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Stichprobe Brandenburg | Gulben

"Platz da, hier kommt das Sorbenland!"

Maja Schramm ist jung, links und stolz auf ihre sorbischen Wurzeln. In ihrer Gemeinde in der Niederlausitz haben fast 30 Prozent der Einwohner bei der Europawahl die AfD gewählt. Das macht ihr vor der Landtagswahl Angst. Von Thomas Rostek

Am 1. September 2019 haben mehr als zwei Millionen Brandenburgerinnen und Brandenburger die Möglichkeit, den neuen Landtag zu wählen. Doch wie sieht das Leben in der Mark abseits des Berliner Speckgürtels aus? Was bewegt die Menschen? Wir haben uns im Land umgeschaut. Entstanden ist die Serie "Stichprobe Brandenburg".*

Maja Schramms Weltsicht kann man an ihrem rechten Handgelenk ablesen. Dort baumeln bunte Bändchen von Punkfestivals, auf vielen von ihnen steht in Großbuchstaben "Kein Bock auf Nazis!". Sie selbst bezeichnet sich als politisch links. "Wie nur wenige in meinem Ort", glaubt sie.

Maja ist in Gulben groß geworden, das eigentlich nicht mehr ist als eine Hauptstraße, an die sich die Häuser von 411 Einwohnern schmiegen. Das kleine Gulben und das große Cottbus trennen nur neun Kilometer Wald und Felder. "Es gibt schlimmere Orte, an denen man leben kann", sagt die 18-Jährige.

Maja trägt Festivalbändchen zur Sorbentracht. | Quelle: rbb|24/Thomas Rostek

Hohe Landflucht

Dabei weiß sie genau, dass sie in einer Region Brandenburgs lebt, die in vielen Bereichen droht, den Anschluss zu verlieren: Die Arbeitslosigkeit liegt zwei Prozentpunkte über dem Bundesdurchschnitt. Ein Demografie-Bericht der Bertelsmann Stiftung kommt zu dem Ergebnis, dass die Landflucht im Landkreis Spree-Neiße bis 2030 viel mehr Einwohner kosten wird, als im brandenburgischen Durchschnitt. Und in Zukunft werden die Leute in Majas Heimat immer älter. Der Prognose zufolge wird schon bald jeder Vierte in der Region 65 Jahre oder älter sein.

Dieser Wandel ist auch eine politische Zäsur: Bei der Kommunalwahl im Mai 2019 verpasste die Gemeinde Kolkwitz, zu der Gulben gehört, den etablierten Parteien einen Denkzettel. Fast 30 Prozent wählten dort die AfD. Das ärgert sie als junge Frau, aber auch als traditionsbewusste Sorbin. "Es macht gar keinen Sinn, als Minderheit die AfD zu wählen. Das ist wie ein Schuss ins eigene Knie."

"Meine Kinder sollen mit Jahreszeiten groß werden"

Maja atmet tief aus. Sie hat Angst, dass gerade in der Klima- und Flüchtlingspolitik die falschen Entscheidungen getroffen werden könnten. "Die Leute hier sind traurig und frustriert, die wollen eine andere Politik. Das kann ich teilweise sogar verstehen. Aber ich möchte, dass meine Kinder irgendwann auch noch mit Jahreszeiten groß werden. Und es wäre auch paradox, wenn wir gegen Geflüchtete wären, weil wir Sorben irgendwann auch wegen einer Völkerwanderung neu dazugekommen sind."

Bereits im 6. Jahrhundert siedelten die slawischen Vorfahren der Sorben in der Ober- und Niederlausitz. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde bewusst versucht, die sorbisch-wendische Identität zu unterdrücken. Trotzdem haben sie über die Jahrhunderte ihre Bräuche und Traditionen bewahren können.

Es klingt wie eine Erfolgsgeschichte, aber die Sorben haben ein Problem: Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung Brandenburgs ist mit unter einem Prozent verschwindend gering [politische-bildung-brandenburg.de], ihre Sprache gilt laut Unesco als besonders gefährdet. Heute sprechen nur wenige Tausend Menschen Niedersorbisch, das Maja fließend beherrscht. Auch wird die Volksgruppe immer wieder Opfer rechter Straftaten – darunter Delikte wie Körperverletzung und Volksverhetzung [mwfk.brandenburg.de]. 

Hier kommt am Wochenende kein Bus

Das alte rostbraune Eisentor schirmt den kleinen Hof ihrer Familie von der Gulbener Hauptstraße ab, auf die sich nur selten ein Auto verirrt. In der Mitte des Hofs sitzt Maja mit Ringelshirt, Jeans und Hipsterbrille unter dem knorrigen Walnussbaum und schaut auf das Nest der Rotschwänze, die diesen Sommer unter dem Dach brüten. In ihrer Klasse sei sie mit ihrer Heimatverbundenheit die Ausnahme, die meisten ihrer Freunde würden in der Stadt leben. Maja hadert trotzdem damit, das Wort Heimat in den Mund zu nehmen. Es klinge zu sehr nach AfD-Werbung, sagt sie. "Für mich persönlich ist Heimat aber der Ort, an den ich gehöre. Das hat für mich absolut nichts mit meiner politischen Einstellung zu tun."

Durch die Blätter des Walnussbaums schimmert die Mittagssonne. Nur das Zirpen der Insekten ist zu hören. Idyllisch ist es hier, aber wer kein Auto hat, kommt hier nicht weg. "Die Verbindungen in die Stadt könnten besser sein", sagt sie und lächelt. Der Bus fährt Majas Dorf an schulfreien Tagen vier Mal am Tag an, am Wochenende kommt er gar nicht. "Mit dem Fahrrad hat mich meine Mutter nachts nicht nach Hause fahren lassen. Egal wie man nach Gulben will, man muss nämlich immer durch den Wald." Maja hofft, dass sich in den nächsten Jahren im Hinblick auf die Verkehrsinfrastruktur etwas ändert, immerhin liege Gulben nah genug an Cottbus, um von Ausbaumaßnahmen zu profitieren.

Am Wochenende fährt in Gulben kein Bus. | Quelle: rbb|24/Thomas Rostek

Maja will keine Leute bekehren

Im Zwinger fiept Mogli vor Freude. Majas Hund hat bemerkt, dass sie sich langsam auf den Holzschuppen zubewegt, um seine Leine zu holen. Beide laufen Seite an Seite die verwaiste Hauptstraße entlang. Schräg gegenüber der Dorfkirche bleibt Maja stehen. Rechts von ihr ist an einem Laternenpfahl ein Wahlplakat der AfD angebracht. "Hol dir dein Land zurück!" steht in weißer Schrift auf blauem Grund. Für Maja sind solche Plakate ein Grund, sich auf kreative Weise zu wehren: "Meine Schwester und ich hatten die Idee, Protestplakate darunter zu hängen. Sowas Ironisches wie ‚Platz da! Hier kommt das Sorbenland!‘", sagt sie und lacht laut. Das sei ihre Form von Protest, aber die Leute bekehren wolle sie nicht. "Jeder sollte klug genug sein und selber entschieden, wen er wählt."

Maja und Mogli laufen an einem tannengrünen Wellblechcontainer vorbei, der außerhalb des Dorfes steht. Hier am Waldrand und im Schutz der Maisfelder treffen sich die Jugendlichen von Gulben. 

Wer hat das Auto demoliert? | Quelle: rbb|24/Thomas Rostek

Die Perspektivlosigkeit für viele junge Menschen spiegelt sich in einem demolierten Kombi wider, der hinter dem schmucklosen Gebäude steht. Maja selbst hat beobachtet, wie Bekannte das Auto in einer Nacht übel zugerichtet haben. Sie sieht darin eine bedenkliche Entwicklung: "Ich habe das Gefühl, dass viele junge Leute nicht mehr wissen, was sich gehört und was nicht."

Sie selber glaubt, dass diese fehlenden Perspektiven dazu führen, dass sich die AfD in der Niederlausitz im Aufwind befindet. "Es kann gut sein, dass die Landtagswahl wieder eine Protestwahl wird. Ich habe das Gefühl, dass die Partei Politik für das Heute und nicht für die Zukunft macht." Ob die Belange der Sorben zukünftig größere Beachtung finden, ist nicht abzusehen. Die AfD erwähnt die Minderheit in ihrem Wahlprogramm für die kommende Landtagswahl in einem Satz. 

Zum Studium verlässt sie die Heimat

Viele von Majas Altersgenossen kehren dem Landstrich früher oder später den Rücken. Es fehle einfach ein attraktives Jobangebot und Anreize für Familien. "Am Ende ist es aber auch eine Flucht vor der Vereinsamung. Man will als junger Mensch schließlich nichts verpassen", sagt sie. Die junge Frau mit schulterlangen braunen Haaren hat wieder ein Lächeln auf dem Gesicht. Trotz allem mag sie es auf dem Land und vor allem seine Bräuche und Feste: "Ich finde sorbische Polka viel besser als Discobeats. Für mich als junge Sorbin ist es schön, wenn ich mit der Tracht tanzen kann. Mit dem schwingenden Rock ist das ein ganz besonderes Gefühl", sagt sie und streichelt Mogli über den Kopf.

Für Maja, die junge Sorbin mit dem Faible für Polka und Punkmusik, geht es aber erst in die weite Welt – nach Leipzig. Dort möchte sie Sorabistik studieren, am einzigen Institut für die sorbische Sprache und Kultur in ganz Deutschland. "Die Dörfer hier sind sehr blau", sagt sie. Und trotzdem ist für sie klar, dass sie nach Gulben zurückkehren wird. Um sich dann für die Belange ihres Volkes stark zu machen.

*"Stichprobe Brandenburg" ist ein Projekt des 12. Volontärsjahrgangs der Electronic Media School ems in Zusammenarbeit mit rbb|24. Weitere Reportagen aus den Landkreisen finden Sie hier.

Beitrag von Thomas Rostek

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