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Quelle: Geisler-Fotopress/Robert Schmiegelt

So modern ist der BER

Willkommen im Jahr 2011

Der BER ist fertig. Dass dieser Flughafen geplant wurde, als mobiles Internet Zukunftsmusik war, ist ebenso sichtbar wie erste Gebrauchsspuren. Ein Rundgang durch ein Gebäude, das nicht ganz neu ist und seiner Zeit etwas hinterherhinkt. Von Oliver Noffke

In Schönefeld ist am Samstag ein Flughafen eröffnet worden. Die Betreiber wurden bereits im Vorfeld nicht müde ihn als "neu" zu bezeichnen. Eine originelle Beschreibung für ein Gebäude, das 2004 geplant wurde, 2006 seinen Baubeginn erlebte und nach der bereits verschobenen und dennoch spektakulär verpatzten Eröffnung von 2012 jahrelang saniert werden musste. Einiges war tatsächlich ungekannt, bevor mit dem Bau des BER begonnen wurde. Hauptsächlich handelt es sich dabei um Formen der Realitätsverweigerung bei Verantwortlichen.

Wirklich neu ist am BER kaum etwas. "Bisher ungenutzt" wäre richtiger. Bei seiner Eröffnung wirkt der Flughafen bereits ein wenig aus der Zeit gefallen.

Bitte vorher das Smartphone laden

Ein Rückblick in das Jahr 2004: Im Februar geht erstmals eine Website namens Facebook online, die in Deutschland lange Zeit kaum jemand nutzt; das soziale Netz der Stunde ist stattdessen - "Oh-oh" - ICQ. Im Sommer steht 14 Wochen lang die rumänische Boyband O-Zone mit "Dragostea din tei" auf Platz eins der Charts. Im November bietet Air Berlin zum letzten Mal Raucherflüge an. 2004 ist sehr, sehr lange her.

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Damals verkauft Nokia das 7600. Ein ein faustgroßes, rundquadratisches Gerät, für das man kurioserweise beide Hände braucht, um es zu bedienen. Der damalige Weltmarktführer lädt seine deutschen Kunden damit erstmals per UMTS ins Internet ein. Apps, mit denen man Flugtickets kaufen kann, gibt es nicht. Man hätte sie auch nicht auf dem Bildschirmchen lesbar darstellen können. Mit der 0,3-Megapixelkamera dieses Handys kann man nichts scannen und nur sehr umständlich Selfies machen.

Die Planer des Flughafens hatten nicht vorhersehen können, dass kurze Zeit nach Baubeginn das Smartphone die Welt revolutionieren würde. Wir halten heute das Internet in unseren Händen, was so gut wie jeden Service rund um eine Flugreise verändert hat. Der BER ist nicht darauf vorbereitet, dass sehr viele Menschen gleichzeitig mobile Geräte laden werden wollen. Dass an den Gates kaum Steckdosen vorhanden sind, versucht die Flughafengesellschaft mit wackligen Stehtischen zu kaschieren, aus denen ein paar Ladekabel mit verschiedenen Anschlüssen herausbaumeln. Wer hier abfliegen will, kommt besser mit vollem Akku, hat seine Powerbank dabei oder greift lieber gleich zum Buch.

Wird anderswo schon wieder ersetzt, am BER nachträglich installiert: Self-Check-In-Waagen | Quelle: rbb/Oliver Noffke

Sündhaft teure Lappalien

Wer hinschaut, wird an vielen Ecken Hinweise auf das wahre Alter des BER finden. 2012 galten die Check-In-Inseln am Eingang des Terminal 1 noch als pfiffig. Heute ist offensichtlich: Bei der Planung hielt niemand es für möglich, dass Airlines diesen Service mal an ihre Kunden auslagern. Hier und da wurden nachträglich ein paar Self-Check-In-Geräte platziert, mehr im Weg als wegweisend und absehbar zu wenige. Anderswo werden solche Geräte momentan wieder abgebaut und durch Systeme ersetzt, die automatisch das Gepäck entgegen nehmen.

Geradezu komisch wirkt ein langes, leuchtendes Werbebanner, das die gesamte Halle durchzieht. Senkrechte LED-Streifen mit drei Finger breiten Abständen entsprechen dem technischen Standard – des Jahres 2011. Noch während der September-Testtage flackerte auf einigen Metern die Lichter, während sich die Fußball-Nationalmannschaft auf die EM in Polen und der Ukraine freute. Die kaputtesten Stellen wurden mittlerweile ersetzt. Durch den Mix aus Alt und Neu ist aber umso offensichtlicher, dass ein Gros der LED-Teile aus einer anderen Zeit stammt. Das brandneue Auto, für das Mercedes hier wirbt, wirkt auf dem Banner weniger wie eine sportliche Limousine, als wie ein plattgedrückter Panzer.

Es ist schwer, eine Herrentoilette im Terminal 1 zu finden, die frei von Schrammen ist oder Löchern in den Wänden, wo eigentlich Kleiderhaken sein sollten, und keine offensichtlich überpinselten Stellen hat. Der BER wirkt im Detail bereits gebraucht. Solche Dinge könnten als Lappalien abgetan werden, nur wird dem Steuerzahler dafür eine Rechnung mit neun Nullen hinter der 6 präsentiert.

Branchentrends umsonst hinterhergerannt?

Auch in der Flugbranche hat es in den vergangenen 16 Jahren Entwicklungen gegeben, die nur schwer vorhersehbar waren. Bei Planungsbeginn hatte der A380 noch nicht einmal seinen Jungfernflug absolviert. Bereits vor der Pandemie hatten Airlines Probleme diesen Riesenflieger voll zu bekommen. Momentan wird er überall ausgemustert. Ob irgendwann ein A380 an jenem schicken Gate anlegen wird, das am BER extra für diesen Flugzeugtyp nachträglich unter einem Millionen-Mehraufwand hinzugefügt wurde, ist völlig offen. Wenn es wieder einen Markt für Interkontinentalflüge gibt, wird er sicher von spritsparenderen Modellen dominiert werden. Die Zeit der Jumbos scheint vorbei.

Bei der Eröffnung betonte Flughafenchef Engelbert Lütke Daldrup mehrfach, die Region verfüge nun über einen modernen Flughafen, der den Anforderungen der Zukunft gewachsen sei. In Teilen stimmt das sicher. Der BER ist im Vergleich zu Tegel oder Schönefeld ein kolossaler Sprung nach vorn. Der Bahnhof unter dem Terminal, an dem Regional- und Fernzüge sowie die S-Bahn halten, macht die Anreise sehr bequem und ist mit seinen kurzen Wegen in Deutschland einzigartig. Es ist hierzulande in den vergangenen 20 Jahren aber auch kein anderer Flughafen dieser Größe aus dem Boden gestampft worden. International gehören solche Verkehrskonzepte längst zum Standard.

Wahrscheinlich das Beste, was noch zu retten war

Dass sich dieses 2004 geplante Gebäude einfach an die Anforderungen der Zukunft anpassen lässt, muss bezweifelt werden. Wenn man ein Insel-Terminal in der Nähe des Towers als Erweiterungsmöglichkeit plant, wäre es vorausschauend gewesen, eine unterirdische Verbindung vorzuhalten. Es wäre ein Leichtes gewesen, das zu tun, als der Bahnhof gebaut wurde. Sollte der Flughafen erweitert werden, werden sich die Betreiber, Ingenieure und Passagiere auf zweit- oder drittbeste Lösungen einstellen müssen. Mit Blick auf Tegel und Schönefeld, wo Kapazitätsmängel durch Terminals abgefedert wurden, die an Lagerhallen mit Gepäckbändern erinnern, sind die Erwartungen wirklich niedrig.

Moderne Flughäfen sind heutzutage oft eine Art luxuriöses Shopping-Center, aus dem man in den Urlaub fliegen kann. Dass die FBB mit Ladenmieten die enormen Kreditschulden tilgen wird, scheint jedoch unwahrscheinlich. Der sogenannte Marktplatz im Kern des Gebäudes ist recht übersichtlich geraten - und offensichtlich immer noch nicht fertig.

Wäre der Baubeginn dieses Flughafens vor fünf Jahren gewesen, er würde heute anders aussehen. Lütke Daldrup hatte keine Möglichkeiten, die strukturellen Defizite bei der Sanierung auszubügeln. Er hat diese Probleme übernommen und das wahrscheinlich Beste aus einem verkorksten Bau gemacht.

Mit neun Jahren Verspätung ist der BER eröffnet worden. Seine ursprüngliche Planung wurde von diversen technischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen überholt. Man sieht es ihm an. Diesen Flughafen als "neu" zu beschreiben, fällt schwer.

Beitrag von Oliver Noffke

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