rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Quelle: imago images / allOver

Physiotherapeutin im Lockdown

"Die Patienten verlieren alles, was sie sich erarbeitet haben"

Die Praxen von Physiotherapeuten dürfen seit dem 23. März nur noch Patienten aufnehmen, die ein Rezept haben. Doch auch die sind in den vergangenen zwei Wochen vermehrt weggeblieben, sagt eine Berliner Physiotherapeutin. Von Marie Asmussen

Die Physiotherapeutin Christina Schmidt-Frenz hat für ihre vier Angestellten inzwischen Kurzarbeit beantragt. Zwar darf sie in ihrer Praxis in Berlin-Friedenau Patienten als dringend notwendige ambulanten Grundversorgung weiter behandeln, aber es kommen kaum noch welche. Und das nicht erst seit der am 23. März verhängten Kontaktsperre. Am Freitag, den 13. März, sei es losgegangen, sagt Schmidt-Frenz. "Das Telefon klingelte fast ununterbrochen. Ein Patient nach dem anderen sagte ab, aus Angst vor dem Coronavirus."

Kurse wie Rückenschule oder Osteoporose-Gymnastik dürfen nach dem Lockdown gar nicht mehr stattfinden, genauso wie Physiotherapie ohne Rezept für Menschen, die selbst zahlen. Aber nicht nur die bleiben weg, sondern auch viele Patienten, die noch kommen dürfen und die dringend kommen müssten.

"Man muss die Menschen anfassen"

Um diese Patienten macht sich Christina Schmidt-Frenz jetzt richtig Sorgen. Zum Beispiel um Frauen nach Brustkrebs-Operationen, die regelmäßig Lymphdrainage brauchen. Auch neurologische Patienten sind auf dauerhafte Behandlung angewiesen, etwa nach einem Schlaganfall oder wenn sie Multiple Sklerose haben oder Parkinson. Diese Menschen verlören das, was ihnen an Mobilität und Selbständigkeit geblieben ist, sagt Schmidt-Frenz. "Die Patienten verlieren alles, was sie sich erarbeitet haben in der Physiotherapie". Später lasse sich die einmal verlorene Beweglichkeit kaum wieder zurückholen.

Die Krankenkassen zahlen inzwischen auch für Behandlung per Video. Die kommt aber nur für Gymnastikübungen in Frage. Alles andere, sagt Christina Schmidt-Frenz, seien manuelle Therapien. "Bei denen muss man die Menschen anfassen, das geht nicht per Video".

Mehr zum Thema

Ein Lokal im Lockdown

Scheitern wegen Corona ist keine Option

    

Für diese Behandlungen braucht man eigentlich eine vertrauensvolle, entspannte Atmosphäre. Die ist schwer herzustellen, wenn einem die Corona-Angst im Nacken sitzt. Aus Furcht vor Ansteckung kommen einige Patienten schon mit Atemschutzmasken in die Praxis. Manche versuchen auch, Abstand zu halten, würden sich am liebsten nur an den unteren Extremitäten anfassen lassen. Aber wenn die Schulter oder die Nackenwirbelsäule Therapie braucht, dann muss man sich zwangsläufig oben herum näherkommen.

Trotz Kontaktsperre dürfen Physiotherapeuten weiterhin sehr alte, gebrechliche Menschen auch zu Hause behandeln. Christina Schmidt-Frenz und ihre Mitarbeiterinnen müssen dabei mit ansehen, dass die – meist ebenfalls hoch betagten - Partner ihrer Patienten mit der Situation teilweise völlig überfordert sind, dass es wegen der strikten Isolation zu häuslicher Gewalt kommt.

Reha-Patienten werden jetzt ambulant behandelt

Durch die Corona-Pandemie ist die Zahl der Patienten in der Friedenauer Praxis um fast neunzig Prozent gesunken. Statt der alten "Stammkunden" kommen jetzt vermehrt Menschen, die ziemlich frisch operiert aus der Klinik entlassen wurden. Diese Patienten wären unter normalen Umständen länger im Krankenhaus geblieben und von da aus gleich in eine Reha-Kur gegangen. Weil das im Moment nicht geht, werden sie jetzt ambulant behandelt.

Fachlich ist das für die Physiotherapeutin kein Problem. Aber aus dem Krankenhaus könnten solche Patienten unter Umständen das Coronavirus mitbringen. Noch hat Christina Schmidt-Frenz genügend Desinfektionsmittel, Atemschutzmasken und Einmalhandschuhe. Aber Nachschub zu bekommen ist unheimlich schwer und extrem teuer. Dabei ist das Geld knapp, weil nur noch so wenige Patienten kommen.

Die Investitionsbank Berlin hat der Physiotherapeutin einen Zuschuss überwiesen. Darüber ist sie froh, aber diese Mittel reichen höchstens für drei Monate und gegen die pure Existenzangst helfen sie nur sehr begrenzt.

Beitrag von Marie Asmussen

Artikel im mobilen Angebot lesen