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Quelle: Elise Landschek

Vertragsarbeiterin Orquídea Chongo

Mit dem Ende der DDR waren Job und Wohnheimplatz weg

Orquídea Chongo kam 1980 als Vertragsarbeiterin aus Mosambik in die DDR. Mit dem Mauerfall endete ihr Vertrag, die Wende wirbelte ihre Pläne durcheinander. Heute wohnt sie im Westen Berlins - und ist im Herzen ein Ossi. Von Elise Landschek  

Orquídea Chongo ist 19, als sie Anfang der 80er Jahre am Flughafen Maputo in ein Flugzeug steigt. Zielflughafen: Berlin-Schönefeld, DDR. "Wir hatten keine Koffer dabei, nur die Kleidung am Körper und einen kleinen Rucksack", erzählt sie. "Zur Begrüßung überreichte man uns eine Tüte mit Äpfeln."

Durch die Abwanderung von Millionen Menschen aus der DDR in Richtung Westen herrschte im Osten Fachkräftemangel. Die SED-Regierung schloss Verträge mit den befreundeten Staaten, wie Angola, Kuba, Ungarn, Vietnam oder Mosambik. Zehntausende kamen, in der Hoffnung, in der DDR einen Ausbildungs- und Arbeitsplatz zu finden. Anfang 1989 lebten etwa 94.000 Vertragsarbeiter in Ostdeutschland. Ursprünglich sollten die Arbeiter nach der Ausbildung in ihre Heimatländer zurückreisen, doch viele blieben. Die DDR brauchte sie als billige Arbeitskräfte.

Quelle: Elise Landschek

Flucht in die DDR als Chance

Ein Bus bringt Orquídea Chongo und die anderen Mosambikaner nach Luckenwalde in Brandenburg. Hier bekommen sie polytechnischen Unterricht und müssen Kugellager am Fließband zusammenschrauben. Ein Jahr später wird Orquídea Chongo weiter nach Apolda in Thüringen geschickt, für eine Ausbildung als Textilfacharbeiterin.

"Für uns war das eine große Chance", erzählt sie. "In Mosambik herrschte Bürgerkrieg und wir waren so froh, nach Deutschland zu kommen. Hier waren wir sicher, wir konnten kostenlos zum Arzt gehen, hatten eine Unterkunft." Ob DDR oder BRD spielte für sie damals keine Rolle. "Für uns war das einfach Deutschland. Wir mussten uns erstmal an das schlechte Wetter und das seltsame Essen gewöhnen. Da war uns gar nicht so sehr klar, dass man im Westen anders lebte als im Osten.“

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Wenig Kontakt mit DDR-Bürgern

Die Vertragsarbeiter lebten meist untergebracht an den Rändern der Städte, in Wohnheimen. Der Plattenbau in Luckenwalde, wo Orquídea Chongo mit hunderten weiteren afrikanischen Vertragsarbeitern lebte, steht heute nicht mehr. "Es gab dort viele Regeln zu beachten", sagt sie. Ab 22 Uhr hatte jeder in seinem Zimmer zu sein. Kontakte mit DDR-Bürgern waren nicht erwünscht und mussten vorab genehmigt werden. Wenn eine Frau schwanger wurde, wurde sie sofort zurück in die Heimat geschickt. "Wir waren unter uns. Kontakte hatten wir mit den Leuten, mit denen wir im Betrieb zu tun hatten. Da sind auch Freundschaften entstanden. Aber nur dort", erzählt Orquídea Chongo. Viele DDR-Bürger habe sie als sehr skeptisch gegenüber den ausländischen Arbeitern erlebt, manche auch feindselig. "Wir konnten uns ja nicht kennenlernen."

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Der Mauerfall bedeutete für sie: das Ende ihres Vertrags. Die DDR gab es nicht mehr, alle Verbindlichkeiten waren null und nichtig. Sie verlor ihren Job und ihren Platz im Wohnheim. "Ich fand das schade, dass das alles dann zu Ende war", sagt sie. "Dass man nicht wusste, wie es weitergeht."

Den Vertragsarbeitern wurde angeboten, im vereinten Deutschland zu bleiben, doch die meisten DDR-Fabriken wurden geschlossen, die ausländischen Arbeiter standen auf der Straße wie alle anderen auch. "Manche waren mutig und sind geblieben, ich nicht", sagt Orquídea Chongo. Sie flog 1990 zurück nach Mosambik, weil sie für sich keine Perspektive mehr in Deutschland sah. Doch die Heimat war ihr fremd geworden. Schon drei Jahre später kehrte sie nach Deutschland zurück, diesmal nach Berlin.

Nach dem Mauerfall ist alles anders

"Es hatte sich auch in Ostdeutschland alles geändert. Man hörte schlimme Geschichten von Neonazis, die Ausländer jagen. Ich hatte Angst überfallen zu werden auf der Straße." Mit dem Regionalzug sei sie nur noch in Begleitung gefahren, erzählt sie, auf der Straße wurde sie von Rechten bepöbelt. Wenn es dunkel wurde in ihrem Wohngebiet in Berlin-Hellersdorf, blieb sie lieber zu Hause. Auch hier verhielten sich viele Nachbarn feindselig. "Uns wurde unterstellt, wir nehmen den Deutschen die Arbeitsplätze oder die Sozialleistungen weg, was völlig absurd war", sagt die Mosambikanerin. Neid und Missgunst habe das Miteinander vergiftet.

Im Herzen fühlt sie sich als Ossi

Nach ihrer Rückkehr aus Mosambik erteilen ihr die Behörden keine Arbeitserlaubnis mehr, eine Aufenthaltsgenehmigung muss sie nach bundesdeutschem Ausländerrecht ständig neu beantragen. Der Krieg in Mosambik ist zu Ende und damit auch ihr Anspruch, in Deutschland leben und arbeiten zu dürfen. Die Ausbildung in der DDR wird in der BRD nicht anerkannt. Sie erledigt kleinere Hilfsarbeiten, arbeitet als Putzfrau und beantragt eine Umschulung zur Krankenschwester. Doch auch dieser Antrag wird vom Arbeitsamt abgelehnt.

Heute ist sie Altenpflegerin, hier brauchte der Staat dringend günstige Arbeitskräfte. "Ich habe nicht das Leben gelebt, das ich wollte", sagt Orquídea Chongo. Der Mauerfall habe alle Pläne durcheinander gewirbelt.

Heute wohnt sie ganz nah am ehemaligen Mauerstreifen in Berlin, auf der Westseite. Richtig angekommen fühlt sie sich nicht. Im Herzen fühle sie sich immer noch als Ossi, wie sie sagt.

Beitrag von Elise Landschek

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