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Audio: Inforadio | 03.08.2020 | Helena Daehler | Quelle: imago images/C. Spicker

Recherchen von ARD-faktenfinder

Falschinformationen über Größe der Berliner Corona-Demo

Die Veranstalter der Corona-Demo in Berlin wollen am Samstag Hunderttausende, gar 1,3 Millionen Teilnehmer gezählt haben. Nach Recherchen von ARD-faktenfinder und Datenanalyst Philip Kreißel sind diese Zahlen unrealistisch – werden offenbar aber gezielt verbreitet.

Die Demonstration in Berlin am Wochenende gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung hat viel Kritik ausgelöst. Streit gibt es dabei auch um die Zahl der Teilnehmer. In den sozialen Netzwerken tauchen seit Samstag massenhaft Postings auf, in denen ohne Beleg behauptet wird, es hätten rund 1,3 Millionen Personen an den Protesten teilgenommen.

Die Schätzungen der Polizei liegen dagegen weiter darunter: Zunächst zogen demnach seit dem Vormittag etwa 17.000 Menschen auf einer "Versammlung der Freiheit" durch Berlin Mitte. Auf einer anschließenden Kundgebung unter dem Motto "Das Ende der Pandemie - Tag der Freiheit" auf der Straße des 17. Juni zählte die Polizei etwa 20.000 Demonstranten.

Faktencheck

tagesschau.de/faktenfinder

Fake News über Zahl der Teilnehmenden

Die Polizei spricht von rund 20.000 Personen, die in Berlin gegen die Corona-Maßnahmen protestierten. Unterstützer behaupten, es seien mehr als eine Million gewesen - und präsentieren falsche Bilder. tagesschau.de/faktenfinder

Zehntausendfach in sozialen Medien geteilt

Datenanalyst Philip Kreißel hat bis Sonntagnachmittag mehr als 120 Facebook-Gruppen und Profile dokumentiert, die Inhalte mit wesentlich höheren Teilnehmerzahlen verbreiten. Darunter seien zahlreiche Rechtsradikale und Verschwörungsideologen, sagte Kreißel dem rbb. Auch von Rednern auf der Kundgebung selbst sei die Zahl von angeblich 1,3 Millionen Teilnehmern per Lautsprecher kommuniziert worden.

Die entsprechenden Beiträge werden derzeit zehntausendfach geteilt, unter anderem von AfD-Politikern, wie eine Auswertung für den ARD-faktenfinder zeigt. Rechtsradikale Medien greifen die Behauptungen demnach ebenfalls auf; diese Berichte werden ebenfalls wiederum von AfD-Funktionären verbreitet - so beispielsweise von dem Bundestagsabgeordneten Petr Bystron. Er teilt eine Meldung, der zufolge "Hunderttausende" demonstriert hätten. Sein Kommentar: "Wie lange kann sie [gemeint ist Merkel] das noch aussitzen?" Auch der AfD-Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka twitterte von angeblich 1,3 Millionen Demonstranten.

Kritik an Facebook

Facebook tue unterdessen nach Ansicht Kreißels viel zu wenig gegen die Verbreitung von Fake News. Obwohl in diesen Gruppen schon seit Wochen oder Monaten Falschinformationen über das Corona-Virus verbreitet würden, schaue die soziale Plattform bisher einfach nur zu.

Wie viele Menschen passen auf die Fläche?

ARD-faktenfinder und Datenanalyst Philip Kreißel verweisen auf Tools wie "MapChecking", um die Teilnehmerzahlen zu überprüfen. Mit dem Tool lassen sich Schätzungen berechnen, wie viele Menschen auf eine bestimmte Fläche passen.

Beziehe man dies auf den betreffenden Abschnitt der Straße des 17. Juni, erklärt Philip Kreißel, werde relativ schnell klar, dass das unmöglich hunderttausende Teilnehmer gewesen sein könnten. Laut ARD-faktenfinder kommt man selbst bei großzügigen Berechnungen nicht auf deutlich über 20.000 Menschen am Samstag. Auf diesen Wert kommt man mit 0,7 Menschen pro Quadratmeter. Nimmt man sieben Menschen pro Quadratmeter - was ausgesprochen eng ist - kommt man auf rund 200.000 Menschen. Bei der Loveparade in Duisburg, bei der 21 Menschen starben, sollen laut taz.de acht bis zehn Menschen pro Quadratmeter gestanden haben.

Vergleich zur Loveparade hinkt

In zahlreichen Postings wird zudem ein Vergleich zur Loveparade 2001 gezogen, als mehr als eine Million Menschen durch das Zentrum der Hauptstadt tanzten. Bei der Loveparade war allerdings die Straße des 17. Juni vom Brandenburger Tor bis weit hinter der Siegessäule überfüllt, ebenso die angrenzenden Straßen und Parks sowie der gesamte Große Stern selbst. Auch beim Vergleich von Bildern von beiden Veranstaltungen durch ARD-faktenfinder werden die Unterschiede zwischen Loveparade und der Kundgebung deutlich. Auch immer wieder geteilt wurden Fotos von Straßenfesten in Zürich, "Black Lives Matters"-Demos in Berlin und Köln sowieso alte Bilder von Massenaufläufen auf der Fanmeile.

Die Initiative "Querdenken 711" hatte bereits bei ihrem ersten Internet-Aufruf zur Kundgebung auf der Straße des 17. Juni sehr hoch gegriffen und von 500.000 Teilnehmer gesprochen. Bei der Polizei angemeldet hatten sie dann allerdings für Samstag 10.000 Teilnehmer. Hinter diesen überzogenen Zahlen stecke Programm, so der rbb-Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer in seiner Analyse des Demo-Geschehens am Samstag. Damit solle das Bild einer Massenbewegung vermittelt werden.

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