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Video: rbb|24, 26.08.2019 | Neele Westphal | Quelle: imago images/Rainer Weisflog

CO2-Zertifikatshandel

Weshalb mit der Kohle schneller Schluss sein könnte als gedacht

Die Kosten für CO2-Emissionen steigen, der Gaspreis ist niedrig – dadurch ist die Braunkohleverstromung kaum noch rentabel. Der Kohleausstieg in der Lausitz könnte schon viel früher kommen als erwartet. Von Dominik Wurnig

Noch im Juni 2017 kostete es große Industriebetriebe  und Energieerzeuger nur fünf Euro, eine Tonne Treibhausgase in die Luft zu blasen. Jahrelang dümpelte der Preis für Emissionszertifikate dahin – der sogenannte europäische Zertifikatshandel galt als zahnloser Tiger im Kampf gegen die Klimakrise. Aber dann begannen die Preise zu klettern. Im Februar 2018 kostete ein sogenanntes EUA-Zertifikat an der Energiebörse in Leipzig erstmals 10 Euro, im Sommer 2019 kratzt der Preis bereits an der 30-Euro-Marke.

Spätestens jetzt wird es für viele Unternehmen, die große Mengen Treibhausgase ausstoßen, ungemütlich. Besonders im Energiesektor ist der CO2-Preis inzwischen ein großer Kostenfaktor. Im Lausitzer Braunkohlerevier müssen jetzt die Alarmglocken läuten. "Die alte Braunkohlekraftwerksblöcke bewegen sich momentan in der Todeszone“, sagt Felix Matthes Energieexperte beim Öko-Institut und Mitglied der Kohlekommission zu rbb|24. "Alle Bergsteiger wissen, in der Todeszone muss ich nicht umkommen, aber die Gefahr ist groß."

"Wenn wir den Klimawandel ernst nehmen, werden wir höhere Zertifikatskosten benötigen",  sagt Energiemarktexperte Carlos Perez-Linkenheil vom Beratungsunternehmen Energy Brainpool.  "Für Unternehmen sollten CO2-Vermeidungsmaßnahmen günstiger werden, als weiterhin CO2-intensiv zu produzieren." Doch nicht jede Anlage kann einfach CO2 vermeiden, in einigen Fällen droht wohl die Stilllegung und damit der Verlust von Arbeitsplätzen.

Bei der Umwandlung von Braunkohle in Strom oder Wärme werden riesige Mengen CO2-Äquivalente ausgestoßen. Das Brandenburger Kraftwerk Jänschwalde ist deutschlandweit der drittgrößte Kohlendioxid-Emittent und sein ökologischer Fußbadruck entspricht dem von mehr als zwei Millionen Durchschnittsbürgern.

Treibhausgase als Kostenfaktor

Nimmt man den üblichen Vergleichswert, den sogenannten Dezember-2018-Kontraktpreis, zur Grundlage, muss die Lausitz Energie AG als Ausgleich für die Klimabelastung im Jahr 2018 allein für den Ausstoß von Jänschwalde geschätzt fast 360 Millionen Euro bezahlen. Mit dem hohen Preis Anfang August 2019 gerechnet läge die Summe sogar schon über 600 Millionen Euro. Für alle LEAG Kraftwerke in Brandenburg und Sachsen lägen die geschätzten Kosten für die Emissionen 2018 (es gibt noch keine Zahlen zu den Emissionen 2019) zum jetzigen Preis bei mehr als 1,8 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Laut veröffentlichtem Jahresabschluss der LEAG betrugen die Aufwendungen für CO2-Zertifikate im Jahr 2017 401 Millionen Euro. Damals wurden die Emissionszertifikat allerdings auch noch zu einem Viertel des heutigen Preises gehandelt.

Die Lausitz Energie AG wollte rbb|24-Recherchen auf Anfrage nicht kommentieren.

Die Vattenfall Wärme Berlin AG beziffert ihre CO2-Kosten im Jahr 2018 auf 62 Millionen Euro. Der Handel mit CO2-Zertifikaten erfolgt im Konzern jedoch zentral durch das Schwesterunternehmen Vattenfall Energy Trading. "Da die Zertifikate ein gehandeltes Gut sind, können wir nicht über unsere Beschaffungsstrategie sprechen", sagt Vattenfall-Sprecherin Julia Klausch. Durch sogenanntes Hedging oder andere Strategien am Finanzmarkt könnten die tatsächlichen Kosten deshalb niedriger ausgefallen sein.

Klicken Sie auf die Karte, um die exakten Emissionen jedes einzelnen Betriebs zu erfahren (sollte die interaktive Grafik nicht angezeigt werden, klicken Sie bitte hier):

Markt befeuert Kohleausstieg

"Der CO2-Emissionshandel ist ein politisch gewolltes Element, um von Prozessen mit viel CO2-Ausstoß auf Prozesse mit wenig CO2 Ausstoß zu wechseln", sagt Marcus Ferdinand, Energiemarkt- und Klimaanalyst vom Informationsdienstleister ICIS. "Im Moment findet ein Kohleausstieg über den Markt statt. Es wird erst eine Verdrängung der Steinkohlekraftwerke geben; die Braunkohle läuft länger."

Der Hauptgrund dafür liegt im historisch niedrigen Preis für Erdgas. "Gaskraftwerke sind im Moment im Vergleich zu Kohlekraftwerken extrem rentabel", sagt Ferdinand. Wird Gas verbrannt um Strom oder Wärme zu erzeugen, entstehen nur rund halb so viele schädliche Klimagase wie bei der Verbrennung von Braunkohle. Der sogenannte Fuel Switch in Europa, also der Wechsel zu einem anderen Brennstoff, ist schon im vollen Gange. Vereinfacht gesagt ist damit gemeint, dass die besten Gaskraftwerke bereits rentabler sind als die schlechtesten Kohlekraftwerke und dementsprechend diese ersetzen.

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Gas rentabler als Kohle

Zur Bewertung berechnen Marktinsider dafür die Grenzkosten eines Kraftwerks: In die Formel fließt der Brennstoffpreis je Megawattstunde, der Wirkungsgrad des Kraftwerks, der Zertifikatspreis sowie die Emissionen ein. Bei Zertifikatspreisen über 28 Euro hat ein durchschnittliches Gaskraftwerk bereits niedrigere Grenzkosten als ein Braun- oder Steinkohlekraftwerk und ist damit rentabler.

Da aber nicht einfach ungenutzte Gaskraftwerke in der Gegend herumstehen und weiter Strom aus der Steckdose kommen soll, geht der sogenannte Fuel Switch Schritt für Schritt voran.

Bei Vattenfall in Berlin spielen die Preise für Brennstoff, Strom und CO2-Zertifikate eine maßgebliche Rolle, welches Kraftwerk hochgefahren wird. "Es kann daher sein, dass wir eine Kohleanlage nicht einsetzen, weil es wirtschaftlich günstiger ist, eine mit Gas gefeuerte Anlage zur Wärmeerzeugung zu nutzen“, sagt Vattenfall-Sprecherin Klausch. "Damit sinken automatisch die CO2-Emissionen."

Was bedeutet das für die Lausitzer Braunkohle?

Unmittelbar werden die hohen CO2- und niedrigen Gaspreise wohl keine Auswirkungen auf die Braunkohleverstromung in der Lausitz haben. Denn der Energiemarkt funktioniert in längeren Zeiträumen. "Kraftwerksbetreiber verkaufen in Regel ihren Strom im Vorhinein an der Börse, die Zertifikatspreise werden am Finanzmarkt gehedget“, sagt der Analyst Ferdinand. „Als Betreiber weiß man sehr genau, wie hoch die Produktionskosten für Braunkohle sind. Daher weiß der Betreiber schon jetzt, was er 2022 verdienen kann."

Allerdings droht die Gefahr, dass das Ende der Kohle in der Lausitz früher kommt als gedacht. Dann wären Tausende Arbeitsplätze in Gefahr. „Ältere Braunkohlekraftwerke wie Jänschwalde und Boxberg decken die kurzfristigen Betriebskosten, also Personal- und Reparaturkosten ab“, hat Matthes vom Öko-Institut errechnet. “Aber sie decken nicht mehr die Investitionskosten ab, die alle fünf bis sechs Jahre auch in den Tagebauen fällig sind. Das ist im momentanen Energiemarktumfeld nicht zu finanzieren.“

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Geplanter Kohleausstieg 2038

Der Kompromiss der Kohlekommission sieht eigentlich den schrittweisen Kohleausstieg erst bis 2038 vor. Um diesen Strukturwandel abzufedern und neue Arbeitsplätze zu schaffen, werden Milliarden an Fördergeldern in die Lausitz fließen.

Doch der Markt könnte die Entwicklung beschleunigen. So analysiert Energieexperte Matthes jedenfalls die Situation: „Ein rationaler Betreiber würde ein Braunkohlekraftwerk so lange betreiben bis die nächste Investition ansteht und dann zumachen. Investoren wie die EPH sind Heuschrecken und die haben anderswo auch schon gezeigt, was sie dann machen – zusperren und das über Nacht“, sagt Matthes, der ebenfalls den Kohleausstiegskompromiss miterarbeitet hat.

„Wenn ich einen sehr hohen CO2 Preis und sehr niedrigen Strompreis habe, dann könnte sich auch Braunkohle nicht mehr lohnen“, stimmt Ferdinand zu. „Der Ausstiegspfad der Kohlekommission kann marktgetriebene Brüche nicht vermeiden. Aber der Pfad kann diese Entwicklungen abfedern“, sagt Matthes weiter.

Verhandlungen über Stilllegungen

Während der Energiekonzern Vattenfall für Berlin den Kohleausstieg für 2030 bereits angekündigt hat, hat sich die Lausitz Energie AG noch nicht auf ein Enddatum festgelegt. Doch schon letztes Jahr musste die LEAG den Block F des Kraftwerks Jänschwalde stilllegen, muss diesen aber zur Sicherheit der Stromversorgung bereithalten. Im Herbst 2019 folgt der nächste Kraftwerksblock.

Kurz vor der Landtagswahl am 1. September sollen noch die Strukturhilfen des Bundes für die Lausitz im Rahmen des Kohleausstiegs beschlossen werden. Im nächsten Schritt soll dann verhandelt werden, wann welches Kraftwerk still gelegt wird und vor allem wie hoch die Prämien der Bundesregierung an die Energieunternehmen ausfallen.

„Wenn das weiter so geht und die Zertifikatspreise weiter so steigen, wird der Kohleausstieg rein durch den Markt kommen“, sagt Energiemarktexperte Perez-Linkenheil. „Vielleicht ist die Abschaltprämie für das eine oder andere Kraftwerk gar nicht so schlecht.“

Doch für die Braunkohle und die Arbeitsplätze in der Lausitz hängt vieles davon ab, wie sich die Preise für CO2-Zertifikate weiter entwickeln. Dieser könnte auch fallen, die Analysten von ICIS haben aber eine andere Prognose: Bis Mitte der 2020er Jahre werden die Preise weitersteigen. Der Gipfel wird im Jahr 2024 mit 42 Euro pro Tonne CO2-Äquivalente erreicht sein. Ob sich bei solchen Preisen die Braunkohleverstromung noch rechnet, ist fraglich.

Video: Brandenburg aktuell | 27.08.2019 | Karsten Zummack

Beitrag von Dominik Wurnig

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