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Was Brandenburg bewegt: Demografie | Serie "Wahlfahrt" |19.08.2014

Von Flüchtenden und Zugezogenen

Brandenburg verliert immer mehr Einwohner. Ganze Landstriche sind mittlerweile fast menschenleer. Die Gemeinde Boitzenburger Land in der ohnehin dünn besiedelten Uckermark bekommt dies hart zu spüren. Doch es gibt auch neue Bewohner. Von Alex Krämer

Auf den ersten Blick sieht man ihn nicht, diesen Wandel - die Kirche von Boitzenburg ist frisch renoviert, die Fachwerkhäuser nebenan ebenfalls. Aber auf den zweiten Blick fallen sie dann doch auf - blinde Fenster, hinter denen keiner mehr wohnt, leer stehende Läden in der Hauptstraße.

Reportage

Serie "Der rote Stuhl" | 19.08.2014

Brandenburgs Dörfer werden leerer

Groß Gottschow ist ein Ortsteil der Gemeinde Plattenburg. Seit der Wende hat das Dorf 30 Einwohner verloren. Viele Häuser verfallen. Eine Gaststätte gibt es nicht mehr, zum Arzt muss man weit fahren. Viele Brandenburger Dörfer kämpfen mit  dieser demografischen Entwicklung. Von Tina Rohowski

"Wir hatten zwei Lebensmittelläden, eine private Fleischerei, ein Schuhgeschäft, eine Tischlerei, einen Blumenladen, einen Frisör. Die Apotheke ist immer noch da. Das meiste andere aber ist verschwunden", sagt Monika Langer, Friseurin in Boitzenburg. Die Ladeninhaber sind in Rente, ihre Kinder weggezogen.

1990 hatte das Boitzenburger Land 5200 Einwohner - 3300 sind es heute. Und 2030 sollen es nochmal fast 1000 weniger sein - auf einer Fläche so groß wie drei Berliner Bezirke. Weniger Einwohner bedeuten weniger Geld in der Gemeindekasse. Aber das Straßennetz der Gemeinde schrumpft nicht mit. Auch das Schulgebäude und die Kita müssen trotzdem unterhalten werden.

Bernhard Rengert, parteiloser Bürgermeister, fordert daher, das Geld nicht nur nach Einwohnerzahl zu verteilen. "Ich würde auf jeden Fall raten, auch den Flächenmaßstab anzusehen, sonst ist eine Angleichung der Lebensverhältnisse Stadt-Land nicht denkbar."

Viele Zuzügler aus Berlin

Aber es gibt auch Zuzug in Boitzenburger Land. Im Ortsteil Rosenow zum Beispiel. Ulrike Hesse steht am höchsten Punkt des hübschen Dorfes, zeigt zum renovierten Fachwerkhaus gegenüber und erzählt, wer sich hier alles neu niedergelassen hat.

"Da ist ein Rechtsanwalt zu unserer linken Seite, dann kommt wieder ein Haus, mit Backsteinsockel, ebenfalls Berliner. Dann kommt eine Rentnerin aus Berlin, dann wieder jemand aus Berlin. Hier oben auf unserem Hügel sieht es ebenfalls so aus, wir wohnen hier seit ungefähr acht Jahren als Ferienwohnung. Mein Mann wohnt seit vier Jahren komplett hier, ich pendele noch ein bisschen. Aber rechts und links sind auch wieder Berliner."

"Eine gute Sache mit den neuen Leuten"

Es handelt sich um Berliner, die permanent am Ort wohnen, nicht nur am Wochenende. Und die inzwischen guten Kontakt zu den Alteingessenen haben. Zum Beispiel zu Anni Burchard, Rosenowerin seit 1947. "Gerade die hier so nahe wohnen - es ist eine ganz gut funktionierende Nachbarschaftshilfe. Die Frau geht bei uns fast ein und aus, kommt in der Woche auch mal gucken, wie es uns geht. Unsere Tochter wohnt sehr weit weg. Es ist schon eine gute Sache mit den neuen Leuten."

Wie man neue Leute aufs Land locken kann, ist in den Programmen zur Landtagswahl kein Thema - dort geht es um Rückkehrer. Geld nach Fläche verteilen, wie Bürgermeister Rengert fordert, will auf diese Art keiner - aber bei fast allen taucht die Forderung auf, Grundschulstandorte auf dem Land auch dann zu erhalten, wenn's nur wenige Kinder gibt.

Demografie - Das wollen die Parteien

Ausgangslage

2010 hatte Brandenburg etwa 2,5 Millionen Einwohner -  2030 werden es nur noch etwa 2,2 Millionen sein. 300.000 weniger – das klingt, für das ganze Land, nach einer nicht allzu dramatischen Entwicklung. Aber das stimmt nicht. Denn der Rückgang findet nicht gleichmäßig statt.

Während der Speckgürtel rund um Berlin sogar noch wachsen wird, schrumpfen die weiter entfernt liegenden Regionen immer weiter. Die Uckermark etwa hatte 1990 noch 170.000 Einwohner. Vergangenes Jahr waren es laut Zensus noch gut 120.000 – 2030 sollen es nur noch gut 100.000 sein.

Gleichzeitig wird die Bevölkerung dort immer älter. Das hat Folgen: für die Kommunen, die mit weniger Geld die gleiche Infrastruktur erhalten müssen, zum Beispiel das Straßennetz, und für das Schulsystem, denn ohne Kinder keine Schule. Und für das Leben an sich, denn auch Vereinen und Freiwilligen Feuerwehren fehlen Leute, die mitmachen.

SPD

Wegen dieses demografischen Wandels will die SPD die Grundversorgung der Daseinsvorsorge in Landstädten und größeren Orten konzentrieren. Bei Schulen, Arztpraxen und Bussen sollen die Kommunen besser miteinander kooperieren. Eine Gemeindegebietsreform, also eine Zusammenlegung von Gemeinden, lehnt die Partei ab. Stattdessen will die SPD eine Verwaltungsstrukturreform auf den Weg bringen. Verwaltungsstellen sollen geschlossen, dafür Servicestellen, mobile Angebote und elektronische Dienste ausgebaut werden.

Um bis zu 25 Prozent wird laut Studien das Fachkräftepotential im Land zurückgehen. Deshalb will die SPD mit einem Fachkräfteportal dazu beitragen, in Brandenburg eine Willkommenskultur für Fachkräfte zu entwickeln. Das Portal soll sich einerseits an Brandenburger richten, die in den "alten Ländern" ihr Glück suchten und nun zurückkehren wollen. Andererseits sollen ausländische Fachkräfte mit Stipendienprogrammen und Gutscheinen gezielt angeworben werden. Außerdem sollen im Ausland erworbene Berufsqualifikationen besser anerkannt werden.

Hier geht's zum Wahlprogramm der Brandenburger SPD

CDU

Die CDU will, dass der demografische Wandel in der Landespolitik künftig an erster Stelle steht. Dafür sollen die wichtigsten Zuständigkeiten in einem bestehenden Ministerium gebündelt werden. Dieses Demografie-Ministerium soll mit einer "Zukunftswerkstatt" kreative Ideen, konkrete Lösungsvorschläge und Beispiele aus der Praxis diskutieren und umsetzen.

Über eine Verwaltungsreform will die CDU mit dem Menschen und kommunalen Entscheidungsträgern eine offene Debatte führen und diese anschließend umsetzen. Zwangsfusionen von Landkreisen und kreisfreien Städten lehnt die Partei ab.

Um mehr Fachkräfte zu gewinnen, will die CDU mehr Geld als bisher ausgeben, um Brandenburger, die ihre Heimat verlassen haben, zur Rückkehr zu bewegen. Über die Gewinnung ausländischer Fachkräfte findet sich nichts im dem Wahlprogramm.

Hier geht's zum Wahlprogramm der Brandenburger CDU

Linke

Die Linke will eine Verwaltungsreform, die nicht nur verwaltungstechnisch ausgerichtet ist und technokratisch begründet ist – sprich: mit mehr Personal vor Ort. Zudem will die Partei eine Brandenburgische Amtsgemeinde einführen, um die Verwaltungskraft zu stärken.

Um Fachkräfte mit attraktiveren Arbeitszugewinnen zu locken, will die Linke das "Bündnis für Fachkräfte" zu einem "Bündnis für gute Arbeit" entwickeln. Zudem will die Partei die "vernachlässigte Gruppe" der jungen Erwachsenen zwischen 25 und 35 Jahren ohne abgeschlossene Berufsausbildung besser fördern. Durch geeignete Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sollen sie eine zweite Chance auf einen Berufseinstieg bekommen und einen wichtigen Beitrag zur Deckung des Fachkräftebedarfs leisten.

Vorschläge, wie mehr ausländische Fachkräfte ins Land zu locken seien, finden sich im Wahlprogramm der Linken nicht.

Hier geht's zum Wahlprogramm der Brandenburger Linken

Grüne

Um eine Verwaltungsreform auf den Weg zu bringen, setzen die Grünen auf Konzepte zur regionalen und kommunalen Entwicklung, die von engagierten Bürgerinnen vor Ort aktiv mitgestaltet werden. Auch die Grünen lehnen Zwangsfusionen von Gemeinden ab und setzen sich wie die Linken dafür ein, die Ämter zu brandenburgischen Amtsgemeinden weiterzuentwickeln. Darüber hinaus sprechen sich die Grünen als einzige Partei offen für eine Kommunalreform aus, eine moderate Reduktion der Landkreise halten sie für sachgerecht.

Um abgewanderte Fachkräfte stärker zur Rückkehr in die frühere Heimat zu bewegen, wollen die Grünen dem Beispiel der Willkommensagentur Brandenburg folgen und ein landesweites Programm auflegen. Zudem wollen die Grünen ausländische Berufs- und Studienabschlüsse zügig anerkennen.

Hier geht's zum Wahlprogramm der Brandenburger Grünen

FDP

Die FDP setzt sich für eine umfassende Verwaltungsreform ein, bei der die Gemeinden im Grundsatz alle Aufgaben übernehmen. Dazu sollen Aufgaben von der Landesebene auf die Landkreise und von den Landkreisen auf die Gemeinden übertragen werden.

Zur Bekämpfung des Fachkräftemangels schreibt sich die FDP auf die Fahnen, sich als einzige Partei konsequent für den gesteuerten Zuzug von Fachkräften aus dem EU-Ausland und den Drittstaaten einzusetzen. Brandenburg soll zudem stärker auf europäischen Jobmessen für sich werben und Asylbewerbern den sofortigen freien Zugang zum Arbeitsmarkt gewähren.

Hier geht's zum Wahlprogramm der Brandenburger FDP

Weitere Parteien

Beitrag von Alex Krämer

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