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Audio: rbb|24 | 12.06.2018 | Statement Gernot Liedtke | Quelle: Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt

Interview | Verkehrsforscher Gernot Liedtke

"Eine Maut ist immer noch ein bisschen fairer als eine Sperrung"

Seit acht Jahren muss Berlin den Grenzwert für Stickstoffdioxid einhalten - bis heute wird dieser an vielen Orten überschritten. Fahrbeschränkungen würden schnell helfen, meint Verkehrsforscher Gernot Liedtke  - sie haben aber auch ihre Tücken.

rbb|24: Mal angenommen, Sie wären von heute an persönlich zuständig für gute Luft in Berlin. Sie sind verantwortlich dafür, dass die Grenzwerte für Stickstoffdioxid eingehalten werden. Was würden Sie machen?

Gernot Liedtke: Ich muss ja abwägen: Einerseits müssen die Grenzwerte an den Messstellen eingehalten werden. Anderseits sind da die Interessen der Fahrzeugbesitzer, die sich ihre Autos vielleicht erst vor zwei Jahren erst angeschafft haben und diese vorzeitig abstoßen müssten oder nicht mehr in bestimmte Straßen fahren dürften.

Wenn ich mich für Durchfahrverbote auf einzelnen Straßen entscheiden würde, würde das Problem möglicherweise auf andere Straßen abgewälzt. Bei einer Zonenmaut würde ich einen sehr großen Kreis von Betroffenen schaffen. Also müsste ich viele Ausnahmegenehmigungen erteilen, so dass diese Maßnahme wiederum nicht wirkungsvoll wäre.

Die Eingriffsmöglichkeiten, die mir kurzfristig zur Verfügung stehen, helfen nicht richtig weiter. Am liebsten hätte ich ein Instrument, mit dem in bestimmten Städten bei bestimmten Anwohnern bestimmte Fahrzeuge zeitnah mit Abgasnachbehandlung ausgestattet werden könnten - also eine Art dosiertes Technologie-Upgrade für jüngere Diesel, die betroffen sind. Ich bin davon überzeugt, dass dann an den meisten Messstellen die Grenzwerte eingehalten werden könnten. Das Problem ist nur: Für eine Hardware-Nachrüstung ist nicht die Stadtverwaltung Berlin zuständig, das müsste eine Bundesmaßnahme sein.

Tempo-30-Versuch

Exklusive Daten | #abgasalarm Leipziger Straße

Luftbelastung durch Tempo 30 nur minimal gesunken

    

Da sieht es aber zurzeit so aus, als ob erst mal nichts passiert. Wie bekommt man die Belastung schnell unter den Grenzwert, ohne auf Hardware-Nachrüstungen zu hoffen?

Mit einer selektiven Straßensperrung für ältere Diesel-Fahrzeuge kann man an einer betroffenen Straße den Grenzwert sehr schnell einhalten. Dies kann aber auch dazu führen, dass beispielsweise in Nebenstraßen die Grenzwerte überschritten werden und sich die Situation am Ende verschlechtert.

Die andere Möglichkeit wäre ein großflächiges Sperren von Innenstadtbereichen für ältere Diesel. Weil Berlin eine sehr flächenhafte Stadt ist, müsste das den gesamten Bereich innerhalb des S-Bahn-Rings betreffen.

Zur Person

Gernot Liedtke leitet seit September 2014 die Abteilung Wirtschaftsverkehr am DLR-Institut für Verkehrsforschung und das gleichlautende Fachgebiet am Institut für Land-und Seeverkehr der Technischen Universität Berlin. Zudem befasst er sich bei der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen mit Wirtschaftsverkehren.

Und eine Maut?

Eine Maut wäre sozusagen eine softe Streckensperrung. Es würde nicht die Durchfahrt für alle Fahrzeuge verboten, sondern sie wäre für diejenigen erlaubt, die eine Gebühr bezahlen. Dann könnten immerhin Fahrzeuge mit unvermeidlichen Transportaufgaben doch noch die Innenstadt erreichen. Aber es brächte doch den einen oder anderen dazu, auf den öffentlichen Nahverkehr auszuweichen - oder den Einkauf in der Stadt am Samstag einfach bleiben zu lassen.

Eine Maut ist ein Instrument, das weniger Nebenwirkungen hat und dennoch geeignet ist, bei entsprechender Ausgestaltung die Grenzwerte zeitnah zu erreichen.

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Interview | #abgasalarm auf Leipziger Straße

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Durch Tempo 30 sind die Stickstoffdioxid-Werte an der Leipziger Straße kaum gesunken - das zeigen Messungen von rbb|24 und Technischer Universität. TU-Experte Wolfgang Frenzel könnte sich vorstellen, dass am Ende des Experiments doch Fahrverbote stehen.

Kann eine Maut nicht auch unfair sein? Nach dem Motto: Wer Geld hat, bekommt mehr Freiheiten - wer weniger hat, kann sich die Fahrt in die Stadt nicht mehr leisten?

Dieses Argument stimmt in gewissem Sinne. Eine Maut dürfte die reicheren Bevölkerungsschichten weniger schmerzen als die ärmeren. Aber ich mache auch mal ein Gegenbeispiel: Angenommen, Sie haben nicht so viel Geld, sich einen älteren Diesel gekauft und müssen diesen jetzt mit Verlust verkaufen und sich ein neues Fahrzeug kaufen, das vielleicht auch noch mehr verbraucht. Ist das nicht auch unfair?

Ein Instrument, das Effizienz und Fairness perfekt in Einklang bringt, wird es nicht geben. Ich sag es mal so: Die Maut ist dann immer noch ein bisschen fairer als eine drastische Sperrung, die dann einige massiv trifft.

Quelle: dpa/Daniel Bockwoldt

Sollte es Ausnahmen von Fahrverboten geben? Und für wen?

Welche Gruppen gibt es? Zuerst mal die Bewohner von Berlin selbst - die meisten Autos in der Stadt haben Berliner Kennzeichen. Wenn ich eine Ausnahme für Bewohner mache, werde ich es vermutlich nicht schaffen, alle Grenzwerte einzuhalten. Das gilt zumindest bei einer Sonderzonen-Maut.

Die Pendler nach Berlin könnten alternativ auch mit Bahn oder S-Bahn fahren, viele machen das heute schon. Und es gibt Park&Ride. Da wäre es schwierig, eine Ausnahme zu begründen.

Als Nächstes gibt es den Wirtschaftsverkehr: Handwerker, Abschleppdienste, andere Dienstleister, die oftmals mit Transportern unterwegs sind. Es ist leider so, dass die Dienstleistungsbetriebe oftmals auch ältere Fahrzeuge besitzen. Ich persönlich würde ihnen keine Ausnahme erteilen - aber man muss sich bewusst sein, dass es dann zu einer Verschlechterung der Versorgung mit Dienstleistungen kommen könnte.

Dann sind da noch Lieferfahrzeuge, beispielsweise von Paketdiensten, die inzwischen große Strecken mit Diesel-Fahrzeugen in der Innenstadt zurücklegen. Da besteht kein Grund eine Ausnahme zu machen, denn dahinter stehen meistens Konzerne oder von ihnen abhängige Fahrer. Und: Warum sollten die nicht auf Elektromobilität umrüsten? Die Voraussetzungen sind prädestiniert.

Aber Sie sehen schon: Für große Gruppen müssten Ausnahmen gemacht werden - und wir reden jetzt noch nicht von Bussen, Feuerwehr und Polizei. Am Schluss wird klar, dass Sie praktisch für die Hälfte aller Dieselfahrzeuge kurzfristig Ausnahmen erteilen sollten - und dann wiederum ist das Einhalten bestimmter Grenzwerte stark gefährdet.

Wie sieht es mit der technischen Umsetzung aus? Bei Straßensperrungen ist es ziemlich klar - aber wie könnte man eine Maut technisch umsetzen?

Es gibt schon Beispiele für Mautsysteme, beispielsweise in London, Singapur oder Stockholm. Das funktioniert so, dass an bestimmten Eingangsstraßen zu einer Mautzone Kontrollstationen stehen. Dort melden sich Fahrzeuge an - per Nummernschild oder Funksignal. Und von einem vorab angelegten Mautkonto wird dann automatisch ein bestimmter Geldbetrag abgebucht.

Das hieße, wenn ich nach Berlin reinfahren wollte, dürfte ich nur noch eine bestimmte Straße benutzen?

Nach Berlin rein könnte man dann nur über Straßen fahren, an denen eine Kontrollstation steht.

Und wenn ich das nicht tue, bin ich illegal unterwegs und kann belangt werden?

Genau, an Schleichwegen müsste man dann Fahrverbotsschilder aufstellen oder draufschreiben [lacht]: "Sie kommen jetzt in eine bemautete Zone. Sie dürfen nur rein unter den und den Bedingungen." Man kann ja auch Kontrollen innerhalb der Zone durchführen, ob ein Verkehrsteilnehmer sein Fahrzeug für den bestimmten Tag freigeschaltet hat. Auf jeden Fall müsste man gewisse Schlupfwege schließen. Das ist in Berlin etwas schwieriger als beispielsweise in Stockholm. Diese Stadt liegt auf einer Art Insel - da gibt es nur wenige Zufahrten. Mittelfristig sollte man aber auf eine kilometerabhängige Maut setzen.

Falls es in Berlin zu Fahrverboten oder -beschränkungen kommt: Müsste Berlin dann an anderer Stelle nacharbeiten?

Eine Maut kann nur eine Komponente sein, um eine Stadt und ihr Verkehrssystem zu transformieren. Das beginnt schon mit der Frage, wem man die Flächen widmet: Fußgängern? Radfahrern? Gibt es ein Parkraum-Managementsystem, das ja auch lenkend wirkt? Letztendlich müsste man den öffentlichen Nahverkehr verstärkt ausbauen. Da ist in Berlin  durchaus noch Luft nach oben. Die Qualität des S-Bahn-Fuhrparks ist suboptimal, bestimmte Verbindungen sind eher schlecht bedient. Es fehlen beispielsweise schnelle Transit-S-Bahnen durch die Stadt. Da haben viele andere Metropolen in Europa ein leistungsfähigeres Nahverkehrsnetz. Oder im Westen, wo die Straßenbahn abgebaut wurde: Hier steht man mit dem Bus am Ende doch im Stau - wie die Pkw.

Aber wir müssen auch aufpassen: Im Moment wird viel über Stickstoffdioxid diskutiert. Aber es ist ja nicht so, dass das Stickstoffdioxid das große Problem für alle Zeiten im Verkehr war und bleiben wird. Es gibt auch die Unfallproblematik, es gibt die Lärmproblematik. Und: Nicht nur der Personennahverkehr gehört ausgebaut - genauso müssen auch Lösungen für den Lieferverkehr gefunden werden. Jedes dritte Fahrzeug in der Stadt gehört zum Wirtschaftsverkehr - die können nicht so einfach auf den öffentlichen Nahverkehr ausweichen. Da muss das System an sich verbessert werden.

Kurzfristiges Trouble-shooting bringt uns nicht weiter. Es hilft nichts: Alle Politikebenen sind gefordert, an einem Strang zu ziehen. Die Bundesebene muss Druck auf die Industrie machen, und die lokale Ebene muss verstärkt langfristige Strategien entwickeln und verfolgen.

Das Interview führte Friederike Steinberg, rbb|24.

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