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Quelle: dpa

Fehlende Leichensäcke in der Corona-Krise

Wenn Bestatten zum Problem wird

Auch deutsche Bestatter leiden unter der Corona-Krise. Die Zahl der Corona-Toten ist noch gering. Die grundsätzlich vorgeschriebenen Leichensäcke aber werden großteils in China produziert. Jetzt geht der Nachschub aus - mit Folgen. Von Ansgar Hocke

Eigentlich ist Nicole Herzberg eine Geschäftsfrau die anpackt, organisiert und immer einen Ausweg findet, wenn es irgendwo mal hakt. Die 49-Jährige ist Inhaberin des Hennigsdorfer Unternehmens "Verpackungsmittel und Vertrieb". Doch jetzt weiß sie einfach nicht weiter. Während sich alles in der Politik und Wirtschaft um fehlende Schutzanzüge und Atemmasken dreht, hat sie ein ganz anderes Problem: Jeden Tag sterben in Deutschland Menschen, viele haben nichts mit der Corona-Pandemie zu tun. Tödliche Verkehrsunfälle, Herzinfarkte, Altersschwäche – daran hat sich nichts geändert. Für den letzten Weg der Verstorbenen gibt es klare Hygiene- und Seuchenvorschriften. Die Bestatter müssen die Körper der Verstorbenen umhüllen, der Fachbegriff dafür lautet: Hygiene-Leichensäcke.

Kaum jemand will darüber sprechen, gerade in diesen Zeiten. Nicole Herzberg muss darüber sprechen, denn ihr Lager ist leer, notwendige Lieferungen bleiben aus.  Jetzt macht sie sich Sorgen, wie "die helfenden Hände, die am Ende jedes Lebens notwendig sind", geschützt werden können - Klinikpersonal und Bestatter. Auch vor Corona.

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Hauptsache Leichensäcke

Auch am Telefon merkt man, wie schwer es der gestandenen Unternehmerin fällt, über das Thema zu reden. Nach dem Infektionsschutzgesetz ist sie verpflichtet, Hygiene-Leichensäcke auf Vorrat zu lagern. Normalerweise sind es 500 bis 1.000 Stück. Doch davon ist nichts mehr übrig. "Im Grunde ist es fast egal, wer die benötigten Leichensäcke bereitstellt", so Nicole Herzberg, "Hauptsache sie werden überhaupt bereitgestellt."

Täglich telefoniert sie mit Einkäufern in Krankenhäusern und mit Bestattern. Es rufen Kliniken aus Italien, der Schweiz und Österreich an, die alle auf der Suche nach Nachschub sind. Sie muss alle vertrösten, doch der Ansturm hält an: Vergangenen Donnerstag gab es deutschlandweit mehr als 6.500 Bestellungen von Gemeinden, Krankenhäusern, Bestattern, Krisenstäben und mehr als 22.000 Anfragen nach "dringender Lieferbarkeit", wie es in der Amtssprache heißt. Auch der Versuch, bei anderen Firmen "beizukaufen" brachte nichts, der Markt ist leer.

Logistische Probleme

Die Corona-Krise zeigt, wie klein die Welt ist, wie abhängig alle voneinander sind. China gehört zu den Hauptproduzenten und der dortige Produktionsausfall über zwei Monate trifft jetzt auch das deutsche und europäische Bestattungsgeschäft. Inzwischen ist die Produktion zwar wieder angelaufen, aber der Transport auf dem Seeweg dauert sechs bis sieben Wochen. Und die Lieferung per Luftfracht verteuert sich fast stündlich. Bis zu sechs Euro je Kilogramm seien es aktuell, so Herzberg, der Preis habe sich nahezu verdreifacht. Aber wer bei den Speditionen nachfragt, der erfährt: Es ist schwierig, überhaupt Platz für die Ware zu finden - trotz gestiegener Preise. Und nicht nur die Luftfracht ist am Limit, selbst Nachschub aus Europa ist ein Problem. Die Spediteure kommen nicht hinterher.

Frank Sachse ist der Vertriebsleiter des Hennigsdorfer Unternehmens. Schon am 19. März wandte er sich Hilfe suchend an den Brandenburger Krisenstab Corona und schrieb: "Wir können die Ware nicht zeitnah transportieren. Wir benötigen dringend Hilfe bei der logistischen Umsetzung." Die Antwort des Brandenburger Koordinierungsstabs: "Ihre Anfrage ist [...] ein rein logistisches Problem aufgrund gestiegener Nachfrage [...]. Eine Unterstützung bei der Auslieferung kann Ihnen nicht gewährt werden."

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Vertriebsleiter versteht die Welt nicht mehr

Jetzt sind die Lager leer und der Bedarf kann nicht mehr gedeckt werden. Um allen Bestellungen gerecht zu werden, wären tausende von Säcken erforderlich: "Doch was an Bestellungen und Anfragen reinkommt, kann ich nur weiterhin notieren, aber eben nicht mehr beliefern", erklärt Nicole Herzberg am Telefon.

Ihre Kunden seien verzweifelt, ein Bestatter habe resigniert gesagt: "Dann können wir die eben nicht mehr abholen." Der Vertriebsleiter Sachse sagt, er verstehe die Welt nicht mehr. Er habe die Bilder aus Italien von Militärtransportern in Italien vor Augen, die die Särge mit Corona-Toten darin aus den Städten fahren mussten. Ohne, dass jemand in Ruhe Abschied nehmen konnte.

Beitrag von Ansgar Hocke

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