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Audio: Inforadio | 02.10.2020 | Jakob Bauer | Quelle: imago images/PEMAX

"Tag der Clubkultur" am 3. Oktober

Ein Lebenszeichen aus der Szene, die am Abgrund tanzt

Politisch ist der "Tag der Clubkultur" umstritten – 40 Veranstaltungen sind am 3. Oktober geplant, in einer Zeit, in der die Corona-Infektionen steigen. Das gefällt nicht jedem. Für die ausgezeichneten Clubs und Kollektive allerdings ist der Tag ein Segen. Von Jakob Bauer

Erik Kühn sitzt im leeren Schokoladen an der Bar. Der Laden sieht gut aus, viel wurde in den letzten Monaten gemacht: saniert, neuer Boden, neue Kühlschränke, Generalputz. Trotzdem ist Erik Kühn nicht gerade glücklich. Er ist Booker im Schokoladen – und seit Monaten in Kurzarbeit. Am 12. März lief die Anlage in dem kleinen Club in der Ackerstraße das letzte Mal. Vor Kurzem hat der Schokoladen zwar wieder den Barbetrieb aufgenommen, der Konzertbetrieb steht allerdings bis auf Weiteres still.

Eine großartige Chance

Der "Tag der Clubkultur" am Samstag ist für Erik Kühn und das ganze Kollektiv vom Schokoladen daher ein Versuchsballon. Das Haus wurde neben 39 anderen Clubs und Kollektiven ausgezeichnet, für ein diverses und inklusives Programm und faire Arbeitsbedingungen. 10.000 Euro erhalten die Ausgezeichneten, das Geld kommt vom Kultursenat.

Am Tag der Clubkultur präsentieren sie sich alle mit ihrem ganz persönlichen Programm: "Das ist eine großartige Chance, um mal zu sehen, wie fühlt sich das an, was können wir in der momentanen Lage überhaupt machen?" sagt Erik Kühn. Denn er hat endlich mal wieder Bands für die Bühne gebucht: Shybits und Jealous.

Allerdings wird das kein Konzert, wie man es kennt. Der Eintritt erfolgt auf Spendenbasis, die Tickets werden über Facebook verlost. Kleine Veranstaltungsorte wie den Schokoladen treffen die Hygienemaßnahmen nochmal extra brutal. "Wir haben das gestern mal ausgerechnet", erzählt Erik, "wie viel Leute wir reinlassen können. Es sind: 16." Der Eintritt erfolgt auf Spendenbasis, die 16 Tickets werden über Facebook verlost. 16 statt 120, die normalerweise diese Subkulturinstitution zum Beben bringen, in der schon so viele, mittlerweile große Bands ihre ersten Berlin-Gigs hatten.

Ein Bild aus alten Zeiten: Wo früher 120 Besucher Platz hatten dürfen coronabedingt nur 16 in den Schokoladen | Quelle: imago images/D. Heerde

Kein Vertrauen in die Kultur

Obwohl der Schokoladen nur so wenige Gäste reinlassen kann, können die sich dort nicht frei bewegen. Denn bei Konzerten gibt es momentan nur zwei Optionen: Sitz- oder Stehkonzerte. Erik Kühn ist kein Fan von Sitzkonzerten – da kommt keine Atmosphäre auf. Wenn die Besucher stramm mit Abstand und Maske in einer Reihe stehen, ist das für ihn aber auch kein tolles Konzerterlebnis. Deswegen hat sich der Schokoladen für einen Mittelweg entschieden: Die Besucher werden auf Barhockern an Stehtischen platziert. "Wir probieren Konzepte aus, vielleicht können wir damit auch weitere Veranstaltungen machen. Aber immer unter der Prämisse: Es ist ein Special. Wir werden nicht anfangen, wieder regelmäßig Konzerte zu machen. Wir hatten immer so 230 pro Jahr, und in diesem Rahmen werden wir uns natürlich nicht bewegen."

Der Schokoladen bezahlt seine Künstler und das Personal fair, die Ticketpreise sind trotzdem äußerst niedrig. Das geht, weil das Kern-Team, das Kollektiv, das plant und Programm gestaltet, ehrenamtlich arbeitet. Das Bar-Team und die Techniker dagegen sind auf den Lohn angewiesen.

Aber bei Konzerten mit 16 Besuchern würde das mit dem Fair-Sein einfach nicht mehr funktionieren, und das frustriert Erik Kühn. Er hat das Gefühl, dass andere Konzepte für den Konzertbetrieb möglich wären, dass aber der Kultur nicht vertraut wird. "Man kann im vollen Flugzeug fliegen, im Bus unterwegs sein, aber man vertraut uns nicht, dass wir die Regeln einhalten können und stattdessen feiern die Menschen im Park."

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Die feiernden Menschen im Park – das sind die, die auf nicht genehmigten Veranstaltungen tanzen, ohne Hygienekonzept, ohne Möglichkeit der Nachverfolgung, mit großem Risiko für die ganze Gesellschaft. Das wird beim Tag der Clubkultur so nicht passieren – alle Teilnehmenden haben strikte Hygienekonzepte, die sie gemeinsam mit der Clubcommission erstellt haben.

Trotzdem stößt der Tag nicht überall auf Gegenliebe. Der linke Gesundheitsstadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg Knut Mildner-Spindler sagte letzte Woche dazu, er habe angesichts der hohen Infektionszahlen im Bezirk etwas "Bauchschmerzen" beim Gedanken an den Tag. Sein Parteifreund und Kultursenator Klaus Lederer hingegen ist seit jeher ein Verfechter der Clubkultur. Aus seinem Verwaltungsbereich stammt auch die Idee. mit dem Tag. Im rbb verteidigte Lederer am Mittwoch das Konzept gegen Angriffe: "Kontrollverlust, die ganze Nacht durchtanzen, in geschlossenen Räumen, eng beieinander – das wird es nicht geben." Die Veranstalter und die Clubcommission seien da sehr verantwortungsbewusst.

Und diese Clubcommission ist frustriert von den vielen Anfeindungen. "Gerade haben wir das Problem, dass die Clubs zum Sündenbock gemacht werden für die steigende Zahlen und die Clubkommission ist damit nicht d'accord", sagt Katharin Ahrend, Projektleitung beim Tag der Clubkultur. "Was wir sehen sind Clubs, die sehr verantwortungsvoll agieren, auch weil sie seit Beginn der Pandemie unter einer sehr starken Beobachtung stehen. Dementsprechend gibt es bei allen, die derzeit aktiv sind, belastbare Hygienekonzepte und den Willen und das Verantwortungsbewusstsein, diese auch einzuhalten. Der Kultursenator hat sich dazu auch schon öffentlich geäußert, dass er seit Wochen nach belastbaren Zahlen fragt, ob die Infektionsherde auf die Clubs zurückzuführen sind. Bisher hat er keine bekommen."

Dinner mit Clubatmosphäre

Trotz neuer Corona-Maßnahmen findet der Tag der Clubkultur am Samstag also statt. Die Gewinner präsentieren sich mit Showcases – auf Freiflächen, die von den Bezirken zur Verfügung gestellt wurden, oder in ihren eigenen Räumlichkeiten. Keine klassischen Konzerte sind das, die sind ja sowieso nicht möglich. Stattdessen mussten die Clubs kreativ werden, wie schon in den vergangenen Monaten. Und so sind spannende "Hybrid-Konzepte" herausgekommen, wie es Katharin Ahrend nennt. "Im Ritter Butzke zum Beispiel erwartet uns ein ganz besonderes Dinner mit musikalischer Begleitung und DJ-Sets. Man sitzt im Club an einem Tisch, wird bedient mit tollem Essen und dazu gibt es Clubatmosphäre."

Ein anderes Beispiel: Das "Queerberg-Kollektiv" – ein Zusammenschluss aus migrantischen Transpersonen, queeren und nonbinären Menschen. Die "Queens vom Queerberg", wie sie sich nennen, veranstalten eine Kochshow in Verbindung mit Performance-Elementen. Am Schleusenufer an der Spree legt währenddessen die DJs vom "Frauengedeck" auf – ein Kollektiv für weibliche Techno- und House-DJs.

Die kreative Energie, die sich seit Monaten bei vielen Clubs und Kollektiven angesammelt, sie bekommt am Samstag also wenigstens ein kleines, sicher verpacktes Ventil. Ein Lebenszeichen einer Szene, die am Abgrund tanzt.

Was es sonst noch zu entdecken gibt, ist auf der Homepage der Clubkommission zu lesen. "Wir haben ein superweites Spektrum an Veranstaltungen in verschiedenen Bezirken Berlins, von Clubs und Kollektiven", sagt Katharin Ahrend von der Clubkommission. "Viele sind davon altbekannt, viele sind für manche neu, weil sie sich sonst in anderen Sphären bewegen. Und deswegen würde ich das gerne als Einladung weitergeben, zum Experimentieren und Neuentdecken."

Sendung: Inforadio, 02.10.2020

Beitrag von Jakob Bauer

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