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Quelle: imago images/Annette Zoepf

Berliner Bildungsverwaltung

Quereinsteiger unzufrieden mit Zickzack-Kurs bei "K.o.-Prüfung"

Von der Corona-Krise sind pädagogische Quereinsteiger in Berlin doppelt getroffen: als Lehrer und als Lernende. Im aktuellen Jahrgang liegen die Nerven blank. Denn die Verwaltung besteht auf eine entscheidende Klausur, die alle für abgesagt hielten. Von Oliver Noffke

Dem Programm für pädagogische Quereinsteiger an Berliner Grundschulen droht möglicherweise ein Desaster, weil die zuständige Senatsbildungsverwaltung auf eine Klausur besteht, die sie eigentlich bereits abgesagt hatte. So sehen das jedenfalls die angehenden Pädagogen.

"Manche haben große Sorge", sagt Christian Jessen, einer der Gruppensprecher im betroffenen Jahrgang. Wer Kinder hat, habe sich nicht ausreichend vorbereiten können. "Einige haben in der Schule, in der sie arbeiten, noch mehr Verantwortung bekommen."

Etwa 300 Quereinsteiger für die notorisch unterbesetzten Grundschulen der Stadt sollen Anfang Juni in Höherer Mathematik getestet werden. Diesen Leistungsnachweis zu bestehen ist Voraussetzung, um später als Lehrkraft arbeiten zu können. Wird das Fach auch bei Nachholterminen nicht bestanden, endet der Ausbildungsvertrag innerhalb von 14 Tagen. Alle bis dahin erbrachten Leistungen können nirgendwo angerechnet werden. Der Druck auf die Quereinsteiger ist also enorm.

Drei Mitteilungen, keine klare Linie

Anfang April wurde den Quereinsteigern von der Senatsverwaltung mitgeteilt, dass aufgrund der Corona-Krise nicht absehbar sei, wie der Rest ihres Ausbildungsjahres weiter durchgeführt werden könne. Mit Blick auf die damals bevorstehenden Osterferien wurden zwei Szenarien entworfen: Wäre nach den Ferien der Schulalltag wieder normal angelaufen, hätte sich nichts geändert; bei weiteren Einschränkungen ist "davon auszugehen, dass für Leistungsnachweise relevante Präsentationen oder Klausuren, weder gehalten noch geschrieben werden können". Diese Mitteilung kam am 8. April.

Neun Tage später, am 17. April, erhielten die Quereinsteiger eine weitere Nachricht. Es stehe nun fest, dass weiterhin kein Präsenzunterricht durchgeführt werden könne. "Es greift demnach das […] angekündigte Szenario 2." Das Studienzentrum bleibe voraussichtlich bis zum 3. Mai geschlossen; das weitere Vorgehen werde beraten.

Weitere elf Tage später, am 28. April, rudert die Senatsbildungsverwaltung zurück. "Der Leistungsnachweis wird als Präsenzklausur unter geänderten Bedingungen stattfinden." Diese Entscheidung sei bereits eine Woche zuvor getroffen worden.

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Bildungsverwaltung will Prüfung gar nicht abgesagt haben

"Wir dachten, das richtet sich nach den Universitäten, die ja auch ihre Präsenzveranstaltungen eingestellt haben", sagt Gruppensprecher Jessen. Nun sollen die Prüfungstermine um eine Woche verschoben stattfinden. Die Zahl der Aufgaben wurde reduziert; der Prüfungsstoff allerdings nicht eingegrenzt. Das heißt: Zwar sind die Prüfungen kürzer, der Aufwand beim Lernen bleibt für die angehenden neuen Lehrkräfte aber exakt gleich. Eine "Pseudo-Lösung", finden Quereinsteiger, mit denen rbb|24 gesprochen hat.

Warum dies so entschieden wurde, beantwortete die Senatsbildungsverwaltung auf Anfrage nicht. Im Haus von Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) ist man stattdessen der Meinung, dass die Klausur gar nicht abgesagt wurde. Pressesprecher Martin Klesmann teilt auf Anfrage mit: "Hier wird etwas in den Text interpretiert, was so dort nicht steht." Das Anfang April entworfene "Szenario 2" habe lediglich für die Zeit gegolten, innerhalb der kein Präsenzunterricht möglich gewesen sei. "In diesem Zeitraum – also vom 20.04. bos 03.05. - [können] zuvor terminierte Klausuren/Leistungsnachweise nicht geschrieben werden."

Dass wieder geprüft wird, sobald der Präsenzunterricht wieder stattfinden kann, geht allerdings weder aus dem Schreiben vom 4. noch aus dem vom 17. April hervor. Man kann die gewählten Worte zwar so interpretieren, dass dies nicht ausgeschlossen wird. Dass diese Möglichkeit überhaupt besteht, wird von der Senatsbildungsverwaltung so konkret jedoch nicht formuliert. "Die Formulierung lässt aber offensichtlich einen Interpretationsspielraum zu, der nicht intendiert war", gesteht Klesmann ein.

Quereinsteiger sind doppelt von der Corona-Krise betroffen

Bei der Lehrergewerkschaft GEW stößt das Verhalten der Senatsbildungsverwaltung auf Unverständnis: "Wir kritisieren die Entscheidung an sich, jetzt diese Prüfung stattfinden zu lassen, als auch die Art und Weise, wie das kommuniziert wurde", sagt GEW-Sprecher Markus Hanisch. "Das Schicksal trifft die Quereinsteigerinnen und Quereinsteiger ja gerade sowohl als Pädagogen, weil sie unter erschwerten Bedingungen unterrichten müssen", sagt er. "Gleichzeitig sind sie auch als Lernende betroffen. So wie wir das gerade bei vielen anderen Schülerinnen und Schülern sehen."

Die GEW hat unter den Betroffenen eine Umfrage durchgeführt. 172 Lehrkräfte im Quereinstieg haben sich beteiligt. Davon hätten 85 Prozent angeben während der Corona-Krise zusätzliche Aufgaben übernommen zu haben; 70 Prozent hätten Kollegen vertreten, die zu einer Risikogruppe gehören; 89 Prozent fühlten sich wegen ausgefallener Veranstaltungen schlecht vorbereitet. Die Gewerkschaft hält die Prüfung für verzichtbar, da die Quereinsteiger bereits mehrere Leistungsnachweise in dem Fach erbracht haben. Mit Blick auf die aktuellen Einschränkungen in der Corona-Zeit fragt Sprecher Hanisch: "Ist diese Prüfung denn unbedingt notwendig, nachdem sie ja eigentlich schon abgesagt wurde?"

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"Ob als Klausur oder anders" - aber wie?

Zudem gibt es grundsätzliche Kritik am Fach. "Die Detailtiefe der Fachmathematik geht bei Weitem über den Bedarf im Grundschulalltag hinaus", sagt der angehende Pädagoge Jessen. "Ich wünsche mir stattdessen, mehr darüber zu lernen, wie Kinder für die Mathematik motiviert werden können oder mögliche Rechenschwächen erkannt werden können." Mit welchen Methoden man Kinder unterstützen könnte, die Probleme haben, werde ebenfalls nicht vermittelt, sagt er.

Schon allein aus gesundheitlichen Gründen solle auf die Klausur verzichtet werden, fordern die Quereinsteiger. Schließlich würden Menschen zusammen in geschlossene Räume gebeten, die an unterschiedlichen Schulen in der ganzen Stadt tätig sind. "Wir haben noch keine Informationen erhalten, wie mit Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Risikogruppe verfahren wird", sagt Jessen.

"Sicherlich ist auch für alle Quereinsteigenden grundsätzlich logisch, dass der Leistungsstand geprüft werden muss", so Senatssprecher Klesmann, "ob als Klausur oder anders".

Es gebe unter den Quereinsteigern eine große Bereitschaft zu einer alternativen Leistung, sagt Gruppensprecher Jessen. "Wir haben Vorschläge gemacht für Alternativen", sagt er. Die Verwaltung habe jedoch keinen Bereitschaft gezeigt, darüber zu sprechen. "Als dann doch diese Klausurankündigung kam, waren viele schon sehr geschockt."

Beitrag von Oliver Noffke

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