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Die Social Media-Kampagnen der Berliner Parteien

Der Kampf um die digitale Aufmerksamkeit

Ein Klick, ein Retweet, ein Daumen hoch: Die Aufmerksamkeit der Onlinenutzer zu erregen ist wenige Wochen vor der Berlin-Wahl fast genauso wichtig wie der Straßenwahlkampf in den letzten Tagen. Nicht alle Parteien sind darin bereits geübt. Einige haben ordentlich Nachholbedarf - andere schlagen sich unerwartet gut. Von Tina Friedrich

Die gute Nachricht: Im Jahr 2016 haben alle Parteien einen Twitteraccount und eine Facebookseite.

Die schlechte Nachricht: Bloß haben reicht noch nicht.

Doch SPD, CDU, Grüne, Linke, AfD, Piraten und die FDP haben erkannt, dass sie ohne Online-Kommunikation - und um nichts anderes geht es ja bei Social Media - nicht mehr bestehen können.

Die Landesverbände in den Netzwerken - sozial oder abgehoben?

Interaktion mit den potenziellen Wählern ist im Netz alles - doch der Grat zwischen ungezwungener Lockerheit und peinlicher Anbiederung ist schmal. Groß ist auch die Versuchung, statt in Konversation in Wahlkampfphrasen zu verfallen.

Von den größeren Parteien schafft Die Linke den Spagat am besten. Das Team, das sich um die Facebookseite der Partei kümmert, antwortet auf Fragen, ohne einfach nur Sätze aus dem Wahlprogramm zu kopieren. Es entstehen Dialoge und manchmal sind die Kommentare witzig. Das regt Gespräche an. Viele Kommentare bedeuten aber auch viel Moderationsbedarf. Oft müssen die Moderatoren auf die Netiquette verweisen [externer Facebook-Link].

Hohe Reichweite bei FDP-Czaja

Im Gegensatz dazu wirken die Kommentare der CDU-Moderatoren häufig steif und manchmal unbeholfen. Häufig greifen sie auf Stehsätze aus dem Programm zurück, statt auf die konkrete Frage der Nutzer einzugehen [externer Facebook-Link]. Inhalte werden vor allem über die Youtube-Clips aus dem Programmfilm verbreitet. Der ganze Film - rund eine halbe Stunde lang - wurde bei Youtube bis zum 3. August etwas mehr als 2.300 Mal angeklickt.

Die mit Abstand stärkste Facebook-Fangemeinde hat die AfD. Unter ihren Postings wird besonders viel diskutiert - und besonders viel geschimpft. Trotzdem gibt es kaum Moderation, die Querulanten bleiben unter sich.

In der Berichterstattung zur Wahl setzt der rbb den Schwerpunkt bei den Parteien, die nach den Umfragen des BERLINTrend (infratest dimap) im Jahr 2016 in der Regel über der Fünfprozentmarke lagen. Im Vergleich der Social Media Kampagnen kommen hier auch die Piraten vor - sie waren die Pioniere auf diesem Gebiet - sowie die FDP aufgrund der Reichweite ihres Spitzenkandidaten Sebastian Czaja.

Die Kanäle der Landesparteien

SPD Landesverband (Stand 2. August 2016)

CDU Landesverband (Stand 2. August 2016)

Bündnis '90/Grüne Landesverband (Stand 2. August 2016)

Die Linke Landesverband (Stand 2. August 2016)

AfD Landesverband (Stand 2. August 2016)

Piraten Landesverband (Stand 2. August 2016)

Noch in der Piratenfraktion, aber nicht mehr in der Partei und auch nicht auf einer Liste:

Christopher Lauer
30.900 Follower, 191.000 Tweets seit Juli 2009

Martin Delius
11.200 Follower, 35.100 Tweets seit April 2011 

FDP Landesverband (Stand 2. August 2016)

Große Unterschiede bei der Performance der Spitzenkandidaten

An der Spitze der Kampagne steht der Spitzenkandidat, doch in den sozialen Netzwerken ist das nicht immer klar zu erkennen. Hier zählt vor allem Erfahrung - wer bereits lange und auch privat aktiv ist auf Twitter und Co., dem fällt es leichter, im Wahlkampf seine oder ihre Botschaften zu platzieren.

Überraschend groß ist hier die Facebook-Reichweite von Sebastian Czaja, dem Spitzenkandidaten der FDP. Er schreibt viele Postings selbst und hat deutlich mehr Fans als jeder andere Spitzenkandidat. Bruno Kramm von den Piraten hat insgesamt die größte Followerzahl im Netz. Er betreibt sein privates Facebook-Profil auch als Informationskanal - mehr als 2.000 Menschen folgen ihm dort zusätzlich zu mehr als 7.000 Followern bei Twitter. Das schafft keiner der anderen.

Die Reichweite der Spitzenkandidaten

Michael Müller (SPD)

Twitter: Kein Account, nicht geplant

Facebook: Page mit 5.717 Fans, Postings von seinem Team

Frank Henkel (CDU)

Twitter: Kein Account, nicht geplant

Facebook: Page mit 4.262 Fans, Postings von seinem Team

Klaus Lederer (Die Linke)

Twitter: verifizierter Account mit 4.060 Followern, Lederer twittert überwiegend selbst

Facebook: Page mit 3.800 Fans, Postings etwa zur Hälfte von seinem Team und zur Hälfte von ihm selbst

Ramona Pop (Bündnis '90/Grüne)

Twitter: verifizierter Account mit 2.116 Followern, Pop twittert hauptsächlich selbst

Facebook: Page mit 757 Fans, Postings zum Teil von einem Team mitbetreut

Antje Kapek und Daniel Wesener twittern von verifizierten Accounts für 2.231, beziehungsweise 1.882 Follower, Bettina Jarasch ist neu bei Twitter und hat 308 Follower. Daniel Wesener twittert als einziger alles selbst.

Alle drei Kandidaten haben private Facebookprofile mit 28 bis 226 Followern. Daniel Wesener hat zusätzlich eine Page mit 95 Fans.

Georg Pazderski (AfD)

Twitter: Unterstützer-Account mit 191 Followern, von Team bestückt

Facebook: keine Page, privates Profil

Sebastian Czaja (FDP)

Twitter: nicht verifizierter Account mit 440 Followern, Czaja twittert teilweise selbst. Tweets vom Team sind ebenfalls gekennzeichnet.

Facebook: Page mit 8.417 Fans, Postings wie bei Twitter gekennzeichnet, ob von ihm selbst (SC) oder von seinem Team (TC) verfasst

Bruno Kramm (Piraten)

Twitter: nicht verifizierter Account mit 7.021 Followern

Facebook: Privates Profil, dem 2.435 Menschen folgen

Von Guerilla-Kampagne bis durchgeplantem Konzept

Reichweite nützt umso mehr, wenn über die Kanäle originelle Inhalte verbreitet werden. Einige Parteien - wie die CDU oder die Grünen - kümmern sich derzeit ausschließlich um die Verbreitung der Plakatkampagne, beziehungsweise im Fall der CDU um die Verbreitung der Programmclips. Sowohl der Sprecher der Linken als auch der Sprecher der Grünen geben an, dass sie zeitnah maßgeschneiderte Inhalte für Social Media planen.  

Was nicht geteilt wird, erreicht aber keine neuen Nutzerschichten. Die Kampagne muss wahrgenommen werden. Besonders erfolgreich waren damit in diesem Jahr die Piraten aus Friedrichshain-Kreuzberg. Bereits im Frühjahr tauchten bei Twitter und Facebook zu bestimmten Anlässen Memes sowie Poster und Transparente an Hauswänden auf, die auf den ersten Blick nicht wie eine Parteikampagne aussahen. Doch der Hashtag #PRTXHN zog sich durch alle Produkte - wer ihn in eine Suchmaschine eingab, landete auf der Parteiwebseite. Die teilweise sehr originellen Sprüche waren genau auf die Zielgruppe zugeschnitten und wurden vielfach geteilt.

Die SPD wiederum konzipierte ihre Kampagne von Anfang an für alle Ausspielwege. Eigene Inhalte für Facebook und Twitter ergänzen die Plakate und Online-Angebote.

Die Social Media Kampagnen der Parteien

"Berlin bleibt" (SPD)

Mit "Berlin bleibt" wirbt die SPD für Beständigkeit. Der Slogan findet sich auf Plakaten, Bildkacheln und als Hashtag wieder. Der dazugehörige Twitteraccount hatte am 2. August ganze 32 Follower, doch die Kampagne ist auf Social Media zugeschnitten: Tweets lassen sich textlich mit dem Account verbinden...

...es gibt eigene Gifs:

Und eine eigene Kampagne fürs Netz, bei dem an jedem der 50 letzten Tage bis zu Wahl eine SPD-Forderung getwittert oder bei Facebook gepostet wird. Zusätzlich erscheinen einige Motive als bezahlte Anzeigen.

"Starkes Berlin" (CDU)

"Starkes Berlin" ist der Titel des Wahlprogrammfilms und der medienübergreifenden Wahlkampagne der CDU. Er wird auch als Hashtag eingesetzt - und hat einen eigenen Satire-Twitterkanal hervorgerufen. Da war die Partei vermutlich nicht schnell genug, sich den Namen zu sichern. Der echte Kampagnenaccount heißt "Starkes Berlin CDU".

Der Programmfilm wurde in 12 Kapitel geschnitten, die einzeln als Youtube-Clips gepostet werden, vor allem bei Facebook. Dort schaltet die CDU auch Anzeigen. Darüber hinaus gibt es kein eigenes Social Media-Konzept.

Tim Zeelen nutzte den Hype um das Spiel "Pokemon Go", um vor seinem Bürgerbüro einen Poke Stop einrichten zu lassen. Damit hoffte er, Menschen zu einer Pokemon-Sprechstunde anzulocken und neben dem Spiel auch über Politik zu sprechen.

Nutzer sollten unter dem Hashtag #TimZeelengoesPokemon Bilder hochladen. Ergebnis: eher mau. Unter dem Hashtag wurde weder bei Facebook noch bei Twitter viel veröffentlicht.

 

"Alles auf Grün" (Grüne)

Den Slogan versuchen die Grünen auch als Hashtag zu etablieren. Bisher postet die Partei auf Facebook viele Fotos in schöner Optik (Spiegelreflex, Gegenlicht) - zum Beispiel vom Anplakatieren. Der Eindruck, der entsteht: Wir sind viele und in Berlin scheint immer die Sonne. Auf Twitter erscheinen eher Schnappschüsse.

Derzeit gibt es noch keine erkennbare eigene Kampagne auf Facebook oder Twitter. Wie Wahlkampfsprecher Julian Mieth verspricht, wird diese allerdings kurz vor der Wahl noch intensiviert.

Social Media und Online-Wahlkampf wird bei den Grünen gemeinsam gesehen. Derzeit gehört dazu eine eigene Seite, die zur Briefwahl aufruft - dass die Seite von den Grünen betrieben wird, sorgte bei Facebook bereits für Kritik [externer Facebook-Link].

Die Grünen nutzen aber auch die eine oder andere Gelegenheit für Negative Campaigning, also den politischen Gegner anzuschwärzen. Das kennt man aus den USA, wird aber hier (auch von der CDU, die zum Beispiel gegen rot-rot-grün plakatiert) durchaus praktiziert.

Kampagne der Linken

Weder auf Facebook noch auf Twitter betreibt die Linke derzeit eine erkennbare Social Media Kampagne. Allerdings ist die Partei, wie eingangs erwähnt, sehr aktiv in der Kommunikation mit ihren Nutzern.

Sprecher Thomas Barthel kündigte eigene Facebook-Motive für die letzten vier Wochen vor der Wahl an. Auf Facebook postet die Partei derzeit zum Beispiel eine Fotoslideshow vom Anplakatieren und diskutiert darunter auch über das Parteiprogramm.

"Unbequem Echt Mutig" (AfD)

Die AfD arbeitet mit zwei Slogans und setzt sie offenbar willkürlich ein. Der zweite ist "Berlin braucht blau" und erscheint bei Twitter wie bei Facebook auch als Hashtag. Darüber hinaus ist keine Kampagne zu erkennen, die speziell auf die sozialen Netzwerke zugeschnitten ist.

Allerdings ist die AfD die Partei, die den Hashtag #AGH16 mit Abstand am häufigsten benutzt. Die Partei setzt massiv auf ihre Reichweite im Netz, vor allem auch durch Bezug auf aktuelle Themen. In den Kommentarspalten zeigt sich, dass es dabei nicht so wichtig ist, ob die Inhalte auf Berlin zugeschnitten sind. Dagegen zu sein vereint jene, die unter den AfD-Postings kommentieren.

Auch wenn die AfD noch nicht im Abgeordnetenhaus vertreten ist, hat sie sich bereits sieben entsprechende Twitter-Accounts gesichert (zusätzlich zu den im Bild abgebildeten noch @BERFraktion_AfD und @AfD_B_Fraktion, im Bild zu viel ist der Account Neukölln):

Kampagne(n) der Piraten

Die Kampagne der Piraten unterscheidet sich von Bezirk zu Bezirk. Herauszustreichen ist die Kampagne aus Friedrichshain-Kreuzberg, die allerdings als Guerilla-Imagekampagne begann und vermutlich auch genau so funktioniert. Nach eigenen Angaben haben die Bezirkspiraten dafür kaum Geld ausgegeben, sondern eigene Ideen entwickelt und auf eigene Kosten mit freier Software gearbeitet. Lediglich Druckkosten seien angefallen.

"Zeit für das nächste Berlin" (FDP)

Ein langer Slogan, den die FDP trotzdem als Hashtag zu etablieren versucht.

Darüber hinaus setzt die Partei in den Netzwerken auf teilbare Bild- und Infokacheln...

...und als einzige Partei aktiv auf Snapchat:

Welcher Hashtag für die Wahl?

Im Frühjahr standen mehrere Hashtags als Markierung für Tweets mit Bezug zur Berlin-Wahl zur Debatte. #AGHW oder #LTWB waren ebenso im Gespräch wie #AGH16 oder auch #AGHW16. Durchgesetzt hat sich schließlich #AGH16 - diesen Hashtag benutzen inzwischen Parteien, Beobachter und Medien gleichermaßen.

Eine Suchfunktion für die vermeintlich einfach Frage, wie oft eine Partei zu einem Hashtag getwittert hat, gibt es derzeit weder bei Twitter noch über einen Drittanbieter. Wer wissen möchte, welche der Berliner Parteien am häufigsten zu #AGH16 getwittert hat, muss durchzählen:

Wie gut der Hashtag insgesamt angenommen wird, lässt sich beispielsweise bei Politwi sehen: Bei dem Projekt aus Bayern lassen sich Tweets und Topthemen tageweise analysieren [externer Link].

Beitrag von Tina Friedrich

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