rbb24
  1. rbb|24
  2. Politik
Video: Brandenburg Aktuell | 21.08.2019 | Jacqueline Piwon | Quelle: rbb

"Ihre Wahlarena" zur Brandenburg-Wahl

Richtig oder falsch? - Die Spitzenkandidaten im Faktencheck

Klimawandel, Bahnfrust und innere Sicherheit - die Spitzenkandidaten und -kandidatinnen haben sich vor der Landtagswahl der Diskussion gestellt. Doch waren sie gut vorbereitet? Die strittigsten Aussagen vom Dienstagabend im Faktencheck von rbb|24.

Aussage von Hans-Peter Goetz (FDP): "Wir haben nichts gewonnen in der Lausitz, wenn wir alles abschalten, alles komplett deindustrialisieren - und 20 Kilometer weiter wird in Polen der nächste Tagebau erschlossen."

rbb|24-Faktenchecker: Das ist nicht so einfach möglich. Denn die EU legt fest [eur-lex.europa.eu], wie viel CO2 jährlich von bestimmten Industrieanlagen ausgestoßen werden darf. Will ein Unternehmen - etwa ein Bergbaubetreiber in Polen - ein neues Kraftwerk errichten, muss er sich dafür Emissionszertifikate, also quasi das Recht auf Verschmutzung, kaufen.

Seit 2017 gilt: Wenn ein Land extra Anstrengungen beim CO2-Sparen unternimmt und zum Beispiel ein Kohlekraftwerk vom Netz nimmt, darf das nicht automatisch dazu führen, dass dieses eingesparte CO2 - über frei gewordene Emissionszertifikate - an anderer Stelle in der EU verbraucht wird.

Der Umweltökonom Grischa Perino von der Uni Hamburg geht davon aus, dass diese Regelung zur Zeit tatsächlich funktioniert, dass sie aber nicht dauerhaft funktionieren wird [nature.com]. An dem von Goetz beschriebenen Szenario kann man bei einem sofortigen Ausstieg also zweifeln. Wie das für einen Ausstieg 2038 aussieht, kann im Moment niemand sagen. Denn bis dahin werden sich wahrscheinlich auch die EU-Regelungen wieder ändern.

Aussage von Kathrin Dannenberg (Linke): "Bei Kita und frühkindlicher Bildung haben wir viel Geld investiert. Insbesondere das letzte Kita-Jahr haben wir beitragsfrei gestellt, da haben wir Prioritäten gesetzt."

rbb|24-Faktenchecker: Um das beitragsfreie Kita-Jahr zu finanzieren, hat die rot-rote Brandenburger Landesregierung mehr Geld ausgegeben als in den Vorjahren. 2018 waren 18,4 Millionen Euro zusätzliche Mittel eingeplant, in diesem Jahr sind es knapp 44 Millionen Euro. Vergleicht man den Doppelhaushalt vom Anfang der Legislaturperiode (2015/16) mit dem aktuellen (2018/19) zeigt sich: Brandenburg investiert insgesamt mehr in Kindertagesbetreuung. Waren es 2015 noch 338 Millionen Euro, sind es in diesem Jahr 529 Millionen Euro.

Aussage von Andreas Kalbitz (AfD): "Durch die SPD-Mitregierung der letzten 30 Jahre, durch Rot-Rot der letzten zehn Jahre gibt es im Bereich Infrastruktur einen Investitionsstau von 2,7 Milliarden Euro."

rbb|24-Faktenchecker: Andreas Kalbitz stützt sich auf eine Studie des Deutschen Institutes für Urbanistik aus den vergangenen Jahr, die im Auftrag des Städte- und Gemeindebundes angefertigt worden ist. Dafür wurden Gemeinde- und Stadtverwaltungen in ganz Brandenburg befragt. Die Autoren der Studie kommen zu dem Fazit, dass nur 36 Prozent der kommunalen Straßen dem gesetzlichen Standard entsprechen. 33 Prozent der Straßen weisen demnach erhebliche Mängel aus [difu.de]. Die befragten Gemeinden und Städte rechnen den Investitionsbedarf für kommunale Straßen auf 2,77 Milliarden Euro hoch, so die Studie. Alternative Studien zum Investitionsbedarf liegen uns derzeit nicht vor.

Der Begriff Infrastruktur schließt aber noch deutlich mehr Bereiche ein: Dazu gehören unter anderem auch Bahngleise. Wenn Bahntrassen noch nicht für Tempo 120 ausgelegt beziehungsweise nicht elektrifiziert sind, kann man zu dem Schluss kommen, dass der Investitionsstau sogar noch höher ist.

Das Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung verweist in einer Presseerklärung aus dem Februar 2019 unter anderem auf ein 100-Millionen-Euro-Sanierungsprogramm für Ortsdurchfahrten. Aber das Ministerium gesteht auch ein, das der gegenwärtige Straßenzustand teilweise unbefriedigend ist.

Aussage von Ingo Senftleben (CDU): "1.600 Menschen verlassen die Schulen in Brandenburg jedes Jahr ohne Abschluss."

rbb|24-Faktenchecker: Es waren noch ein klein wenig mehr Schüler. Im abgelaufenen Schuljahr 2018/19 haben laut Zahlen des Statistischen Landesamtes [statistik-berlin-brandenburg.de] 1.628 Schüler in Brandenburg die Schule ohne Abschluss verlassen. 23.227 Schüler haben einen allgemeinbildenden Abschluss, also beispielsweise den Hauptschulabschluss, erreicht.

Aussage von Dietmar Woidke (SPD): "Jeder Kamerad der Freiwilligen Feuerwehr, des THW und der Katastrophenschutzeinheiten, die auf der Landkreisebene organisiert sind, jeder, der ehrenamtlich für uns alle da ist, 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag, bekommt eine Prämie als Dankeschön des Landes. Ich bin stolz darauf, weil Brandenburg das als erstes Bundesland eingeführt hat. Es gibt kein anderes Bundesland mit einer solchen Prämie."

rbb|24-Faktenchecker: Brandenburg steht nicht so einzigartig da. Nachbarländer haben seit Jahren Prämien und Jubiläumszuwendungen für ihre Freiwilligen Feuerwehrangehörigen. In Sachsen [revosax.sachsen.de] gibt es eine Verordnung, die unter anderem nach zehn Jahren aktiver ehrenamtlicher Dienstzeit eine Zahlung von 100 Euro vorsieht. Dieser Betrag kann bis auf 500 Euro steigen. Auch in Mecklenburg-Vorpommern gibt es nach zehn Jahren Ehrenamt in der Freiwilligen Feuerwehr eine Zuwendung von 100 Euro. In Hessen beträgt die Anerkennungsprämie bis zu 1.000 Euro [innen.hessen.de].

In Brandenburg werden auf Beschluss des Landtages seit Jahresbeginn je nach aktiver Mitgliedschaftsdauer in der Freiwilligen Feuerwehr oder anderen Katastrophenschutzorganisationen gestaffelte Prämien gezahlt. Laut dem 2019 in Kraft getretenen Prämien- und Ehrenzeichengesetzes Brandenburgs [parlamentsdokumentation.brandenburg.de] beträgt die Jubiläumsprämie bei einer aktiven ehrenamtlichen Dienstzeit von zehn, 20, 30, 40, und 50 Jahren jeweils 500 Euro. Pauschal gibt es einen jährlichen Zuschuss für Angehörige der Freiwilligen Feuerwehren von je 200 Euro - und eben diese jährliche Prämie ist in der Tat bundesweit einmalig.

Verlässliche Bedarfszahlen über eine Mindeststärke der Freiwilligen Feuerwehren in Brandenburg gibt es übrigens nicht - es wird nicht zentral erfasst, ob und wenn ja wieviel zusätzliches Personal und zusätzliche Ausstattung derzeit nötig ist. Nach 2010 gab es einen Mitgliederschwund um rund 6.000 freiwillige Feuerwehrleute. Im vorigen Jahr wuchs die Zahl der Mitglieder laut Aussage der Innenstaatssekretärin Katrin Lange (SPD) wieder auf 38.300 an [mik.brandenburg.de].

Aussage von Andreas Kalbitz (AfD) zum Strukturwandel in der Lausitz: "Wir fordern hier konkret eine Sonderwirtschaftszone. Polen hat 14 Sonderwirtschaftszonen, das läuft sehr gut."

rbb|24-Faktenchecker: Jein. Eine Sonderwirtschaftszone ist ein Gebiet, in dem Unternehmen zum Beispiel niedrigere Steuern zahlen oder Genehmigungsverfahren für sie erleichtert werden - so will der Staat dafür sorgen, dass sich mehr Firmen ansiedeln. Sie waren in Polen vor allem dazu da, die Transformation der Wirtschaft nach der Wende anzukurbeln. Investitionen aus dem Ausland wurden so nach Polen geholt, große Unternehmen kamen und es wurden Jobs geschaffen.

Aber es gibt auch Probleme: So verzichtet Polen laut Recherche des Deutschlandfunk [deutschlandfunk.de] auf etwa eine halbe Milliarde Euro Einnahmen aus der Körperschaftssteuer - pro Jahr. Arbeiterinnen und Arbeiter sind außerdem von wenigen großen Firmen abhängig, die die Konditionen bestimmen. Mittlerweile hat die polnische Regierung das Konzept angepasst und statt 14 Sonderwirtschaftszonen ganz Polen zur Sonderwirtschaftszone erklärt. Steuererleichterungen sind nun überall im Land möglich, aber auch an einen neuen Kriterienkatalog geknüpft, etwa an Sozialausgaben für Mitarbeiter oder Umweltschutz.

Die IHK Potsdam lehnt das Konzept Sonderwirtschaftszone ab. Laut ihrem Hauptgeschäftsführer, Mario Tobias, brauche es keine "Zäune um ausgewählte Entwicklungsgebiete, sondern flächendeckende Breitband- und Verkehrsinfrastrukturen von Perleberg bis Senftenberg und von Prenzlau bis Bad Belzig."

Aussage von Ursula Nonnemacher (Grüne): "Die Bertelsmann-Stiftung sagt, Deutschland wird in den nächsten Jahren pro Jahr 260.000 Menschen als Zuwanderer haben müssen, damit wir überhaupt unsere Wirtschaft am Laufen halten."

rbb|24-Faktenchecker: "Zuwanderung und Digitalisierung" ist der Titel einer im Februar von der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten Studie [bertelsmann-stiftung.de], auf die sich Ursula Nonnemacher beruft. Selbst wenn die Rente mit 70 in Deutschland eingeführt würde, sei es den Berechnungen zufolge nicht möglich, den Fachkräftebedarf mit inländischen Arbeitnehmern zu decken.

Bis zum Jahr 2060 würden jährlich 260.000 Einwanderer für den deutschen Arbeitsmarkt gebraucht. 146.000 müssten nach den Berechnungen der Forscher aus Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union kommen, weil nur 114.000 Arbeitskräfte aus anderen EU-Staaten nach Deutschland kommen würden. Der Zuzug aus der Europäischen Union werde zudem künftig abnehmen, so die Prognose, weil sich Wirtschaftskraft und Lebensqualität in den Mitgliedsstaaten voraussichtlich annäherten.

Andere Studien haben andere Zahlen ermittelt. Das LAB, das zur Bundesagentur für Arbeit (BA) gehört, schreibt als Ergebnis einer Erhebung aus dem Jahr 2017: "Um das Arbeitskräfteangebot bis 2060 auf dem heutigen Niveau zu halten, wäre eine jährliche Nettozuwanderung von 400.000 Personen erforderlich."

Aussage von Ingo Senftleben (CDU): "Wir haben derzeit in Brandenburg noch 23.000 Funklöcher."

rbb|24-Faktenchecker: Laut dem CDU-eigenen Funklochmelder [funkloch-brandenburg.de] stimmt das: 23.237 Funklöcher hat die Partei in Brandenburg registriert. Das lässt sich allerdings nicht durch eine andere, von der CDU unabhängige Quelle verlässlich gegenchecken.

Auch der Bund hat eine Art Funklochmelder entwickelt: Seit Herbst 2018 gibt es eine Funkloch-App der Bundesnetzagentur [bundesnetzagentur.de]. Im Gegensatz zur CDU-Seite, bei der jeder ein Funkloch melden konnte, wo er eines gefunden oder vermeintlich gefunden hatte, erfasst die App der Bundesnetzagentur die augenblickliche Netzverfügbarkeit und übermittelt die Daten. Eine Karte mit Ergebnissen gibt es allerdings noch nicht.

Aussage von Dietmar Woidke (SPD): "Brandenburg ist das einzige Flächenland in Ostdeutschland, das einen Einwohnerzuwachs hat. Das zeigt auch wie erfolgreich, wie attraktiv wir sind."

rbb|24-Faktenchecker: Woidkes Aussage wird durch Zahlen des Statistischen Bundesamtes gestützt. Demnach wuchs die Zahl der Brandenburger von 2,485 Millionen im Jahr 2015 auf 2,512 Millionen im Jahr 2018.

Demgegenüber sank die Bevölkerungszahl in Thüringen von 2,171 Millionen im Jahr 2015 auf 2,143 Millionen im Jahr 2018. In Sachsen-Anhalt ein ähnlicher Trend - die Zahl der Einwohner verringerte sich von 2,245 Millionen im Jahr 2015 auf 2,208 Millionen im vorigen Jahr. Auch in Sachsen leben immer weniger Menschen - waren es 2015 noch 4,085 Millionen sind es im Jahr 2018 4,078 Millionen. In Mecklenburg-Vorpommern sank die Einwohnerzahl von 1,612 im Jahr 2015 auf 1,610 im vergangenen Jahr.

Mitarbeiter des Landesamtes für Statistik Berlin-Brandenburg hatten in der Vergangenheit die positive Bevölkerungsentwicklung mit dem Wegzug von Berlinern nach Brandenburg sowie einer Sogwirkung von Berlin, die nach Brandenburg ausstrahlt, in Verbindung gebracht.

Artikel im mobilen Angebot lesen