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Audio: Inforadio | 04.10.2017 | Sascha Erler | Quelle: Zentralbild

AfD-Erfolg in Südbrandenburg

"Wir haben noch nicht mal mehr einen Konsum hier"

Heinersbrück, Landkreis Spree-Neiße: Hier haben bei der Bundestagswahl 40,4 Prozent der Wähler ihre Stimme der AfD gegeben. Aber warum? Sascha Erler hat sich in der kleinen Lausitzgemeinde umgehört. Er traf auf viele Menschen, die sich nicht gehört fühlen.

Der Sage nach hat Heinrich der Zweite eine Brücke über die Malxe bauen lassen und damit den Ort Heinersbrück begründet. Er hätte sich wohl kaum vorstellen können, dass gut tausend Jahre später der Lauf des kleinen Flüsschens durch einen gigantischen Tagebau unterbrochen wird.

Die Grubenkante liegt keine 500 Meter vom Sitz der Agrargenossenschaft entfernt. Traktorenlärm übertönt das konstante Rauschen der nahen Bundesstraße, und der Duft von Kuhdung erfüllt die Luft. Hier gibt es einen der letzten Treffpunkte im Dorf: Die Bauernstube. Die war schon zu DDR-Zeiten Anlaufpunkt für Bergarbeiter, Bauern und Einwohner – und ist es immer noch, erzählt Dieter Speicke.

Entlassungen und viel Wirbel in der Wendezeit

Eigentlich sei es nach der Wende ganz gut gelaufen in der Gegend, meint Speicke: "Durch den angrenzenden Tagebau, Baufirmen, die sich hier ringsum niedergelassen haben, da können wir eigentlich sehr zufrieden sein, sonst hätten wir gleich fünfmal mehr entlassen müssen. So sind die eben alle untergekommen."

Entlassungen und Wirbel hat Speicke in der Wendezeit, als später Student, genug erlebt. Die Aufteilung der Genossenschaft in zwei Betriebsteile sei damals ein Fehler gewesen, das schmerze heute noch, sagt Speicke: "Der Betrieb mit 3.000 Hektar ist natürlich ökonomischer als einer mit nur noch 1.000 Hektar."

Man hat sich arrangiert

Inzwischen ist Dieter Speicke einer von zwei Vorsitzenden der Genossenschaft. Der 64-Jährige sitzt im Bürotrakt des weißen Gebäudes, eingeklemmt zwischen Computern und einem massiven Schreibtisch, der vermutlich fast so alt ist, wie er selbst.

Speickes Hände zeugen von vielen Jahren in der Landwirtschaft. Beim Reden lässt er sie immer wieder auf die Schenkel fallen. Natürlich ist die Arbeit in den letzten Jahren nicht einfacher geworden: Internationaler Konkurrenzdruck, mehr Papierkram, aber man habe sich irgendwie arrangiert, sagt der Genossenschaftsvorsitzende. Vieles sei heute besser, aber es gebe auch Sachen, die es vorher nicht so gegeben habe: Lange Arbeitslosigkeit, soziale Unsicherheit zum Beispiel. "Aber ein Schritt zurück, wie es mal war in Vorwendezeiten, ich denke mal, diese Interessen kommen kaum vor."

Trotzdem gibt es offenbar dieses Gefühl, von "denen da oben" allein gelassen zu werden. Dieses Gefühl Kann Sylvo Pohl gut nachvollziehen. Er hat in der Bauernstube zusammen mit Sohn Georg gerade sein Mittagessen beendet. Bundes- und Landesregierung nähmen die Menschen der Region nicht ernst, meint er, die gingen nicht auf die Probleme der Leute ein. "Weil unsere Ecke ziemlich weit weg ist von Potsdam. Die wird ja so ziemlich stiefmütterlich behandelt, so empfinde ich das. Man muss wirklich aus der Region hier mit Nachdruck an die Landesregierung rantreten, damit wir überhaupt aufmerksam wahrgenommen werden."

Der Tagebau Jänschwalde bei Heinersbrück. | Quelle: dpa-Zentralbild

15.000 Jobs hängen an der Braunkohle

Sylvo Pohl weiß, wovon er redet. Er war lange Jahre Geschäftsführer der Teichlandstiftung. In der Nachbarkommune Teichland sorgte der Tagebau jahrelang für sprudelnde Steuereinnahmen, und die flossen in eine Bürgerstiftung, die zum Beispiel Vereine der Region unterstützt. Diese Steuer-Einnahmen sind allerdings ein Traum von gestern, denn inzwischen fordern der Energiekonzern LEAG und sein Vorgänger Vattenfall Millionen an Steuern von den Kommunen zurück. Durch Strom aus Wind und Sonne fährt das benachbarte Kraftwerk Jänschwalde nur noch selten Volllast. Der Ausstieg aus der Braunkohle schwebt wie ein Damoklesschwert über der Region. Er wird kommen, die Frage ist nur: Wann? Und was passiert mit den 15.000 Menschen, die direkt oder indirekt vom Tagebau leben?

Bisher gebe es jedenfalls keine Konzepte, sagt Sylvo Pohl: "Ich denke, Jammern hat noch nie geholfen. Man muss sich überlegen, was man in Zukunft machen will, und das muss man einfach anpacken. Wenn man darauf wartet, dass jemand anderes etwas für einen tut, dann wird das nichts."

Festival der sorbischen Kultur in Heinersbrück, 2016

"Erntefest, Fastnacht ... macht keiner mehr mit"

Auch wenn das Dorf direkt an der B97 liegt, bleibt doch das Gefühl, abgehängt zu sein, erzählt Tobias Lange, der mit ein paar Kumpels gerade einen Anhänger auf den elterlichen Hof schiebt. Ohne Auto geht hier nichts, denn mit dem Bus komme man hier nicht weg, erzählt er. Die Ruhe im Dorf genieße er aber eigentlich, zum Beispiel jetzt beim Zigarettchen im Carport.  

Tobias Lange ist nach der Wende geboren, hat vier Jahre in Stuttgart gearbeitet und ist doch wieder zurückgekehrt. Seit seiner Jugend hat sich einiges verändert, sagt er: "Wir haben nicht mal mehr einen Konsum hier, jetzt haben wir einen kleinen Hofladen drüben. Veranstaltungen gehen auch zurück. Erntefest, Fastnacht, aber es macht keiner mehr mit. Interessiert sich keiner mehr dafür."

Auch das kleine sorbische Trachten-Museum gibt es nicht mehr, erzählt Tobias Lange. Doch seine  Mutter kann davon erzählen, die hat 17 Jahre lang im Heimatmuseum gearbeitet. Niemand habe sich um die Einrichtung gekümmert: "Auch die Gemeinde hat es im Prinzip verpennt, Anträge zu stellen, damit das Museum weitergehen kann. Deswegen sitze ich jetzt hier auch auf einer anderen Arbeit. Aber nebenher halte ich die Tradition schon noch aufrecht."

Was in Heinersbrück auffällt, zehn Tage nach der Wahl: Während die FDP-Kandidatin noch ihr strahlendes Lächeln zeigen kann, hängen sämtliche Konterfeis des CDU-Kandidaten wortwörtlich auf Halbmast und sind zerknüllt und eingedrückt. 40,4 Prozent hat die AfD bei der Bundestagswahl eingeholt. Das wundert hier eigentlich niemanden. Auch Mike Schönemann kann beim Plausch am Gartentor nur mit den Achseln zucken: "Das Wahlergebnis spricht irgendwo für sich, dass da ein gewisser Frust ist, dass die Leute da irgendeine Änderung haben möchten."

Irgendwas läuft schief

Dabei ändert sich doch einiges im Dorf: Immer mehr Gehöfte finden neue Besitzer, die Leute ziehen wieder nach Heinersbrück und bekommen auch Kinder. Was Mike Schönemann gleich doppelt betrifft: Eine Arbeitskollegin hatte ihm und seiner Frau das Mietshaus vermittelt, er ist - nach einigen Jahren Arbeitslosigkeit und Arbeiten im Westen - inzwischen Kindergärtner. Ja, Arbeit sei schon da, sagt Schönemann, das Problem sei die Bezahlung: "Wenn die Frau auch zum Mindestlohn arbeiten gehen muss, damit irgendwo Geld reinkommt …, es reicht manchmal wirklich vorne und hinten nicht."  Viele hier sagten, es sei früher sozialer gewesen, sagt Schönemann: "Das kann man ja auch eigentlich gar nicht bestreiten. Es war einfach so, da wurde versucht, mehr für Familien zu tun." Dieses konfuse Gefühl, "von denen da oben" allein gelassen zu werden, ist bei allen Gesprächen zu spüren.

Irgendwas läuft da gerade schief, sagt Schönemann, und mit dieser Meinung ist er nicht allein. Aber während der eine sich frustriert zurückzieht, versuchen sich andere selbst zu helfen: Seit diesem Jahr hat Heinersbrück wieder einen kleinen Dorfladen - auf private Initiative.

Beitrag von Sascha Erler

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