von Union.

  12. 9.

    Wie (un)wichtig der FCU außerhalb Köpenicks ist, ließe sich, so es überhaupt interessiert, an den Besucherzahlen dieses Filmes in den Kinos außerhalb der Union-Blase ganz objektiv messen.

  13. 8.

    Kann ja alles sein, na und? Ich war dabei , als in den 70ern Union paarmal gegen den verhassten BFC Dynamo gewonnen hat. Steht auch bei Wikipedia.
    Union war in der Zeit der Underdog, und hat sich langsam und trotz allem hochgearbeitet.
    Und das war auch gut so und zu Recht!

  14. 7.

    Na und?

    Ohne Zustimmung von Partei und Staat konnten keine Vereine gegründet werden.
    Trotz dessen gab es gewaltige Unterschiede, die sich in Ressourcen, Finanzen, Unterstützung etc. bemerkbar machten.
    Union und vor allem seine Fans waren eben etwas „neben der Spur“, nicht so die Geförderten und Gemochten.
    Das war schon ein USP von 7nion.

    Nie hat jemand behauptet, Union wäre im „Widerstand“ gewesen. Wenn es sowas überhaupt gab, dann trifft das auf Einzelpersonen zu, aber doch nicht auf Vereine und Institutionen.
    Da gab es zb auch die Bluesfans - nicht linientreu, aber mitnichten Widerstand.


  15. 6.

    Mal zur Auffrischung:
    "Dass das Team aus Köpenick trotzdem Berücksichtigung fand, war dem Vorsitzenden des Bundesverbands des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und SED-Politbüromitglied, Herbert Warnke, zu verdanken. Dieser forderte, für die Berliner Werktätigen einen zivilen Fußballclub einzurichten, und hatte damit Erfolg. Am 20. Januar 1966 wurde der Verein als „1. FC Union Berlin“ neu gegründet. Die Gründung des Clubs wurde vom 1. Sekretär der SED-Kreisleitung in Köpenick Hans Modrow organisiert.[6] 1. Sekretär der SED-Bezirksleitung von Berlin und SED-Politbüromitglied Paul Verner hielt bei der Gründungsversammlung eine Festansprache.[7]"
    Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/1._FC_Union_Berlin#1906%E2%80%931920:_Gr%C3%BCndung_und_Umz%C3%BCge

    Also erstmal selbst Geschichtsunterricht nehmen.

  16. 5.

    Ich empfehle 2 Stunden Geschichtsunterricht in der Alten Försterei (1 Stunde vor + 1 Stunde nach der Wende).

  17. 4.

    Ach, Du lieber Gott. Woher kommt der Glaube ein Sportclub wäre in der Dädärä im Widerstand gewesen? Dann hätte es ihn nicht gegeben. Union ist genau so ne SED-Grünndng, wie alle, die "oben" spielten.

  18. 3.

    Halten sich halt für was "besonderes"

  19. 2.

    So ähnlich sehe ich es auch. Klar - vom Verein aus gesehen, ist es Betrieb - aber auch ein Betrieb kann Familie sein, denn es kommt immer auf die Menschen, Mitglieder und Mitarbeter an, die einen Verein, einen Klub zu dem machen, der er ist, mit den Fans, für die Fans. Da ist die Trennung Betrieb und Familien halt schwer zu ziehen - da ist nichts dran, was verwerflich oder zu negieren wäre.
    Und Union ist aus eigener Kraft entstanden, hat politischen Druck ausgehalten, im Gegensatz zu den Stasivereinen der DDR, die vom Staat den Ar... gepudert bekamen. Von daher sehe ich Union als einen Klub, der, wie Sankt Pauli auch, eine eigene Strahlkraft besitzt.
    Bleibt Eisern - Einträchtige Grüße - der Adler fliegt - auch über der Försterei...... :-)

  20. 1.

    Bedeutet Familie, dass kein Geld verdient werden darf? Natürlich ist Profisport ein Wirtschaftsunternehmen! Aber es zählt auch das Gesamte. Der Verein wurde anders aufgrund der politischen Bedingungen. Nach der Wende mussten neue Wege gegangen und Probleme umschifft werden. "Bluten für Union", Stadionbau mit MitgliederInnen und Fans, Weihnachtssingen u. s. w. ließen die Menschen zusammen rücken, was sie zu einer Familie (wenn auch nicht biologisch) macht.
    Dadurch ist Union ein Familienbetrieb.

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