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Quelle: Bela Wiethüchter

Nachwuchs-Schiedsrichter in Zeiten der Pandemie

Die Corona-Uhr tickt auch für Unparteiische

Fußballspieler und Schiedsrichter haben dieser Tage einiges gemeinsam: Sie können ihrem Beruf oder Hobby nicht nachgehen, sehnen sich nach Action auf dem Platz und fragen sich, wie es in dieser Saison weitergeht. Es um viel mehr als Auf- oder Abstieg. Von Uri Zahavi  

Einmal tief Luft holen. Die Pfeife fest zwischen den Lippen - und inbrünstig lospusten. Anpfiff. Spätestens jetzt sollten alle auf dem Platz und daneben wach sein. Tausende Amateurkicker sehnen sich nach diesem schrillen, teils sogar unangenehm lauten Geräusch. Seit Mitte März sind die Amateur-Bolzplätze in Berlin verwaist. Kein Training, keine Partien. Aber nicht nur Spieler entwickeln langsam Entzugserscheinungen. Gleiches gilt für Schiedsrichter. "Ich persönlich habe auf jeden Fall Bock, wieder auf dem Platz zu stehen", erzählt Hannes Stein, 21-jähriger Berliner Unparteiischer. "Ich halte mich sportlich fit, gehe laufen, mache Koordinationstraining. Aber es ist natürlich etwas anderes, als auf dem Platz zu stehen und Entscheidungen zu treffen."

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Zoff mit dem Trainer begründete die Karriere

Stein pfeift seit neun Jahren im Berliner Fußball. Nach Differenzen mit seinem damaligen Jugendtrainer tauscht er mit nur 13 Jahren Schienbeinschoner gegen Pfeife. "Ich wollte trotzdem weiter im Spielbetrieb mitmachen." Nur zwei Jahre später gehört er zum Schiedsrichter-Jugendförderkader des Berliner Fußball-Verbandes. Es ist die Zeit, in der er merkt: Er will nach oben. Es beginnt sein rasanter Aufstieg. Er pfeift im Herbst 2016 seine ersten Herrenspiele in der Bezirksliga, wird in die Landesliga und ein halbes Jahr später in die Berlin-Liga eingestuft, assistierte zudem bis zur letzten Saison in der A- und B-Jugendbundesliga. "Da kriegt man schon mal ein bisschen mehr Kontra auf dem Platz", sagt er über die unterschiedlichen Anforderungen des Herrenfußballs gegenüber denen des Jugendfußballs.

"Wenn Corona nicht gewesen wäre..."

Mittlerweile hat sich Stein, der Deutsch und Politikwissenschaften auf Lehramt studiert, in der Berlin-Liga etabliert. Es ist die höchste Spielklasse in der Hauptstadt. "Er ist eines unserer größten Talente im Schiedsrichterwesen", sagt Jörg Wehling, Vorsitzender des Berliner Schiedsrichter-Ausschusses. Und dieses Kompliment will schon schon etwas heißen. "Seine Leistungen waren so gut, wenn Corona nicht gewesen wäre, dann hätte er ein Probespiel in der Oberliga bekommen. Er kommt absolut für den überregionalen Bereich in Frage."

Hannes Stein leitete in dieser Saison sechs Berlinliga-Spiele. | Quelle: Bela Wiethüchter

Wenn Corona nicht gewesen wäre. Ein Satz wie ein Schlag in die Magengrube - auch für ambitionierte, junge Schiedsrichter. Stein, der eine starke Saison absolviert, ist heißer Aufstiegsaspirant. Für Unparteiische läuft es tatsächlich ähnlich wie für Fußballvereine in ihren Ligen. Jedes Jahr gibt es eine Abschlusstabelle: die Besten steigen auf, die Schwächsten steigen ab.

"Zu Beginn der Rückrunde wird ein Pool von Schiedsrichtern festgelegt, die in Frage kommen für den nächsten Schritt - und da war ich mit drin." Es wäre sein nächster großer Karriereschritt. Ein Aufstieg in die überregionale Oberliga. Aber der Konjunktiv, er bleibt: Der Nordostdeutsche Fußball-Verband hat aufgrund der pandemiebedingten Saisonunterbrechung beschlossen, dass es in diesem Jahr weder Auf- noch Absteiger in der Schiedsrichterriege geben wird. Für Hannes Stein, der so überzeugen konnte, also ein ganzes Jahr umsonst? Kein Ertrag für die hohe Investition?

Hannes Stein hat alles im Blick. | Quelle: Bela Wiethüchter

Die Zeit rennt

Es ist vielleicht nicht ganz so extrem wie bei den kickenden Profis, aber auch in der Schiedsrichterei herrscht für den Nachwuchs Zeitdruck. "Da muss schon eine Zwei vorne stehen", gibt Jörg Wehling nüchtern zu Protokoll. Dabei bezieht er sich auf das Alter, in dem aufstrebende Referees möglichst schon in der professionellen 3. Liga gepfiffen haben sollten. Zum Vergleich: Der Berliner Schiedsrichter Felix Zwayer, 26 Einsätze von Bundesliga bis Champions League in der laufenden Saison, war 26 als er in Liga 3 debütierte. Daniel Siebert, ebenfalls aktueller Berliner FIFA-Schiedsrichter, war sogar erst 24. Beide leiteten zuvor Begegnungen in der Ober- und Regionalliga. Das gehört zu den notwendigen Vorerfahrungen beim DFB.

"In der Regionalliga pfeifen 28 Schiedsrichter. Das sind 28 von 10.000 im ganzen Nordosten. Da weiß man, was für ein "Aussiebverfahren" dahintersteckt. Die Uhr tickt - man sollte keine Zeit verlieren." Genau das droht nun aber Hannes Stein. Der Berliner Fußball-Verband hätte zwar die Möglichkeit, selbstbestimmend Schiedsrichter in den Ligen auszutauschen - ob das geschieht, ist jedoch ungewiss.

Stein aber lässt sich - ganz wie auf dem Platz - auch jetzt nicht aus der Ruhe bringen. "Klar ist die Pause bitter, aber ich bin gut vorbereitet und fühle mich bereit für den nächsten Schritt."

Hannes Stein ist seit neun Jahren Schiedsrichter. | Quelle: Bela Wiethüchter

Großer Zusammenhalt

Bis es auf dem Platz weitergeht, bleibt den Nachwuchs-Schiedsrichtern also weiterhin nichts anderes übrig, als geduldig zu bleiben. Den Kontakt zu den Kollegen halten sie dabei digital - beispielsweise mit Videokonferenzen. "Wir haben einen guten Zusammenhalt, machen alle das Gleiche durch. Und klar fehlt das, wenn man sich nicht persönlich sieht." Finanziell sind die Einbußen für Hannes Stein übrigens überschaubar. Er verdiene sich durch das Schiedsrichterdasein zwar schon etwas dazu, gibt aber auch deutlich weniger aus momentan. "Nullsummenspiel", nennt er das.

Der 21-Jährige hat eben die Ruhe weg. Keine schlechte Eigenschaft bei einem Schiedsrichter.

Beitrag von Uri Zahavi

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