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Vollstreckung wegen Steuerschulden

Warum eine Berliner Ladenbetreiberin in der Corona-Krise ohne Geld dasteht

Mietschulden sind in der Corona-Krise erst einmal im Wartestand. Bei Steuerforderungen sieht es anders aus - die werden nämlich weiter vollstreckt. Das zeigt das Beispiel einer Berliner Ladenbetreiberin. Von René Althammer

Agnes Mahler* (Name von der Redaktion geändert) ist derzeit in der Welt der Berliner Finanzämter und Steuerberater etwas Besonderes: Vergangenes Wochenende hat ein Berliner Finanzamt eine Vollstreckungsmaßnahme gegen sie durchgezogen, mitten in der Corona-Krise.

Seit gut drei Jahrzehnten betreibt sie einen Laden in Berlin. Der Januar läuft immer schlecht, der Februar nie wirklich besser. Und ja, sie war mit der Umsatzsteuer in Verzug, die am 10. Februar fällig wurde. Nach vier Wochen kam eine Mahnung und wenig später schlug Corona zu. Es sei einfach kein Geld mehr da gewesen, sagt sie, und natürlich wolle sie die Steuern bezahlen, das sei völlig richtig und normal, aber dieses Mal hätte sie sich entscheiden müssen: Steuern oder Lebensunterhalt.

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Vierköpfige Familie ohne Geld

Vergangenes Wochenende hat das Finanzamt ihr die Entscheidung dann abgenommen. Davon erfahren hat Agnes Mahler jedoch erst an der Kasse eines Supermarktes: als sie mit Karte bezahlen wollte – und die Karte streikte. All ihre Konten sind jetzt eingefroren, sie hat keinen Zugriff mehr, kann nichts abheben oder überweisen.

Bei Alleinunternehmerinnen wie Agnes Mahler macht das Finanzamt keinen Unterschied zwischen Privat- und Geschäftskonto. Jetzt steht die Familie ohne Geld da. Zwei Söhne, die noch zum Haushalt gehören, und ihr Mann, der im Geschäft mitarbeitet. 

Senatsverwaltung pocht auf Liquidität

Vollstrecken trotz Corona? Von der Senatsverwaltung heißt es auf Nachfrage: "Fortlaufende Einnahmen sind wichtig, um die Liquidität sicherzustellen und die Funktionsfähigkeit des Gemeinwesens zu erhalten. Diese staatlichen Mittel werden auch denjenigen zur Verfügung gestellt, die von der Corona-Pandemie besonders betroffen sind. Aus diesem Grund ist das Erhebungs- und Vollstreckungsverfahren der Berliner Finanzämter nicht generell eingestellt." Allerdings können von der Corona-Pandemie Betroffene Anträge auf Stundung und Herabsetzung von Steuervorauszahlungen beantragen und so eine mögliche Vollstreckung verhindern.

In anderen Lebensbereichen sind Vollstreckungen indes derzeit ausgesetzt. Wer Mietschulden hat oder seine Gas- oder Stromrechnung nicht bezahlt hat, dem gewähren die Amtsgerichte und die Gerichtsvollzieher derzeit Aufschub, wie die Justizverwaltung in dieser Woche mitteilte.

Für Agnes Mahler kommen die Stundungsregelungen der Finanzämter sowieso zu spät - vollstreckt ist vollstreckt. Und mit einem Mitarbeiter des Finanzamts direkt ins Gespräch zu kommen ist alles andere als einfach. Viele Mitarbeiter sind im Home-Office. rbb24 Recherche hat es versucht, mehrfach: In Schöneberg meldet sich der Telefonservice nach knapp fünf Minuten, in Kreuzberg heißt es auch nach neun Minuten noch: "Im Moment sind alle Sachbearbeiter im Gespräch." 

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Sparkasse: Nur Anträge ab 100.000 Euro

Kein Einzelfall, wie die Senatsfinanzverwaltung auf Anfrage von rbb24 Recherche einräumt: "Die Anrufzahlen und die damit einhergehende Auslastung der Telefonnetze sind deutlich gestiegen. Somit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Erreichbarkeit in Einzelfällen nicht sofort gewährleistet war und ist."

Auch Agnes Mahlers Steuerberater kommt derzeit nicht weiter. Aber nach einem Telefonat mit der IHK erfährt sie: Es gibt ja noch die Hilfsprogramme der Bundesregierung, vermittelt über die Hausbanken. Auch das hat Agnes Mahler versucht und sich an die Sparkasse, ihre Hausbank, gewandt: ein paar Tausend Euro, um die Steuern zu bezahlen und das Überleben zu sichern, solange der Laden geschlossen bleiben muss. Unbürokratisch und schnell solle es gehen, heißt es doch allerorten. 

Doch die Ernüchterung kommt schnell. Die Hausbank reagierte zwar umgehend, teilte ihr aber mit, dass wegen des Ansturms derzeit nur Anträge über mehr als 100.000 Euro weitergeleitet würden. Die Sparkasse antwortet auf Nachfrage: "Das Gebot der Stunde ist es, unseren betroffenen Kunden schnell und einfach zu helfen. Bereits am Freitag vergangener Woche hat die Berliner Sparkasse – als erstes Institut in Berlin – beschlossen, ihre betroffenen Firmenkunden durch eine schnelle und einfache Maßnahme auf der Liquiditätsseite zu unterstützen. Zusätzlich zu den Programmen von Bund und Land haben wir betroffenen Unternehmen, Selbständigen, Frei- und Heilberuflern kurzfristig angeboten, die Tilgung laufender Firmenkredite für bis zu sechs Monate auszusetzen. Von einer Unterscheidung großer und kleiner Kunden kann insofern keine Rede sein. Bislang haben rund 800 unserer Kunden von der Maßnahme Gebrauch gemacht."

Finanzämter sind handlungsfähig

Agnes Mahler jammert nicht, aber ihr Fall macht in Berlin die Runde. Auch Carsten Butenschön, Präsident des Steuerberaterverbands Berlin-Brandenburg, kennt ihn. Das habe durchaus für Verstimmung gesorgt, sagt Butenschön, sei aber eine Ausnahme. Die Finanzämter würden derzeit unter Hochdruck arbeiten, Anträge zur Stundung oder Anpassung von Vorauszahlungen über die Online-Steuer-Software Elster würden schnell beschieden. Für Unternehmer ist das eine wichtige Nachricht, die Finanzämter sind handlungsfähig. Und wenn es doch Probleme gibt: Butenschön telefoniert regelmäßig mit der für Steuern zuständigen Abteilungsleiterin im Finanzsenat.

Vielleicht findet sich ja auch für Agnes Mahler kurzfristig eine Lösung - inzwischen laufen die Hilfsprogramme an, die auch ihr helfen können.

Beitrag von René Althammer, rbb24 Recherche

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