rbb24
  1. rbb|24
  2. Wirtschaft
Quelle: rbb/dpa/Alessandro Crinari

Datenauswertung

So geht es den Soloselbständigen in der Corona-Krise

Sie betreiben kleine Cafés, arbeiten in der Veranstaltungsbranche oder sind künstlerisch tätig - die Soloselbständigen. Die Corona-Krise hat viele von ihnen besonders hart getroffen - etliche müssen staatliche Grundsicherung beantragen. Von Götz Gringmuth-Dallmer

Der Frust sitzt tief: Lars Bösel vom Verband der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), fühlt sich von der Politik im Stich gelassen."Wir sind unverschuldet in die Krise geraten und werden behandelt, als hätten wir nicht richtig gewirtschaftet", beschreibt der Coach und Berater aus Berlin die Stimmung der Soloselbständigen. Er ist einer von etwa 200.000 Berlinerinnen und Berlinern sowie knapp 70.000 Menschen in Brandenburg, die zu der Gruppe der Einzelunternehmer (Soloselbständigen) gehören [Stand 2019, Zahlen für 2020 liegen noch nicht vor].

Mehr zum Thema

Corona-Soforthilfe

Berlins milliardenschwerer Rettungsring schwimmt - noch

Als Aufträge und damit das Einkommen wegbrachen, mussten viele Soloselbständige auf ihre Ersparnisse zurückgreifen und oft auch mit Verlust langfristige Altersvorsorgeverträge auflösen. Wenn die irgendwann aufgebraucht waren, blieb vielen nur noch die Möglichkeit, Grundsicherung zu beantragen oder sich Geld bei Freunden oder der Familie zu leihen.

Von April bis November haben nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit in Berlin 10.506 Selbstständige Grundsicherung beantragt. Das waren 8.662 mehr als im Vorjahreszeitraum.

Auch in Brandenburg beantragten deutlich mehr Selbstständige Grundsicherung als im Vorjahreszeitraum. Zwischen April bis November 2020 registrierte die Arbeitsagentur 2.694 Zugänge. Das sind 2.350 mehr als im gleichen Zeitraum im Vorjahr.

Hohe Einkommensverluste

Die Selbstständigen trifft die Corona-Pandemie deutlich härter als abhängig Beschäftigte, wie eine Untersuchung des Deutschen Institus für Wirtschaftsforschung [diw.de] zeigt. Sie arbeiten als Friseurin, Künstler oder betreiben ein kleines Einzelhandelsgeschäft, bekommen kein Kurzarbeitergeld und nur wenige habe Anspruch auf Arbeitslosengeld.

Lag der Einkommensverlust bei abhängig Beschäftigten im Median bei 350 Euro, so hat sich das Einkommen der Soloselbständigen um 1.000 Euro im Monat (im Median) verringert, bei Selbstständigen mit Angestellten sogar bei 1.300 Euro im Monat. Sorge um die eigene wirtschaftliche Situation machen sich nach der Untersuchung des DIW 15 Prozent der Selbst- sowie der Soloselbständigen, aber nur acht Prozent der abhängig Beschäftigten.

Um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzumildern, wird seit Beginn der Pandemie von der Bundesregierung und den Landesregierungen ein Hilfsprogramm nach dem anderen aufgelegt.

Soloselbständige beklagen fehlende Wertschätzung

Kritisiert wurde dabei von den Soloselbständigen, also Selbstständigen, die keine Angestellten beschäftigen, dass sie bei diesen Hilfsprogrammen vergessen oder zuwenig berücksichtigt wurden. Sie haben oftmals geringe Fixkosten, arbeiten vielleicht schon immer im Home-Office, verdienen als Künstlerin auf Bühnen ihr Einkommen oder betreiben einen kleinen Laden oder sind anderweitig als Einzelunternehmerin oder Unternehmer tätig. Mit den so genannten Novemberhilfen sollte das nun anders werden. Die Betroffenen können zum ersten Mal auch Lebenshaltungskosten geltend machen. Bis dahin hat die Politik sie immer auf die Grundsicherung Hartz IV verwiesen. Für viele Soloselbständige geht das in die richtige Richtung, hilft aber allein nicht weiter.

Komplizierte Formulare

Und: Wer nur indirekt betroffen ist, weil er zum Beispiel ais Taxifahrer einfach keine Fahrgäste mehr hat, geht leer aus. Außerdem können Soloselbständige schwer nachweisen, dass sie gebucht worden wären, wenn zum Beispiel Veranstaltungen stattfinden würden.

Lars Bösel sieht in den Hilfsprogrammen weitere Probleme. Sie sind aus seiner Sicht viel zu bürokratisch: "Die Formulare sind so kompliziert, das versteht kaum jemand, es ist zum verzweifeln", beschreibt er die Situation. "Wer einen Fehler gemacht hat, kann keine Berichtigung melden. Dann läuft man Gefahr, kriminalisiert zu werden."

Dazu käme die fehlende Wertschätzung von der Politik für die Selbstständigen. "Wir haben das Gefühl, dass wir gegen Angestellte ausgespielt werden. Die bekommen Kurzarbeitergeld. Wir werden auf die Grundsicherung verwiesen, wenn es nicht reicht. Auch diejenigen Selbstständigen, die freiwillig in gleicher Höhe in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben, erhalten kein Kurzabeitergeld." Auf Anfrage von rbb|24 heißt es von der Bundesagentur für Arbeit dazu, dass Anspruch auf Kurzarbeitergeld nur Arbeitnehmer haben, die ihre versicherungspflichtige Beschäftigung fortsetzen. Ein Soloselbständiger mit freiwilliger Arbeitslosenversicherung falle nicht darunter.

IBB verweist auf Soforthilfe

Laut Investitionsbank Berlin wurden seit Beginn der Pandemie rund 160.000 Soloselbständige gefördert, davon gut 153.000 über das Soforthilfeprogramm II und rund 6.200 über die Überbrückungshilfe. "In Berlin hat die Politik sehr früh entschieden, dass die Soloselbständigen gerade nicht auf die Grundsicherung angewiesen sein sollen", sagt IBB-Chef Jürgen Allerkamp dem rbb.

Die damaligen Hilfen seien allerdings nur für Fixkosten gedacht gewesen, erklärt Lars Bösel - und nicht als Lebenshaltungskosten oder Unternehmerlohn. Das sei erst später kommuniziert worden, mit der Ankündigung von stichprobenartigen Überprüfungen. Viele Soloselbständige, die die Hilfen beantragt und bekommen hatten, hätten sie daraufhin wieder zurückgezahlt. Denn nicht alle hätten hohe Fixkosten, allerdings benötigten alle einen Lohnersatz und eine Unterstützung für den Lebensunterhalt. Insofern habe dieses Soforthilfeprogramm ihr Problem nicht gelöst.

Umsatzrückgänge bis 94 Prozent

Das ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim hat im Frühjahr nach verschiedenen Kriterien untersucht, wie Soloselbständige von der Corona-Krise betroffen sind. In den Bereichen Veranstaltungen, Touristik und Freizeit, Wellness, Friseure und Kosmetik sowie in der Gastronomie und Beherbung mussten die Befragten Umsätzrückgänge zwischen 86 und 94 Prozent verkraften. Neuere Zahlen gibt es noch nicht - die dürften allerdings auch kaum besser aussehen.

Die sogenannten Novemberhilfen der Bundesregierung [bmwi.de] sollen nun auch denen helfen, die bislang nicht vom Staat unterstützt wurden. Doch auch dieses Programm stößt bei Betroffenen auf Kritik. Das Bündnis Alarmstufe Rot [alarmstuferot.org] wirft der Bundesregierung vor, dass bei dem Programm relevante Probleme ungelöst blieben.

Die Grenze von einem Umsatzrückgang von 80 Prozent sei zum Beispiel viel zu hoch, denn auch ein Rückgang 50 oder 60 Prozent könne Klein- und Einzelunternehmer hart treffen. Außerdem würde das Hilfsprogramm nicht berücksichtigen, dass Veranstaltungsdienstleister, Künstler und Kleinunternehmer im vergangenen Jahr oftmals ihr Geld im Ausland verdient und es in Deutschland versteuert haben. Ihren Umsatzausfall könnten sie jedoch nur für in Deutschland erzielte Umsätze geltend machen. Die Jobs im Ausland gibt es in diesem Jahr aber nicht.

Frauen stärker betroffen als Männer

Wie die Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaft [diw.de] auch ergeben hat, sind unter den Selbstständigen die Frauen nochmal stärker betroffen als die Männer. So heißt es in der Studie, dass bei den Selbstständigen die Wahrscheinlichkeit von Einkommensverlusten bei Frauen um 35 Prozent höher sei als bei Männern, da selbstständige Frauen überproportional in Branchen tätig seien, die stärker von der COVID-19-Pandemie betroffen sind - zum Beispiel in Friseurgeschäften oder kleinen Einzelhandelsläden, die im Zuge des Lockdowns geschlossen wurden.

Anders erklärt: Wenn von 100 Männern 50 Einkommensverluste erlitten haben, so sind von 100 Frauen 68 betroffen.

Nicht nachvollziehbares Stückwerk

Alexander Kritikos, Forschungsdirektor beim DIW, hat die Situation der Soloselbständigen untersucht und kritisiert an den Förderprogrammen, dass die indirekt Betroffenen nicht profitierten. Zudem bemängelt er noch einen weiteren Punkt: "Ich finde es nicht wirklich praktikabel, dass es inzwischen sieben Förderinstrumente gibt. Das ist nicht nachvollziehbares Stückwerk", so Kritikos.

Einzelunternehmer Lars Bösel fordert deshalb von der Politik: "Wir brauchen Hilfen, die wir ohne Steuerberater beantragen können. Steuerberater kosten ein paar hundert Euro. Wenn wir die Hilfe dann nicht bekommen, müssen wir die Steuerberater trotzdem bezahlen", so der Einzelunternehmer. Er findet: "Das ist ein Wahnsinn, wenn sie für jede Hilfe ein neues Verfahren haben, drehen die Leute irgendwann durch. Das ist der Grund, warum Leute das oft nicht beantragen".

Beitrag von Götz Gringmuth-Dallmer, mit Informationen von Sebastian Schöbel

Artikel im mobilen Angebot lesen