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Berlin hat ein neues Abgeordnetenhaus gewählt

Rot-Schwarz abgestraft - FDP und AfD im Parlament

Rekordverlust für die Regierungskoalition bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin: Zwar bleibt die SPD stärkste Kraft vor der CDU, doch für ein rot-schwarzes Bündnis reicht es nicht mehr. Die FDP kehrt ins Parlament zurück, die AfD ist erstmals dort vertreten. Die Piraten haben es nicht geschafft. Die Linke hat deutlich hinzugewonnen und die Grünen überholt.

Die SPD bleibt trotz deutlicher Verluste stärkste Partei im Berliner Abgeordnetenhaus. 21,6 Prozent der Wähler gaben am Sonntag ihre Stimme für die Regierungspartei ab. Das ist das schlechteste Ergebnis eines Siegers bei Landtagswahlen. Dennoch: Mit diesem Ergebnis werde die SPD weiterhin den Regierenden Bürgermeister stellen, sagte Spitzenkandidat und Landeschef Michael Müller.

Die SPD muss sich aber neue Koalitionspartner suchen, ein Zweierbündnis wird es in der kommenden Legislaturperiode nicht geben. Die bisher mitregierende CDU fährt mit 17,6 Prozent ihr schlechtestes Ergebnis bei einer Berlin-Wahl ein. Spitzenkandidat Frank Henkel sprach von einem "spürbaren Denkzettel" für die Koalition - beide Parteien zusammen verloren im Vergleich zur Wahl 2011 mehr als zwölf Prozent der Stimmen. Persönliche Konsequenzen schloss der CDU-Landeschef aber aus. "Ich trete nicht zurück", erklärte Henkel am Sonntagabend.

Die Grünen haben gegenüber 2011 verloren und liegen bei 15,2 Prozent - hinter den Linken, die 15,6 Prozent erzielen. Die Linkspartei konnte als einzige der vier großen Parteien Stimmen hinzugewinnen: knapp vier Punkte mehr. Seine Partei habe das Wahlziel "mehr als erreicht", freute sich Linke-Spitzenkandidat Klaus Lederer. "Ich hätte das so nicht für möglich gehalten."  

Die FDP hat die Rückkehr ins Parlament geschafft, sie kommt auf 6,7 Prozent. "Das ist ein großer Abend für die Liberalen", jubelte Spitzenkandidat Sebastian Czaja auf der FDP-Wahlparty. Wie erwartet, wird auch die AfD im Abgeordnetenhaus vertreten sein, die aus dem Stand auf 14,1 Prozent der Stimmen kommt. Nach Zweitstimmen wurden die Rechtspopulisten im Bezirk Marzahn-Hellersdorf gar stärkste Kraft. Nach derzeitigem Auszählungsstand der Erststimmen kann die AfD insgesamt fünf Direktkandidaten ins Abgeordnetenhaus schicken.

Nicht mehr im Berliner Parlament ist die Piratenpartei, für die nur 1,7 Prozent der Wähler stimmten.

Bündnisse zweier Parteien sind in der Hauptstadt nicht mehr machbar. Rechnerisch möglich sind Dreierbündnisse. Müller, dessen Partei seit 15 Jahren den Regierungschef im Roten Rathaus stellt, hatte für diesen Fall im Wahlkampf ein Zusammengehen mit Grünen und Linken in den Blick genommen. Es wäre bundesweit die erste rot-grün-rote Koalition unter Führung der Sozialdemokraten. In Thüringen regiert ein Bündnis dieser drei Parteien mit einem Linken-Ministerpräsidenten.

Müller kündigte an, mit allen vertretenen Parteien außer der AfD Sondierungsgespräche zu führen. Ziel sei eine stabile Regierung.

Michael Müller, SPD-Landeschef

"Wir haben unser Ziel erreicht: Wir sind stärkste politische Kraft in dieser Stadt geblieben und wir haben einen Regierungsauftrag. Wir haben ein Ergebnis, mit dem werden wir auch weiterhin den Regierenden Bürgermeister stellen."

"Wir haben auf die richtigen Themen gesetzt: Mieten, Arbeitsplätze, Bildung - das ist das, was die Berlinerinnen und Berliner bewegt, wo sie auch wollen, dass es deutlich voran geht. Wir haben in den letzten anderthalb Jahren umsteuern können. Wir haben die Investitionswende geschafft und das müssen wir jetzt auch deutlich fortführen und verstetigen."

"Wir ärgern uns alle miteinander über das Ergebnis der AfD, aber wir haben auch alle miteinander dafür gekämpft und haben deutlich gemacht in diesem Wahlkampf: Berlin wird eine internationale, weltoffene und tolerante Stadt bleiben."

"Wir müssen in vielen Dingen schneller und besser werden - das ist auch meine Lehre aus diesem Ergebnis."

Frank Henkel, CDU-Landeschef

"Wir haben eine gute Bilanz, aber ganz offensichtlich ist es uns in diesem Wahlkampf
nicht gelungen, die Bilanz in eine erfolgreiche Kampagne und in Wählerstimmen umzusetzen".

"Ein schwarzer Tag für die Volksparteien."

"Ich trete nicht zurück, falls das Ihre Frage war."

Henkel warnte vor einer Spaltung in linke und rechte Lager und sagte: "Wir stehen zu Sondierungsgesprächen bereit." Das Ergebnis werde am Montag im Präsidium der CDU und im Landesvorstand aufgearbeitet.

Ramona Pop Grünen-Fraktionschefin

"Wir sehen, dass die große Koaltion deutlich abgewählt worden ist. Berlin braucht eine handlungsfähige Regierung und keine zerstrittene Koalition."

"Es ist Zeit für einen politischen Neuanfang im Senat, dafür stehen wir bereit. Offensichtlich sieht es so aus, dass eine Regierungsbildung an den Grünen vorbei nicht mehr möglich ist."

"Für eine Verlängerung der Großen Koalition mit einem grünen Feigenblättchen stehen wir nicht zur Verfügung."

"Der Ball liegt bei der Berliner SPD, mit wem und wie schnell sondiert wird."

Klaus Lederer, Linke-Landeschef

"Wir haben unser Wahlziel mehr als erreicht. Und das bei einer deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung. Ich hätte das so nicht für möglich gehalten."

"In absoluten Zahlen und in relativen Zahlen zuzulegen, als einzige im Parlament vertretene Partei, das ist schon ein tolles Wahlergebnis."

"Wir haben versucht, deutlich zu machen, dass wir aus dem Mantra der Alternativlosigkeit rauskommen müssen - dass es Druck von Links braucht und dass die Alternative eben nicht die AfD ist."

"Wir sind nach wie vor eine Protestpartei. [...] Aber es reicht nicht aus, nur Protest zu äußern."

"Es geht nicht darum, dass eine Partei sich je nach Lust und Laune alle fünf Jahre einen neuen Koalitionspartner sucht und meint, den Stiefel so weiterfahren zu können, wie sie ihn immer gefahren ist. Das wird nicht funktionieren."

Georg Pazderski, AfD-Spitzenkandidat

"Wir haben ein sehr gutes Ergebnis erzielt, von Null auf 12 wahrscheinlich noch mehr. Ich freu mich übrigens, dass der Herr Müller auch mit der AfD Gespräche führen will, denn er hat ja gesagt, er wolle mit allen demokratischen Parteien zusammenarbeiten. Dann ist es es ja klar, dass er mit uns auch welche führen wird. Ich weiß nur nicht, ob wir mit ihm welche führen werden."

"Wir werden keine Fundamentalopposition sein, wir werden konstruktiv mitarbeiten"

"Wir werden den Finger in die Wunde legen und wir werden ein Weiter-so hier in Berlin mit Sicherheit nicht mitmachen." 

Sebastian Czaja, FDP-Generalsekretär

"Es ist ein großartiger Moment, die Liberalen in Berlin sind zurück, wir haben es zusammen geschafft."

"Wir sind auch angetreten, um Vertrauen zurückzugewinnen. Wir haben eine herbe Niederlage im Jahr 2011 erlebt. Das Vertrauen wollen wir zurückgewinnen und wir wollen es vor allem parlamentarisch bestätigen."

"Der Flughafen Tegel [den die FDP offen halten möchte, d.Red.] ist ein Signal der Berlinerinnen und Berliner, dass sie mitreden wollen. Da kommt keiner in der Politik mehr vorbei. Wir werden das Thema permanent auf die Tagesordnung bringen."  

 

Reaktionen aus Brandenburg

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD):
"Hauptsache die SPD ist stärkste Kraft in Berlin."

SPD-Generalsekretärin Klara Geywitz:
"Berlin hat sich in den letzten Jahren rasant entwickelt. Viele Menschen - nicht unbedingt nur klassische SPD-Wähler - sind in die Stadt gezogen. Da war es eine Riesen-Leistung, dass wir weiter stärkste Kraft sind."

CDU-Generalsekretär Steven Bretz:
"Es ist schon so, dass das zunehmend unkollegiale Verhalten des Regierenden Bürgermeisters - der ja insgesamt eine blasse Erscheinung ist - nicht dazu beigetragen hat, auch die Erfolge des Senats darzustellen."

Finanzminister Christian Görke (Linke):
Zum Abschneiden der Berliner Linkspartei: "Das ist schon ein ganz starkes Ergebnis. Ich bin überzeugt, dass Berlin jetzt links tickt."

Grünen-Landeschefin Petra Budke:
"Berlin ist bereit für einen Neuanfang. Der Ball liegt jetzt bei der SPD, aber wir würden uns natürlich freuen, wenn die Grünen demnächst bei einer Regierung dabei sind."

Andreas Kalbitz, Landes-Vize der AfD:
"Das ist ein hervorragendes Ergebnis. Berlin ist ja kein vergleichbares Pflaster zu Mecklenburg-Vorpommern."
"Die AfD ist angekommen. Und wir sind gekommen, um zu bleiben."

Reaktionen aus der Bundespolitik

SPD-Chef Sigmar Gabriel:
"Berlin bleibt sozial und menschlich anständig"

Grünen-Chef Cem Özdemir:
"Die Leute wollen eine seriöse Regierung, wir können das."

Christian Lindner, FDP-Vorsitzender:
"Weit über diese Stadt hinaus ist das ein Signal"

Jörg Meuthen, AfD-Vorsitzender:
"Wir sind felsenfest überzeugt, dass wir nächstes Jahr mit einem
zweistelligen Ergebnis im Bundestag landen werden."

CDU-Vorstandsmitglied Monika Grütters:
"Herr Müller muss klären, ob er ein Linksaußen-Bündnis möchte oder ob
er auf Stabilität in der Mitte setzt."

Einer Koalition mit der CDU von Spitzenkandidat und Innensenator Frank Henkel hatte Müller zwar vor der Wahl eine Absage erteilt, doch am Wahlabend erklärte der Regierende Bürgermeister, es sei "eine Frage des Anstands, dass selbstverständlich auch die bisherigen Koalitionspartner zusammenkommen und miteinander reden".  

Die Grünen könnten hier erstmals seit 2002 wieder in Regierungsverantwortung kommen. Spitzenkandidatin Ramona Pop hatte sich ebenso wie die Linken offen für eine Dreier-Koalition mit der SPD gezeigt. Es sehe so aus, "als ob eine Regierungsbildung an uns Grünen vorbei nicht mehr möglich ist", erklärte Pop am Sonntagabend. Für Rot-Schwarz-Grün stünden die Grünen aber nicht zur Verfügung.  


Mit der AfD will keine der anderen Parteien zusammenarbeiten. Wie zuvor in anderen Bundesländern dürfte die Partei auch in Berlin vom Unmut vieler Bürger über Merkels Flüchtlingspolitik profitiert haben. Die Rechtspopulisten sind nun in 10 von 16 Landesparlamenten vertreten.

Von einem "Riesenerfolg" sprach die AfD-Politikerin Beatrix von Storch: "Wir sind in der Hauptstadt angekommen." Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, äußerte sich besorgt über das Erstarken der Rechtspopulisten.

Die AfD konnte viele Nichtwähler mobilisieren, hat aber auch von den Verlusten der großen Koaltion profitiert. Das geht aus den ersten Ergebnissen der Wählerwanderung hervor. Danach verlor die CDU rund 37.000 Wähler an die AfD und 26.000 an die wiedererstarkte FDP. Die SPD verlor etwa 22.000 Wähler an die AfD und 20.000 an die Linke. Aus dem Lager der Nichtwähler wechselten sogar etwa 64.000 Berliner zur Alternative für Deutschland. Zu den Wahlgewinnern gehört auch die Linke. Sie konnte von Piraten, Grünen und der SPD jeweils gut 20.000 Wähler auf ihre Seite holen.

BVV-Wahlen

AfD hat gute Chancen auf sieben Stadtratsposten

Die AfD schafft nicht nur den Einzug ins Abgeordnetenhaus, sondern auch in alle zwölf Berliner Bezirksparlamente. In voraussichtlich sieben Bezirken ist sie sogar so stark, dass sie rechnerisch Anspruch auf einen Stadtratsposten hätte. Sie hätte damit bundesweit erstmals politische Gestaltungsmacht.

Hohe Wahlbeteiligung

Die Wahl des neuen Abgeordnetenhauses und der Bezirksverordnetenversammlungen lief mir reger Beteiligung. Die Wahlbeteiligung war in diesem Jahr deutlich höher als bei der letzten Wahl 2011. 66,8 Prozent der 2,48 Millionen Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab, vor fünf Jahren waren es 60,2 Prozent.

Teilweise bildeten sich lange Schlangen bei der Stimmabgabe. So mussten Wähler beispielsweise in Kaulsdorf oder Schöneberg bis zu 20 Minuten warten, bis sie ihre Stimmen abgeben konnten. In einem Wahlbüro in Schöneberg wurden die Bürger zeitweise nur noch einzeln eingelassen, wie Geert Baasen, Geschäftsstelle der Landeswahlleiterin, rbb|24 bestätigte. Der Andrang sei so hoch gewesen, dass die Beisitzer anders keine geheime Wahl mehr hätten garantieren können.

Bereits bei der Briefwahl wurde ein Rekord verzeichnet: Mehr als 21 Prozent der Wahlberechtigten stellten dafür einen Antrag.

Zur Abgeordnetenhauswahl waren knapp zweieinhalb Millionen Menschen zur Stimmabgabe aufgerufen. Das sind rund 14.000 mehr als bei der vergangenen Wahl 2011, denn Berlin wächst.

21 Parteien schickten 927 Kandidaten ins Rennen, die meisten in allen zwölf Bezirken, einige aber auch nur in ausgewählten Bezirken. In den 78 Wahlkreisen bewarben sich 652 Kandidaten um Direktmandate. Die restlichen mindestens 52 Sitze im Abgeordnetenhaus werden nach Parteilisten vergeben.

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