rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Video: rbb|24 | 06.06.2020 | Mitya Churikov | Quelle: Peng!-Kollektiv

Interview | Peng!-Kollektiv

Wie ein fiktives Bundesamt große deutsche Firmen reingelegt hat

Ein imaginäres "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" kontaktiert im Juli deutsche Wirtschaftsbosse, fragt sie nach Zukunfts-Strategien und lockt mit Geld. Jetzt hat sich das Berliner Peng!-Kollektiv als Initiator bekannt. Was steckt hinter der Aktion?

Die "deutsche Wirtschaft sicher durch die Krise" bringen – eine schwierige Aufgabe. Immerhin ist das Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal des Jahres um ganze zehn Prozent eingebrochen. Doch diesem Ziel hatte sich das "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" laut seiner im Juni veröffentlichten Internetseite gewidmet. Das Problem: Dieses Bundesamt gibt es genauso wenig wie das auf der Seite prominent plakatierte Zitat von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), in dem dieser die angebliche Behörde als "wichtigen Pfeiler in der Stabilisierung der deutschen Wirtschaft" bezeichnete.

Die zugehörige veröffentlichte Website des fiktiven Bundesamtes ist mittlerweile nicht mehr abrufbar. Anfang Juli ist es trotzdem gelungen, große deutsche Unternehmen hereinzulegen und unter dem Vorwand der Corona-Hilfen Gespräche mit Managern und Vorständen zu ergattern. Zu den Betroffenen gehört auch der Energiekonzern RWE. Der Vorstandschef des Energiekonzerns, Rolf Martin Schmitz, berichtete der "Welt am Sonntag", dass ihm eine Frau mit niederländischem Akzent Fragen gestellt habe: etwa, ob es nicht sinnvoll wäre, auf eine schrumpfende Wirtschaft zu setzen. Oder ob es eine staatliche Beteiligung an RWE geben sollte.

Das Bundeswirtschaftsministerium warnte in diesem Zusammenhang zunächst vor Betrug. Doch hinter dem "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfe" verbergen sich nicht etwa Corona-Betrüger, sondern das Berliner Peng!-Kollektiv.

Peng e.V.

Das Berliner Kollektiv Peng! (auch: Peng Collective) entwickelt subversive Aktionskunst. Der Gruppe gehören u.a. Kunstschaffende, Aktivisten und Wissenschaftler an. Peng! startet etwa kreative Fake-Kampagnen, um umstrittene Themen – Waffenhandel, Umgang mit Geflüchteten – verstärkt in die Medienöffentlichkeit zu holen. 2018 wurde Peng! mit dem Aachener Friedenspreis ausgezeichnet.

rbb|24 hat zwei Mitglieder getroffen, die an der Aktion beteiligt waren. Ihre richtigen Namen möchten sie nicht veröffentlichen, deswegen reden wir sie in diesem Interview mit Lara und Anja an.

rbb|24: Das Peng!-Kollektiv hat sich als das erfundene "Bundesamt für Krisenschutz und Wirtschaftshilfen" ausgegeben und bei großen deutschen Unternehmen, wie dem Energiekonzern RWE, der Westfleisch GmbH und dem Immobilienkonzern Vonovia angerufen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Anja: Ich glaube, die Idee kam etwa zeitgleich mit der wirtschaftlichen Hilfe für Lufthansa auf. Wir stellten uns die Frage: Moment mal – wenn da so viel Geld fließt, sollte man eigentlich mal anrufen und vorschlagen, einfach das ganze Unternehmen zu verstaatlichen. Das kann man eigentlich bei allen Unternehmen machen. Da sind ja ziemlich viele Gelder geflossen.

rbb|24: Wie haben Sie sich auf diese Gespräche vorbereitet?

Lara: Vor den Anrufen haben wir untereinander geprobt – einer aus dem Team hat die Rolle des CEOs übernommen, ein anderer hat das Peng!-Kollektiv gemimt. Und daraus sind ein paar Fragen und Reaktionen entstanden, die wir schon erwartet haben. Wir haben uns sehr viel mit den Leuten und mit dem Unternehmen beschäftigt. Wir waren zum Beispiel sicher, dass, wenn wir explizit nach Vergesellschaftung fragen, keiner sagen wird: Ja auf jeden Fall.

Anja: Wir hatten gar nicht erwartet, mit CEOs zu sprechen. Als die plötzlich geantwortet haben, dachten wir, Moment mal, das wird eine Nummer ernster als wir geglaubt haben. Wir glaubten am Anfang, da meldet sich vielleicht die Pressestelle, und dann reden wir maximal fünf Minuten. Aber letztendlich wurden es lange, respektvolle Gespräche.

mehr beim rbb

Interview | Rettung der Lufthansa

"Für diese Probleme brauchen wir eine europäische Lösung"

rbb|24: Waren Sie überrascht, dass man Sie als "seriöse" Gesprächspartnerinnen wahrgenommen hat?

Anja: Am meisten hat uns überrascht, wie klar wir gemeinsam darüber reden konnten, dass es Zeit für einen radikalen Wandel ist, dass die Krise wirklich schlimm ist und noch schlimmer werden kann. Wir haben offen angesprochen: Kapitalismus funktioniert nicht mehr. Es wird etwas anderes kommen müssen. Das ist nicht immer durchgegangen, aber bei vielen eigentlich schon. Das hätte ich nicht erwartet.

rbb|24: Wie haben die Manager reagiert?

Anja: Manche haben sehr offen mit uns gebrainstormed über die Frage: Wie kommt man hin zu einer gerechten, klimaneutralen Wirtschaft? Was kann man etwa machen, wenn Flugverkehr irgendwann einfach nicht mehr tragbar ist. Kann man ein europäisches Bahn-Netzwerk ausbauen? Was machen wir dann mit den Flughäfen? Manche sind da sehr offen eingestiegen, das waren eher die Ingenieure. Die CEOs haben eher gesagt: nee, auf gar keinen Fall.

mehr beim rbb

Interview | Arbeitsmarkt

Warum Berlin härter getroffen wurde als Brandenburg

rbb|24: Wäre es denn überhaupt ein realistisches Szenario, dass ein Bundesamt bei Unternehmen anruft und fordert, dass sie nicht mehr oder anders Geld erwirtschaften?

Anja: Wir wollten die Frage aufwerfen: warum nicht? In der Corona-Krise gab es einen Moment, wo alle gesagt haben: Ok, wir müssen unbedingt etwas ändern. Aber das ist jetzt erst der Anfang. Das ist eine Krise, eine Pandemie. Es wird vielleicht mehrere Pandemien geben. Es gibt ganz viele Auswirkungen des Klimawandels, die noch auf uns zukommen werden. Die Wirtschaft muss irgendwie dafür umgestaltet werden.

Der Staat hat schon massive Hilfsmaßnahmen geleistet – im Gesundheitssystem, in der Immobilienbranche. Es gab ein Verbot von Zwangsräumungen. Das sind alles staatliche Interventionen. Und da kommt die Frage auf: Geht es nach der Krise weiter wie zuvor, oder sehen wir jetzt ein, so geht das nicht weiter. Wir brauchen eine Wirtschaft, die negative Auswirkungen nicht immer auf die gleichen Menschen abwälzt.

Und: Wer soll denn dieses Gespräch führen? Es gibt zwar soziale Bewegungen, die über Postwachstumsökonomie und solidarische Ökonomie sprechen. Warum aber sollte es nicht auch der Staat sein, der dieses Gespräch angeht?

rbb|24: Warum ist jetzt gerade der richtige Zeitpunkt dafür?

Anja: Vor zehn Jahren war auch schon ein richtiger Zeitpunkt erreicht. Mit jeder Krise stellt sich die Frage wieder. Die Welt stand still, und es wird noch eine sehr harte Rezession auf uns zukommen. Die zweite Welle rollt vielleicht sogar jetzt schon auf uns zu. Im Rest der Welt ist die erste Welle noch nicht überstanden. Es gibt ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, dass radikale Maßnahmen möglich und vielleicht sogar notwendig sind. Das hat auch die Corona-Krise gezeigt. Da sind plötzlich Maßnahmen möglich geworden, massive Eingriffe des Staates, die vor 20 Jahren überhaupt nicht denkbar waren.

mehr beim rbb

Bis zu 800.000 Euro

Berliner Start-ups können staatliche Corona-Hilfe beantragen

rbb|24: Das Peng!-Kollektiv hat in der Vergangenheit Aktionen als Kunst ausgestellt. Verstehen Sie auch diese Aktion als Kunst?

Lara: Kunst bietet natürlich einen Schutzraum, sowohl juristisch als auch, um ganz andere Sachen auszuprobieren und zu machen. Die Konsequenzen sind einfach nicht so hart. Das ist, glaube ich, ein Vorteil. Aber ich würde das Ganze nicht per se als Kunst definieren. Wir haben wirklich ernsthaft mit den Leuten telefoniert. Es war also keine Inszenierung.

rbb|24: Sie sagen, dass Sie eine ernsthafte Debatte anstoßen wollten, haben sich aber als Mitarbeiter eines Bundesamtes ausgegeben. Als sie enttarnt wurden, wurden Sie als Corona-Betrüger charakterisiert. Fühlen Sie sich als Betrüger?

Lara: Nein.

Anja: Ich kann verstehen, dass Herr Schmitz [CEO der RWE AG, Anm.d.Red.] es nicht schön fand, dass wir ihn unter falschem Vorwand angerufen haben. Das kann ich nachvollziehen.

rbb|24: Wäre es nicht ehrlicher gewesen, direkt zu sagen, wer man ist und was man will?

Lara: Das ist realitätsfern. Nachdem wir aufgeflogen sind, hat uns Herr Schmitz in dem Telefonat gesagt, er hätte auch so mit uns geredet. Ich glaube nicht, dass das der Realität entspricht. Hätten wir als Peng!-Kollektiv angefragt, wäre nichts zurückgekommen. Wir hätten überhaupt nicht die Chance gehabt, mit ihm zureden und das authentisch zu machen. Die Frage ist jetzt, was passieren würde, wenn wir ihm jetzt anbieten würden, noch mal als Peng!-Kollektiv oder gesellschaftliche Vertreterinnen ein Gespräch auf Augenhöhe zu führen.

rbb|24: Nachdem Sie aufgeflogen sind, hat Rolf Schmitz Ihnen am Telefon gesagt: "Ich glaube, Sie bekommen Ärger." Nach Medienberichten hat die Polizei bereits die Ermittlungen aufgenommen. Haben Sie Angst vor den Konsequenzen?

Anja: Die juristische Beratung hat uns gesagt, dass es kein Betrug ist, solange wir keinen finanziellen Nutzen aus dieser Webseite ziehen.

Lara: Ich glaube, wir sind uns alle gewisser Risiken bewusst, die das Ganze mit sich bringt. Aber wir haben auch schon im Peng!-Kollektiv relativ viele Erfahrungen gesammelt mit solchen Aktionen. Wir hatten eine ziemlich gute juristische Beratung. Ich kann nur für mich sprechen, aber mir macht es keine Angst. Und ich bin mir dessen ziemlich bewusst, was wir da gemacht haben.

Vielen Dank für das Gespräch.

Mit Lara und Anja von Peng! sprach Efthymis Angeloudis, rbb|24.

Artikel im mobilen Angebot lesen