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Quelle: dpa/Britta Pedersen

Corona-Finanzhilfen

Bund rätselt über Verbleib von mehr als 7.000 Intensivbetten

"Whatever it takes" – werde er den Kliniken zahlen, versprach Gesundheitsminister Spahn zu Beginn der Corona-Krise. Und zahlte 530 Millionen Euro für Intensivbetten - doch unklar ist, wo 7.000 Betten verblieben sind. Brandenburg meldet hingegen zu viele. Was ist da los? Von Ursel Sieber und Jenny Barke

Tausende neue Intensivbetten, für die der Bund Corona-Finanzhilfen in Millionenhöhe gezahlt hat, können derzeit deutschlandweit nicht ausfindig gemacht werden.

Insgesamt forscht das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nach 7.305 Intensivbetten, die im Zuge der Corona-Pandemie aufgebaut werden sollten, hat das ARD-Politikmagazin Kontraste recherchiert. In einem internen Schreiben an die Länder, das Kontraste vorliegt, moniert der BMG-Staatssekretär Thomas Steffen erhebliche Abweichungen. Die Intensivbetten müssten auf Grund der ausgezahlten Förderbeträge rein rechnerisch vorhanden sein, schreibt Staatssekretär Steffen. Tatsächlich sind sie aber wohl derzeit nicht auffindbar.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zu Beginn der Pandemie versprochen, für Krankenhäuser einen finanziellen Rettungsschirm zu spannen. Um im Krisenfall die Versorgung zu gewährleisten, sollten deutschlandweit rund 40.000 neue Intensivbetten angeschafft werden. Für jedes zusätzliche Bett zahlte der Bund den Krankenhäusern 50.000 Euro. Bisher sind bereits 530 Millionen Euro geflossen.

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Nicht aufgeklärte Fördersumme von rund 360 Millionen Euro

Allerdings besteht eine große Diskrepanz zwischen dem ausgezahlten Geld und den registrierten Intensivbetten. Das zeigt das so genannte DIVI-Register, dem Krankenhäuser tagesaktuell melden müssen, wie viele freie und belegte Intensivbetten es in Deutschland gibt. Demnach sind aktuell rund 32.500 Intensivbetten ausgewiesen. Auf Grund der ausgezahlten Steuergelder müssten es allerdings knapp 40.000 Betten sein - also rund 7.300 Betten mehr.

Insgesamt entspricht das einer nicht aufgeklärten Fördersumme von rund 360 Millionen Euro. Auf Anfrage zeigt sich der Intensivmediziner und Initiator des DIVI-Registers, Uwe Janssens, sehr überrascht: "Diese enorme Diskepranz muss unbedingt aufgeklärt werden", sagte er Kontraste.

Bundesgesundheitsministerium kündigt Aufarbeitung an

Auch Reinhard Brückner, Chef der großen Betriebskrankenkasse VIACTIV, kritisiert scharf, dass die Kliniken bisher keine Rechenschaft über die ausgezahlten Fördergelder ablegen mussten. "Das ist ein starkes Stück", so Brückner.

Sind das schlicht Meldefehler, weil sich zum Beispiel einige Kliniken nicht an die Pflicht gehalten haben, tagesaktuell ihre Intensivbetten an das Register zu melden? Oder haben manche Krankenhäuser möglicherweise ältere Intensivbetten unzulässigerweise durch neue ersetzt?

Das Bundesgesundheitsministerium verweist darauf, dass es zu Beginn der Pandemie große Anstrengungen unternommen habe, die Zahl der Intensivbetten zu verdoppeln. Dafür seien Anreize gesetzt worden. "Das war und ist eine Zeit von Provisorien und sehr schnellen Aktionen", sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn und kündigte gemeinsam mit allen Gesundheitsministerien und Bundesländern eine umfassende Aufarbeitung der Investitionszuschüsse an. Es müsse im Nachgang überprüft werden, ob die Hilfen tatsächlich auch genutzt worden seien, um Intensivbetten aufzubauen, so Spahn.

Sonderfall Brandenburg

Für Meldefehler könnte auch ein Gegenbeispiel sprechen: In Brandenburg verhält es sich nämlich anders als im Bundesdurchschnitt. Statt fehlender Betten tauchen hier zu viele im Register auf: Das Gesundheitsministerium Brandenburg teilte auf Kontraste-Anfrage mit, dass 968 Beatmungsbetten im Land gemeldet sind. Damit haben die Krankenhäuser im Land 437 Intensivbetten mehr als noch vor der Pandemie, gerechnet ab dem 13. März 2020. Laut DIVI-Register sind in Brandenburg aber 1.104 betreibbare Betten registriert - also über 100 Betten mehr als im Gesundheitsministerium.

Das Brandenburger Gesundheitsministerium begründet die Differenz damit, dass es Interpretationsspielraum gibt, was als Intensivbett definiert werden kann. Es habe Unklarheiten gegeben, welche Betten unter die Förderpauschale fallen. "Je nach Interpretation der Krankenhäuser kam es jeweils zu einem anderen Meldeverhalten", teilt das Ministerium auf Anfrage mit.

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Auch in Berlin weichen Zahlen ab

Auch in Berlin weicht die Zahl der Intensivbetten von der aktuellen Zahl im DIVI-Register ab. Die Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit zählt zusätzliche 460 Intensivbetten seit Beginn der Corona-Pandemie, inzwischen insgesamt 1.505 Betten. Laut DIVI müssten es 1.457 Betten sein. Der Gesundheitssenat verweist darauf, dass sich das Intensivregister "noch in der endgültigen Qualitätsprüfung" befindet und deshalb Zahlen der neuen, real existierenden Betten von der Zahl im DIVI-Register abweichen könnten. Inzwischen sei bei den Meldungen eine Stabilisierung eingetreten.

Kassenchef kritisiert Pauschale für leere Betten

Allerdings gibt es noch eine weitere Ungereimtheit: Für jedes leer gehaltene Bett zahlte der Staat pauschal 560 Euro an die Kliniken. Hierfür sind bis heute über 6,6 Milliarden Euro Steuergelder gezahlt worden. Kassenchef Brückner hielt diese Pauschale von 560 Euro für sinnvoll, weil es dringenden Bedarf gab. Doch bis heute bleiben die vielen Corona-Patienten aus. Brückner hält deshalb das Ausschütten von Milliarden quasi mit der Gießkanne bis Ende Juni für einen Fehler.

Die Auszahlung der Pauschalen soll nur "nachgelagert" kontrolliert werden, teilte das Bundesgesundheitsministerium auf Nachfrage mit. Das heißt, dass erst nach Auszahlung der Gelder das Bundesgesundheitsministerium erfährt, welche Klinik wie viel Geld bekommen hat. "Jeder Solo-Selbstständige muss nachweisen, wozu er die 9.000 Euro gebraucht hat und für solche Milliardenbeträge heißt es: Wir rechnen einfach ab", kritisiert Kassenchef Brückner.

Trotz Nachbesserung gibt es Ungerechtigkeiten

Seit 1. Juli hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn eine neue Regel eingeführt, um mögliche Fehlanreize zu reduzieren: Nun gibt es pro freiem Bett zwischen 360 und 760 Euro pro Tag. Das aber bringt neue Ungerechtigkeiten. Neben Universitätskliniken bekommen den Höchstsatz von 760 Euro auch alle orthopädischen Kliniken, darunter Krankenhäuser mit hohem "Sachkostenanteil". Allerdings: Wenn nicht operiert wird und die Betten leer stehen, fallen auch keine Kosten für teure Implantate an, also warum bekommen die orthopädischen Kliniken den Höchstsatz?

Kassenchef Brückner fordert aus diesem Grund, dass auch bei der Neuregelung der Pauschalen der Bund dringend nachbessern müsste.

Sendung: Das Erste, 16.07.2020, 21:45 Uhr

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