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Video: Abendschau | 15.04.2020 | Ute Barthel | Quelle: rbb

Keine Rücksicht auf Mieter in Corona-Zeiten

"Wir sollen zu Hause bleiben, aber wie denn?"

Während das ganze Land still hält, beginnen an einem Berliner Wohnhaus umfangreiche Sanierungsarbeiten. Für die Mieter ist das kaum zu ertragen. Die Eigentümerfirma geriet bereits vor zehn Jahren mit rüden Praktiken bundesweit in die Schlagzeilen. Von Ute Barthel

Die Nerven der Bewohner in der Calvinstraße 21 in Berlin-Moabit liegen blank, denn der Lärm im Haus ist unerträglich. Am Montag vor Ostern ging es los. Um 7 Uhr früh beginnen sie mit den Arbeiten. Mit Presslufthämmern werden die Wände kaputtgemacht, laut und schmutzig ist es im Haus. "Überall Staub und Dreck", berichtet Roman Czapara. Die leerstehenden Wohnungen im Haus werden entkernt.

Den Bauarbeiten können die Bewohner in Zeiten der Corona-Pandemie nicht ausweichen. Sie gehören alle zur Risikogruppe, sollten am besten gar nicht vor die Tür gehen. Eine Nachbarin ist 93 Jahre alt und pflegebedürftig. Roman Czapara ist krank und schwerbehindert. "Unser Vermieter weiß, welche Vorerkrankungen wir haben. Warum muss er jetzt in Zeiten der Corona-Pandemie einen Bautrupp ins Haus schicken?", fragt er. "Wir sollen zu Hause bleiben, aber wie denn?"

Zugemauerte Fenster und ein jahrelanger Rechtsstreit

Für die Bewohner der Calvinstraße fühlt es sich an wie ein Déjà-vu. Vor zehn Jahren war es genauso. Schon damals wollte die Vermieterin, die Terrial Stadtentwicklungs GmbH, das Haus aus den 1960er-Jahren modernisieren lassen. Monate lebten die Mieter auf einer Baustelle, ertrugen Lärm und Staub. Der Mieterin Helga Brandenburger ließ der Vermieter sogar die Fenster in der Küche zumauern. Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen. Viele Mieter zogen aus, aber eine kleine Gruppe wehrte sich gegen die Modernisierungsmaßnahmen vor Gericht. Mit Erfolg. Den Großteil seiner Umbaupläne durfte die Vermieterin nicht umsetzen.

Nach ihrer Niederlage vor Gericht ließ sie die verlassenen Wohnungen viele Jahre lang einfach leer stehen. Die übrigen Mietparteien lebten wie auf einer verlassenen Baustelle. 2017 leitete das Bezirksamt wegen des Leerstands ein Zweckentfremdungs-Verfahren ein und forderte die Vermieterin auf, die Wohnungen wieder instand zu setzen. Diese kündigte daraufhin im Dezember 2018 wieder umfangreiche Modernisierungsmaßnahmen an, verbunden mit saftigen Mieterhöhungen. Die Czaparas sollten fast 400 Euro mehr Miete zahlen. Die Sache ging vor Gericht. Alles begann von vorn.

Im August 2019 entschied das Amtsgericht Mitte im Fall der Czaparas, dass die Vermieterin nur 15 Prozent der Maßnahmen umsetzen darf. Zum Beispiel, die Eingangstür des Hauses erneuern und die Klingel- und Schließanlage. Auch die Balkone darf sie vergrößern. Aber eine Fassadendämmung müssen die Mieter nicht dulden und auch nicht den Austausch der Heizung oder den Aufbau von zwei zusätzlichen Stockwerken. Doch dieses Urteil ist nicht rechtskräftig, eine Entscheidung des Landgerichtes steht noch aus.

Jetzt hat die Vermieterin mit Entkernungsarbeiten begonnen. Ausgerechnet in der Corona-Krise, wo die Mieter dem Lärm und Staub nicht entfliehen können. Aus deren Sicht sind die Maßnahmen reine Schikane.

Vermieter: Corona kein Grund, die Maßnahmen zu unterbrechen

Auf Nachfrage von rbb|24 erklärt die Terrial Stadtentwicklungs GmbH, dass die Entkernungsarbeiten nur in den leerstehenden und nicht in den bewohnten Wohnungen stattfinden, eine Genehmigung des Bezirksamtes liege vor.

"Auszuführende Baumaßnahmen sind in der Corona-Krise nicht unzulässig und durch die Behörden eingeschränkt worden, es besteht also im Rechtsinn kein wichtiger Grund die Maßnahmen zu unterbrechen", heißt es in einer E-Mail. "Lärm und Staub wird durch jeden Umbau verursacht. Die ausführenden Firmen sind bemüht, die Unannehmlichkeiten so gering wie möglich zu halten." Doch von diesem Bemühen spüren die Mieter wenig, wenn der Presslufthammer in den Nachbarwohnungen die Wände vibrieren lässt.

Bezirksamt Mitte sieht keine Handhabe

Sie wandten sich ans Bezirksamt Mitte mit der Bitte, den Vermieter aufzufordern, die Bauarbeiten zu unterbrechen. Ein Mitarbeiter des Bauaufsichtsamtes antwortete: "Hierzu muss ich Ihnen mitteilen, dass die Arbeiten baurechtlich zulässig sind. […] Ferner wird die Einhaltung von Vorschriften der Pandemie nicht durch das Stadtentwicklungsamt verfolgt."

Roman Czapara rief auch die Polizei und das Ordnungsamt an und bat um Hilfe: "Aber die haben gesagt, sie sind nicht zuständig und wenn der Vermieter eine Genehmigung hat, kann er das machen." Auch der Rechtsanwalt der Mieter sieht wenig Möglichkeiten, ihnen zu helfen. Eine einstweilige Verfügung sei mit hohen Risiken verbunden, falls sie in der nächsthöheren Instanz wieder aufgehoben wird, erklärt Rechtsanwalt Christoph Müller. "Es könnten dann Schadensersatzforderungen auf die Mieter zu kommen. Deswegen muss man sehr vorsichtig agieren."

Vermieterverband: "Man darf so mit seinen Mietern nicht umgehen"

Die Eigentümerin hat mehrere Jahre Zeit gehabt, die leeren Wohnungen instand zu setzen. Warum wird ausgerechnet jetzt damit angefangen? Mieter-Anwalt Müller vermutet dahinter eine Strategie: "Die letzten verbliebenen Mieter sollen mit den Baumaßnahmen und den damit verbundenen Lärm- und Schmutzbeeinträchtigungen mürbe gemacht werden. Es ist nicht das erste Mal, das versucht wird, mit solchen Methoden zu arbeiten."

So funktioniert zum Beispiel seit August 2019 der Fahrstuhl des Hauses nicht. Trotz mehrfacher Aufforderung ist er bis heute nicht repariert. Selbst der Vertreter des Vermieterverbandes Haus und Grund für den Bezirk Tiergarten, Martin Griebling, verurteilt die Verfahrensweise der Terrial Stadtentwicklungs GmbH: "Ich bin entsetzt, wenn ich das Haus sehe. So darf man mit seinen Mietern nicht umgehen. Unsere Mieter sind unsere Kunden und kein Freiwild. Doch diesen Eindruck gewinnt man hier."

Doch auch er kann nur einen moralischen Appell an die Vermieterin richten, die Bauarbeiten mit Rücksicht auf die Gesundheit der Mieter zu unterbrechen. Und diese haben Zweifel, dass der Appell tatsächlich ankommt. Über Ostern hatten sie ein paar Tage Ruhe. Am Dienstagmorgen dröhnte wieder das Geräusch des Presslufthammers durchs Haus.

Beitrag von Ute Barthel, rbb24 Recherche

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