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Quelle: Frank Döring

Serie: 30 Jahre Mauerfall | Berlin, du bist dufte

"Der Duft des Westens hat DDR-Bürger zur Flucht gelockt"

Gerüche sind nicht nur wichtig für Parfumeure, sondern auch für Historiker. Der Berliner Bodo Mrozek forscht zur Geruchsgeschichte der deutschen Teilung und weiß: Die Klischees vom stinkenden Osten und wohlriechenden Westen stimmen nicht. Von Anne Kohlick

rbb|24: Herr Mrozek, Sie forschen zur Geschichte der deutschen Teilung anhand von Gerüchen. Wie groß waren denn die Unterschiede zwischen Ost und West, die man riechen konnte?

Bodo Mrozek: Ich bin auf einen Artikel aus dem "Stern" gestoßen aus den frühen 1970er Jahren, in dem ein westdeutscher Journalist schreibt: Man dürfe nicht fragen, wie die DDR sei - man müsse es selbst sehen, schmecken, riechen. Er stellt also eine sensorische Differenz zwischen den beiden deutschen Staaten fest. Ende der 1970er wird das noch deutlicher: Da stellt die DDR die Heizungssysteme auf Braunkohle um, weil es Lieferengpässe gibt beim Öl aus der Sowjetunion. Dieser Geruch der Braunkohle-Verbrennung wird noch heute als typischer DDR-Duft beschrieben – obwohl auch in West-Berlin viel mit Braunkohle geheizt wurde.

Zur Person

Der Historiker Bodo Mrozek ist 1968 in West-Berlin geboren. Zur Zeit ist er Fellow am Berliner Kolleg Kalter Krieg. Er forscht zur transnationalen Kulturgeschichte, zum Kalten Krieg und zur Sinnesgeschichte. Zuletzt vertrat er den Lehrstuhl für Theorie und Geschichte der Populären Musik an der Humboldt-Universität zu Berlin und veröffentlichte das Buch "Jugend - Pop - Kultur. Eine transnationale Geschichte" bei Suhrkamp.

Mit was für Quellen arbeiten Sie als Geruchshistoriker?

Es gibt durchaus Osmotheken, also Duftarchive – zum Beispiel eine Sammlung von DDR-Parfums oder die berühmte Sammlung von Menschen-Gerüchen, die die Stasi angelegt hat, um Regimegegner mit Hunden aufspüren zu können. Aber es nützt mir als Historiker eher wenig, wenn ich mit meiner Nase von heute an einem russischen Parfum von 1975 rieche und das als unattraktiv empfinde. Das entspricht nicht dem zeitgenössischen Empfinden. Deshalb muss ich mit historischen Texten arbeiten, in denen Menschen ihre Geruchsempfindungen beschreiben. Und ich führe systematisch Interviews mit Zeitzeugen, die sich an die Gerüche in Ost und West erinnern.

Was ist ein typischer Geruch, der da häufig genannt wird?

Westdeutsche, die zu Besuch in der DDR waren, erinnern sich an einen Geruch in den öffentlichen Gebäuden im Osten, der zum Beispiel über den Behördenfluren hing. Der kam vom Desinfektionsmittel Wofasept, das in Bitterfeld hergestellt wurde. Er wird als aggressiv und dominant beschrieben etwa von einem westdeutschen Journalisten, der sich gleich nach der Wende auf die Suche machte nach dem "Geruch der DDR". Schon 1990 stellte er fest, dass dieser Duft zu verschwinden begann.

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Und an welche Düfte erinnern sich die Ostdeutschen?

Zum Beispiel an den Geruch der Westpakete. Den beschreiben viele Zeitzeugen als sehr angenehm. Heute können wir das nicht mehr nachempfinden, weil wir von den damals exklusiven Westprodukten – die viel stärker aromatisiert und parfümiert waren als die Konsumgüter im Osten – ja mittlerweile permanent umgeben sind. Aber damals war dieser Duft eine Verheißung, die Menschen sogar zur Flucht aus der DDR angeregt hat. Ich bin auf eine Zeitzeugin gestoßen, die mit 16 Jahren im Kofferraum eines Amerikaners aus Ost-Berlin geflüchtet ist. Sie erzählt, sie habe als Kind in einem Westpaket Bonbons gerochen und damit sei ihr klar gewesen: Ich will später einmal dahin, wo es so riecht.

Der duftende Westen, der stinkende Osten – diese Klischees kennt man. Bestätigt sich das in Ihrer Forschung?

Nein, auch im Westen gab es zum Beispiel sehr beißende Innengerüche, etwa in Schulgebäuden. Da wurden in den 1970er Jahren formaldehydhaltige Dichtmittel verbaut. Ich bin in den Archiven auf Fälle gestoßen, in denen Schüler reihenweise toxische Reaktionen darauf gezeigt haben. Eine Lehrerin hat sogar ihr Kind abtreiben dürfen – was damals in der BRD noch genehmigungspflichtig war – weil sie Formaldehyd-Dämpfe eingeatmet hatte und deshalb Missbildungen beim Embryo befürchtet wurden. Solche Fälle haben dazu geführt, dass man im Westen gesetzlich geregelt hat, welche Konzentrationen von Feinstoffen in Räumen sein dürfen.

Wie im Nebel: Häuser im Prenzlauer Berg Anfang der 1980er Jahre | Quelle: Frank Döring

Um bei den Klischees zu bleiben: Die gängige Vorstellung von der "ungesunden" DDR voll Kohlestaub in der Luft und der "gesünderen" BRD stimmt also nicht unbedingt?

Zumindest war der Osten viel weniger parfümiert als der Westen, was Körperpflege-Produkte, aber auch Lebensmittel und Waschmittel betraf. Es ist eine Kollektiverfahrung der Ostdeutschen, dass sie nach der Wende mit den überparfümierten westdeutschen Produktlandschaften durchaus Probleme hatten. Diese Unterschiede, die man primär riechen konnte, haben sich ausgewirkt bis in die Körper hinein: Je länger Menschen in der DDR gelebt haben, desto weniger sind sie anfällig für Allergien. Das haben umweltmedizinische Vergleichsuntersuchungen ergeben.

Spielt der Duft und die Erinnerung an Gerüche von früher auch eine Rolle beim der Wiedereinführung von Retro-Produkten wie dem DDR-Schaumbad Badusan?

Auf jeden Fall. Gerüche können auf ganz intensive Weise Erinnerungen in uns wachrufen. Man nennt das in der Wissenschaft den Proust’schen Effekt – in Anlehnung an Marcel Prousts Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Das Aroma einer Madeleine versetzt den Erzähler in diesem Buch zurück in seine Kindheit. Und so funktioniert unser Gedächtnis tatsächlich: Es verknüpft Gerüche mit Ereignissen oder Personen, die damals den Kontext gebildet haben.

Wenn wir einen Duft wiederriechen, können diese Bilder und Situationen abermals vor unser geistiges Auge treten, oder besser: unsere geistige Nase. Auf diesen Effekt spekulieren solche Retro-Produkte ganz entscheidend. Und die gibt es übrigens auch im Westen, wo zum Beispiel Hautcremes in Retro-Verpackungen aufgelegt werden, die eine gute alte Zeit beschwören. Geruchsnostalgie ist also ein gesamtdeutsches Phänomen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Ost- und West-Berlin rochen vor dem Mauerfall unterschiedlich. Viele dieser Gerüche sind heute verschwunden. "Berlin, du bist dufte" sucht nach ihren Spuren und erzählt, wie sich die Düfte der Stadt seit der Wende verändert haben.

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