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Quelle: dpa/Kay Nietfeld

Corona-Regeln an Berliner Schulen

"Man hätte nicht zum Regelbetrieb zurückkehren dürfen"

Der Unterricht läuft in Berlin seit drei Wochen wieder regulär. Doch die Corona-Regeln lassen sich oft nur schwer durchsetzen: Zum Beispiel gilt die Maskenpflicht auf dem Schulflur, nicht aber im Hort. Ein Blick auf einen Schulalltag voller Widersprüche. Von Markus Pohl, Silvio Duwe, Susett Kleine und Jenny Barke

Schulbeginn an der Bruno H. Bürgel Grundschule in Berlin-Lichtenrade. Bereits beim Einlass werden die Klassen separiert. Über unterschiedliche Eingänge kommen die Schüler ins Gebäude. Der elfjährige Yannis und seine Klassenkameraden nehmen den Hintereingang. Yannis hat seine Maske zu Hause vergessen. Wie ihm geht es einigen Schülern, deshalb lagert die Schule einen kleinen Vorrat an Einwegmasken, die die Lehrer allmorgendlich verteilen.

Denn der Berliner Musterhygieneplan sieht eine Maskenpflicht auf den Gängen der Schulen vor, ebenso wie auf den Toiletten. Im Klassenraum der 6c angekommen, darf Yannis die Maske wieder absetzen. Wann die Pflicht gilt und wann nicht, kann sich der Elfjährige nicht so recht merken. "Wenn man auf die Hofpause muss und man es vergisst, wird man angemeckert. Das ist auch nicht cool, weil ohne ist es einfach entspannter", sagt Yannis.

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"Theorie und Praxis sind weit auseinander"

Den Klassenraum teilt sich Yannis mit 23 Kindern, die dicht nebeneinander sitzen, sowie zwei Lehrern - ohne Masken. Damit sich möglicherweise gefährliche Aerosole nicht so gut verbreiten können, muss nach Vorgaben des Senats ein kompletter Luftaustausch ermöglicht werden. Fenster auf, heißt es. Doch selbst in der Bruno H. Bürgel Grundschule mit vergleichsweise guten Lüftungsmöglichkeiten lässt sich das für Klassenlehrererin Bianca Pohler nicht einfach umsetzen: "Ich habe nur ein geöffnetes Fenster, weil für die anderen keine Fenstergriffe vorhanden sind. Die fehlen, weil sie irgendwann aus Sicherheitsgründen abmontiert wurden", sagt Pohler.

Stattdessen steht nun immer die Tür offen, um die Luftzirkulation zu ermöglichen. Wie sich das der Senat vorgestellt habe, sei vielleicht eine gute Idee gewesen, sagt die Grundschullehrerin. "Aber das klappt in der Praxis einfach nicht. Da sind Theorie und Praxis weit auseinander."

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Weil der Musterhygieneplan an der Schulausstattung scheitert, hat sich Bianca Pohler schon jetzt für einen freiwilligen Coronatest in einer und in vier Wochen angemeldet. Sie hofft, dass die Ergebnisse nicht nur etwas über ihre Gesundheit, sondern auch über die der Schüler aussagen: "Ich vermute, dass es bald zu irgendwelchen Fällen kommt, ob es in meiner Klasse ist oder im Kollegium oder in den anderen Klassen. Dass wir jetzt noch so weiter unterrichten, kann ich mir nicht vorstellen, dass es so lange hält."

Nach dem Unterricht mit seiner Klassenlehrerin geht es für Yannis in die große Pause. Auf dem Weg zum Schulhof gilt die Maskenpflicht. Dort angekommen darf sie wieder abgenommen werden. Hier kann Yannis ohne Einschränkung mit anderen Schülern spielen, auch aus anderen Klassen und Stufen, Abstand muss nicht eingehalten werden. "Am Anfang habe ich ein bisschen drauf geachtet", so der Sechstklässler. Doch inzwischen würde er lockerer damit umgehend, weil in der Schule kaum einer auf den Abstand achte.

Nur bestimmte Klassen dürfen zusammen essen

In der großen Pause geht Yannis in die Kantine. Hier trifft er wieder mit Maske auf seine Mitschüler, die er ohne Maske auf dem Hof gesehen hat. Nur bestimmte Klassen dürfen momentan zusammen essen, um eine Verbreitung von Corona zurückverfolgen zu können. Doch Bestimmungen wie diese reichten nicht, erklären die Sechstklässler.

Noah Maximilian war zu Schulbeginn zum Beispiel auf eine sehr strenge Maskenpflicht vorbereitet, auch im Unterricht und auf dem Hof. "Aber wie ich jetzt sehe, wie es so ist, finde ich schon, dass die Maßnahmen strenger gemacht werden sollten", sagt Noah Maximilian. Auch der elfjährige Jacob Leonardo ist skeptisch: "Als ich erfahren habe, dass die Schule wieder losgeht, habe ich zu meinem Vater gesagt, nach zwei Wochen ist die Schule wieder zu", sagt er, während er nach dem Mittagessen den Kantinentisch abwischt.

Schulleiter: "Im Grunde genommen bräuchten wir eine Putzkolonne"

Um einer Schulschließung vorzubeugen, sollen eigentlich alle Oberflächen professionell gereinigt werden, so der Senat. Nach jedem Essensdurchgang sollen die Tische gewischt werden. Vorgaben, die allerdings absolut undurchdacht sind, denn es gibt nur eine einzige Reinigungskraft für die ganze Schule, erzählt Schulleiter Jens Otte. Hier müssen sogar die Kinder mithelfen. "Im Grunde genommen bräuchten wir eine Putzkolonne, die das hier macht zur Mittagszeit und vorher und nachher die Toiletten und Waschräume reinigt. Denn eine Kraft kann das bei einer so großen, weitläufigen Schule gar nicht alleine schaffen."

Yannis hat Schulschluss und kann nach Hause fahren. Doch andere Schüler bleiben noch für ein paar Stunden im Hort. Und hier wird es erst recht widersprüchlich: Das mühsame Separieren der Klassen während der Schulzeit wird hier aufgehoben. Und eine Maskenpflicht gilt ebenfalls nicht mehr. "Wir haben gar keine Möglichkeit, die Klassen zu separieren, weil wir dafür gar nicht das Personal haben. Im Grunde hätte man nicht zum Regelbetrieb zurückkehren dürfen", sagt die koordinierende Horterzieherin Angela Zimmerer. Die Klassen, die am Vormittag noch durch getrennte Eingänge die Grundschule betreten haben, treffen somit im Hort wieder zusammen. Das gut gemeinten Pandemie-Konzept wird damit ad absurdum geführt.

Sendung: Das Erste, 27.08.2020, 22:05 Uhr

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