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Quelle: dpa/Gerald Matzka

Livestream-Kritik | Ausrufezeichen für Solidarität

Didi Hallervorden lädt zum "Lockdown Treff"

Sein Eilantrag auf Einstweilige Verfügung zur Weiterführung des Spielbetriebs ist gescheitert. Jetzt macht Dieter Hallervorden auf seine Weise weiter Theater: mit "Hallervordens Lockdown-Treff" im Livestream. Ute Büsing hat es sich angesehen.

Es ist ein Opening mit Grandezza. Der Hausherr des Berliner Schlosspark Theaters und Betreiber der Comedian-Spielstätte Wühlmäuse betritt mit weißem Rauschebart und Weste seine Bühne im Schlosspark Theater. Dieter Hallervorden hat wie andere Berliner Theaterbetreiber alles getan in Sachen Corona-Regeln und Hygienemaßnahmen, um den Spielbetrieb aufrecht zu erhalten und darf dennoch nicht weitermachen. Mit seinem live gestreamten "Lockdown Treff" will er jetzt ein Ausrufezeichen für Solidarität setzen.

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Hallervordens treues Heer

Also kommen "Zwei wie Bonnie und Clyde" (Susan Sideropoulos, Jan Sosniok ) live auf die Bühne, die eigentlich Mitte April Premiere gehabt hätten und im Lockdown gerade wieder nicht durften. Da sind schon über 1000 Zuschauer virtuell dabei im Livestream des Schlosspark-Theaters, dessen Parkett Dieter Hallervorden früh mit Puppen besetzt hatte, um den Corona-Leerstand zu illustrieren. Welche von "Hamlets Geist" beseelten Rettungsinseln das Theater gerade jetzt bieten könnte, trägt inmitten der Puppen Franziska Troegner vor.

Hallervorden hat ein treues Darstellerheer aus Schlosspark-Theater- und Wühlmäuse-Produktionen für seinen "Treff" um sich geschart. Der ein wenig in Vergessenheit geratene Charakterdarsteller Michael Mendl soll demnächst mit "Rent a Friend" im Schlosspark Theater brillieren. Im Livestream trägt er jetzt Peter Handkes "Publikumsbeschimpfung" eher leise und eindringlich vor.

Künstler brauchen Extrawürste

An die knüpft ein besonderer Gast an, Claus Peymann, früherer Intendant des Berliner Ensembles, vehementer Theaterverteidiger und Uraufführungsregisseur der "Publikumsbeschimpfung". Er betreibt jetzt draußen vor der Theatertür ein kleines nicht wirklich in die Gänge kommendes Pappmaschee-Klapptheater und streitet lautstark für die "Extrawurst", die Künstler wollen und bräuchten, wo andere unter Corona so üppig abgefunden würden.

Claus Peymann bekämpft die "Inhumanität" der Theaterschließungen und Kunstvorführungsverbote, fälschlich dem "Freizeit"-Bereich zugeordnet. Andere Gäste haben es eine Nummer kleiner auf den Brettern der Welt wie der Kabarettist Frank Lüdecke, der an seiner Klampfe zupft. Dann kommt wieder ein kleiner Szenenausschnitt aus "Schmetterlinge sind frei" mit Hausherrsohn Johannes Hallervorden und Helen Barke, einer Produktion, die eigentlich am 2. Januar 2021 Premiere haben soll. Aber wer weiß.

Engagierte Bühnenacts gegen Troll-Kampf im Livechat

Ungeachtet der engagierten Bühnenacts tobt im Livechat ein Troll-Kampf um die Deutungshoheit der Pandemie Covid 19 mit immer irreren Auslassungen. Völlig sinnfrei und später von Komödiant Thorsten Sträter auch entsprechend kommentiert. Es ist, als schlichen sich Leute auf solche Live-Seiten, die nur ihren eigenen Dumm-Shit auf der Agenda haben. Das ist schade, denn durchgängig vorgetragen wird ein ernstes Anliegen: Hört uns an, seht uns zu, wir sind für Euch mit unserer Kunst da! Unterstützt uns!

Aus der Kabarettisten-Liga, die Dieter Hallervorden in den Wühlmäusen an den Start bringt, treten noch Ole Lehmann und Bürger Lars Dietrich auf. Harald Martenstein, Kolumnist beim Tagesspiegel und Buchautor, gibt ein Corona-Test-Schmankerl zum Besten und Schauspieler Dominique Horwitz liest fast todernst etwas von Charlie Chaplin. Der Schluss nach einer guten Stunde "Lockdown Treff" gebührt dann wieder dem Hausherrn. In "Gottes Lebenslauf", einer Produktion, die im September vor dem Corona-Lockdown kurz gespielt werden konnte, läuft der 85ährige zu ganz großer Protestform auf und konstatiert: "Ich überlebe!" Da schauen ihm 1.700 Menschen Online zu, viel mehr als er je zu einer Vorstellung im Schlosspark Theater unterbringen könnte. Die Anmutung ist irgendwie heimelig.

Sendung: Inforadio, 23.11.2020, 6 Uhr

Beitrag von Ute Büsing

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