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Quelle: rbb|24/Ann Kristin Schenten

Stichprobe Brandenburg | Nichel

Windkraft auf den Feldern, Sturm im Dorf

Für die einen sind sie die Hoffnungsträger der Energiewende. Andere fühlen sich durch sie ihrer gesamten Lebensqualität beraubt. In Nichel bringen Dutzende neue Windräder Ärger. Das Dorf wird kurz vor der Landtagswahl auf die Probe gestellt. Von Ann Kristin Schenten

Am 1. September 2019 haben mehr als zwei Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Möglichkeit, den neuen Landtag zu wählen. Doch wie sieht das Leben in der Mark abseits des Berliner Speckgürtels aus? Was bewegt die Menschen? Wir haben uns im Land umgeschaut. Entstanden ist die Serie "Stichprobe Brandenburg".*

Torsten Henning wirkt angespannt. In seiner grauen Latzhose sitzt er am Steuer seines alten Fords. Durch die Heckscheibe des Wagens betrachtet er die Windräder am Rande der Landstraße. Die Hände fest um das Lenkrad geklammert, fährt er etwas zu schnell, nimmt die Kurven etwas zu eng – das Thema Windräder geht ihm nah. "Wenn ich hier vorbei fahre, denke ich nur: unsere arme Natur."

Torsten Henning arbeitet als Hausmeister, ist aber so etwas wie der inoffizielle Gemeindevorsteher von Nichel, einem Dorf in Potsdam-Mittelmark mit rund 200 Einwohnern. Ständig klingelt sein Telefon. Irgendwer will immer irgendwas.

Nichel gehört zur Gemeinde Mühlenfließ. Die meisten Dörfer bestehen hier aus wenigen Straßen. Dazwischen: hunderte Hektar Wiesen und Wald. In Mühlenfließ fällt es leicht, den Überblick zu behalten. Und etwas ist nicht zu übersehen. Der Horizont ist mit unzähligen Windrädern bedeckt. Sie sind der Grund, warum Torsten Henning so aufgeregt ist.

Ideale Lage für Windparks in Potsdam-Mittelmark

Vor gut zehn Jahren wurden in Potsdam-Mittelmark, rund um die Gemeinde Mühlenfließ und die Stadt Niemegk, die ersten Windparks aufgestellt. Aus wenigen Windrädern wurden in der darauffolgenden Zeit mehrere Dutzende. Nicht wenige stehen nur 1.000 Meter von angrenzenden Grundstücken entfernt. Aktuell werden in einem Waldstück zwischen Nichel und Niederwerbig wieder acht Stück gebaut.

Fundament für ein Windrad | Quelle: rbb|24/Ann Kristin Schenten

Auch Torsten Henning kann von seinem Wohnzimmerfenster aus die Windräder sehen. Für ihn verändern sie nicht nur den Blick. Seine Lebensqualität leidet. Seit die Windräder in seiner unmittelbaren Nähe stehen, würde er schlechter schlafen und sein Blutdruck sei gestiegen. Er könne sich schlechter konzentrieren, sei ständig müde und bei jeder Fahrt vorbei an den Windrädern müsse er sich aufregen.

Schuld an seinem verschlechterten Gesundheitszustand sei der sogenannte Infraschall, den die Windräder erzeugen. "Ich liege nachts im Bett und es fühlt sich an, als würde ich in einem Bus oder Zug sitzen, so ein Gefühl ist das, da kann man einfach nicht schlafen."

"Wir leiden unter den Windrädern"

Infraschall ist für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar. Die Töne sind so tief, dass wir sie nicht hören können. Bisher konnten in Studien, beispielsweise der Bergischen Universität Wuppertal [umweltbundesamt.de], keine gesundheitlichen Auswirkungen von Infraschall auf den menschlichen Körper nachgewiesen werden.

Das Umweltbundesamt wies 2014 allerdings darauf hin, dass "negative Auswirkungen von Infraschall im Frequenzbereich unter zehn Hertz auch bei Pegeln unterhalb der Hörschwelle nicht ausgeschlossen werden können." Torsten Henning ist sich jedenfalls sicher: Die Windräder sind für seine gesundheitlichen Probleme zumindest mitverantwortlich. "In den Städten machen sie Fridays for Future, das ist ja schön und gut, verstehe ich ja auch. Aber hier auf dem Land leiden wir unter den Windkrafträdern."

Die Energiewende beginnt auf dem Land

Bis 2038 will Brandenburgs amtierender Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) aus der Braunkohle ausgestiegen sein. Das Land will Vorreiter in Sachen erneuerbarer Energien sein. In Potsdam-Mittelmark gibt es genug Platz für neue Windräder, sagt die Regionalplanung der Landesregierung. Sie legt die Windeignungsgebiete fest. Vor allem die Gebiete um Mühlenfließ und Niemegk eignen sich für große Windparks.

Die Gemeinden haben bei der Bebauung kein Mitspracherecht. Ab 2020 sollen die Kommunen allerdings 10.000 Euro pro Windkraftanlage bekommen.

Hinweisschild für den Wildpark | Quelle: rbb|24/Ann Kristin Schenten

Für neue Windräder muss Wald abgeholzt werden

Torsten Henning sagt, er habe ja nichts gegen Windkraft an sich. Aber wenn dafür, wie in Mühlenfließ, auch Wälder abgeholzt werden, dann sehe er nicht, warum das ökologisch sein solle. "Wir wollen CO2 einsparen, aber schützen unsere Wälder nicht."

Er fährt mit seinem Ford durch den Wald. Vor wenigen Jahren ist man hier noch nicht gut mit dem Auto durchgekommen. Jetzt wurden die kleinen Pfade durch breite Schotterstraßen ersetzt, damit die Baufahrzeuge mit großen Einzelteilen für die Windkrafträder transportieren können.

Angesichts der kommenden Landtagswahl ist er ernüchtert. Kaum eine Partei würde sich aktiv gegen die Windkraftanlagen stark machen. Lediglich die Freien Wähler könnten die Sorgen der Windkraftgegner nachvollziehen. Sie fordern einen Aufschub der geplanten Windparks und wollen den Abstand zu den Privatgrundstücken der Dorfbewohner auf mindestens 1.500 Meter ausweiten. Die AfD stellt sich gegen den Ausbau von Windrädern und gegen Windkraft allgemein. Für Torsten Henning sind sie keine Alternative. Andere Dorfbewohner, die sich an den Windrädern stören, sehen ihre Interessen von keiner einzigen Partei vertreten.

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Die Ergebnisse in Potsdam-Mittelmark

Die CDU will sich vorwiegend auf den Schutz der Wälder in Potsdam-Mittelmark konzentrieren, spricht sich aber nicht explizit gegen Windkraft aus. SPD und Grüne sind für einen geplanten Ausbau der Windkraft, allerdings in enger Absprache mit der Bevölkerung. Der parteilose, ehrenamtliche Bürgermeister von Mühlenfließ, Jens Hinze, sieht in den Windrädern eine gute Möglichkeit, seine Gemeinde auf die Zukunft vorzubereiten – "aber nur, wenn dabei alle Menschen in Mühlenfließ miteinbezogen werden".

Grundstücke sollen Windparks weichen

Auf seinem Weg durch die Gemeinde hält Torsten Henning an einem Hundezentrum an. Die Inhaber des Grundstücks befinden sich momentan im Rechtsstreit mit den Windkraftbetreibern, ihr Gelände soll einem Windpark weichen.

Thomas Henning unterhält sich mit einer Anwohnerin. Auch sie fühlt sich von den großen Windrädern gestört, sieht sie jeden Tag von ihrem Garten aus: "Die können uns ja jetzt nicht überall diese Windräder hinstellen, dann gibt es ja gar keine Landschaft mehr." Und fügt dann hinzu: "Natürlich stören mich die Windräder, aber wir brauchen ja auch in Zukunft Strom".

Quelle: rbb|24/Ann Kristin Schenten

*"Stichprobe Brandenburg" ist ein Projekt des 12. Volontärsjahrgangs der Electronic Media School ems in Zusammenarbeit mit rbb|24. Weitere Reportagen aus den Landkreisen finden Sie hier.

Beitrag von Ann Kristin Schenten

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