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Audio: rbb | 04.05.2020 | Anna Corves | Quelle: rbb/A.Corves

Schulen öffnen für weitere Klassen

"Wenn die Siebt- und Achtklässler kommen, wird's sehr eng"

Bisher sind nur Abiturienten und Zehntklässler wieder zur Schule gegangen, am Montag kommen weitere Jahrgänge dazu. Wegen der Abstandsregeln gibt es Unterricht in Kleingruppen. Das bringt die Schulen an ihre Grenzen - räumlich und personell. Von Anna Corves

Vor dem Gebäude der Gustav-Freytag-Schule in Reinickendorf sind alle zwei Meter Striche auf den Boden gemalt. In diesem Abstand müssen die Schüler vor der Integrierten Sekundarschule warten. Einzeln werden sie eingelassen, sollen dann ihre Hände desinfizieren und ohne Umwege in ihren Unterrichtsraum marschieren. Lehrer passen auf, ob das klappt.

Und das tut es, sagt Schulleiter Hendrik Nitsch, auch Vorstand des Interessenverband Berliner Schulleitungen: "Ich bin positiv überrascht, wie diszipliniert sich unsere Schüler verhalten", sagt er. Die Gänge sind leer, nur ein Schüler ist in der Ferne zu sehen, er trägt eine Maske - die ist empfohlen, aber nicht Pflicht. "Mit den Hygienemaßnahmen läuft es bei uns an der Schule gut", sagt Nitsch.

Schulöffnung ab 4. Mai

In Berlin fangen alle Abschlussklassen am Montag wieder mit dem Unterricht an. Das betrifft die Jahrgangsstufen 6 sowie die 9. und 12. Klassen an Integrierten Sekundarschulen und Gemeinschaftsschulen. Auch die Elftklässler an Gymnasien werden wieder vor Ort unterrichtet. In Brandenburg kehren eine Woche nach den Zehntklässlern am Montag die Schüler der 6. und 9. Klassen zum Präsenzunterricht zurück. Das betrifft auch die Elftklässler der Gymnasien und die Zwölftklässler der Gesamtschulen.

Bisland acht Schüler mit reichlich Abstand im Klassenraum

In einem Klassenzimmer findet gerade Englischunterricht statt: Acht Jugendliche sitzen mit reichlich Abstand im Raum verteilt. Eigentlich gehören 27 Schüler zu ihrer 10. Klasse. Aber um die Abstandsregelungen einzuhalten, wurden sie in drei Kleingruppen aufgeteilt. Wie auch die drei weiteren 10. Klassen der Gustav-Freytag-Schule. Daher bindet allein schon die Beschulung der Zehntklässler zwölf Räume.

Ab Montag sollen die Sekundarschulen auch die Neuntklässler beschulen. Für Direktor Nitsch heißt das: Wieder vier Klassen, aufgeteilt in zwölf Kleingruppen. Insgesamt sind dann also schon 24 Räume belegt. Und die Schule wird - wie so viele - gerade saniert, nicht alle Räume stehen zur Verfügung, es wird schon behelfsweise in Containern im Hof unterrichtet.

Hygienemaßnahmen

In Brandenburg werden die Schüler der weiterführenden Schulen jeweils nur tageweise unterrichtet, um den erforderlichen Abstand einhalten zu können. Berlin hat dafür eigens einen "Musterhygieneplan" ausgearbeitet. Darin sind mehrere Punkte festgeschrieben: So ist auf dem Pausenhof und im Klassenzimmer ein Mindestabstand von 1,50 Meter einzuhalten, wer Symptome einer Atemwegserkrankung hat, muss zu Hause bleiben.  

"Wenn die Siebt- und Achtklässler kommen, wird’s sehr eng"

Die Neuntklässler bekommen sie noch unter, sagt Nitsch. "Aber wenn danach noch die Siebt- und Achtklässler kommen, dann wird’s sehr eng." Und auch sie sollen noch vor den Sommerferien Präsenzunterricht bekommen.

Berlins Schulsenatorin Sandra Scheeres, SPD, hat sich dafür ausgesprochen, dabei Schüler zu priorisieren, die besonders schwer zu Hause lernen können, weil sie Lerndefizite haben, technisch nicht ausreichend ausgestattet sind oder sehr beengt wohnen. Davon hält Schulleiter Nitsch wenig: "Das würde zu Stigmatisierungen führen." Und es sei auch nicht unbedingt gerechter, in Corona-Zeiten gerieten viele Familien in Notlagen.

Er findet es besser, den Unterricht jahrgangsweise auszuweiten. Aber wie die Schulen Woche für Woche neue Jahrgänge hinzunehmen sollen, ist ihm und auch vielen Kollegen aus dem Interessenverband Berliner Schulleitungen schleierhaft. "Das ist so nicht umsetzbar."

Jede Klasse entspricht momentan drei Kleingruppen

Nitsch rechnet vor: Schon jetzt, nur für die Zehntklässler, haben seine Lehrer im Drei-Schicht-System gearbeitet. Denn viele von ihnen betreuen mehrere 10. Klassen – und jede Klasse entspricht momentan ja drei Kleingruppen. Zudem wurden bisher lediglich Mathe, Deutsch und Englisch unterrichtet. Nun kommen drei Fächer hinzu. Außerdem stehen die Präsentationsprüfungen für den Mittleren Schulabschluss MSA an. Die wurden nicht abgesagt und absorbieren viel Personal.

Quelle: Anna Corves

Die tagesweise Ausweitung auf anderen Jahrgänge soll tageweise erfolgen. "Das ist eine wahnsinnig schwierige Aufgabe, einen Plan zu basteln, mit dem möglichst viele Schüler in möglichst vielen Fächern von einer begrenzten Zahl Lehrer beschult werden." Es klingt nach Tetris für Fortgeschrittene. Fragt man Nitsch, wie er diese Aufgabe lösen will, guckt er recht ratlos. Man könnte am Tag mehr Schichten fahren. Eine weitere Lösung formuliert Nitsch sehr vorsichtig: "Wochenendunterricht?" Er ahnt, was die Lehrer dazu sagen würden, die seien schon durch den Schichtdienst zusätzlich belastet. Er hebt die Schultern: "Ich habe mir abgewöhnt, längerfristig zu planen. Ich arbeite nur noch für eine Woche vor."

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"Wir brauchen Antworten von der Politik"

Ralf Treptow findet, dass so viele offene Fragen kein Dauerzustand sein können. Er kritisiert, dass es von der Bildungspolitik keine klare Zielvorgabe gibt.

Treptow leitet das Rosa-Luxemburg-Gymnasium in Pankow und ist Vorstandvorsitzender der Vereinigung der Oberstudiendirektoren des Landes Berlin (VOB). In den Gymnasien und Sekundarschulen mit gymnasialer Oberstufe ist die Lage zusätzlich angespannt, da sie schon seit zwei Wochen Abiturprüfungen abnehmen. Ebenfalls in Kleingruppen, weswegen sich die Prüfungen über Wochen ziehen und viel Personal binden.

Für 145 Abiturienten und 150 Zehntklässler hat das Rosa-Luxemburg-Gymnasium bisher wieder die Tore geöffnet. Auch hier zeigt sich das Bild von Desinfektionsmittel am Eingang, leeren Gängen und verwaisten Schulhöfen. Nun kommen die 11. Klässler dazu, außerdem beginnen auch hier die MSA-Präsentationprüfungen.

Ab dem 11. Mai will Treptow auch die Stufen fünf bis neun ein erstes Mal ins Haus holen, tageweise und in Kleingruppen. Mit komplizierten Sonderplänen funktioniere das irgendwie bis zu den Sommerferien, meint er. "Aber fürs nächste Schuljahr benötigen wir Antworten von der Politik."

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40 Prozent der Unterrichtszeit verpasst

Bisher laute deren Lösungsformel, weiter Präsenz- und Onlineunterricht zu kombinieren. "Eine reine Sprechblase", nennt Treptow das. "Wie genau soll das denn aussehen? Wenn der Präsenzunterricht ausgeweitet wird: Wer unterrichtet dann online?" Den Präsenzunterricht für die Schüler zu Hause live zu streamen, dafür reiche die technische Ausstattung der Schulen nicht.

Er macht sich Sorgen um seine Schüler, insbesondere um die Elftklässler, die im nächsten Jahr Abiturprüfungen haben. Sie hätten immens viel Stoff verpasst. "Im Durchschnitt entfallen in allen Bundesländern 40 Prozent der Unterrichtszeit des Schuljahres, Homeschooling kompensiert das nicht." Und es sei ja völlig unklar, in welchem Umfang Unterricht nach den Sommerferien möglich ist. Solange es keinen Impfstoff gegen Corona gibt. Das könne man bildungspolitisch aber nicht einfach abwarten, "auf Sicht fahren". Es brauche jetzt eine klare Entscheidung.

Treptow plädiert dafür, das laufende Schuljahr zu verlängern

Schulleiter Treptow hätte da auch eine Idee: Er plädiert dafür, das laufende Schuljahr zu verlängern, zum Beispiel bis zum 31. Januar 2021. "Dann könnte man es schaffen, alle Lernstoffe zu vermitteln." Je nachdem, wie sich die Corona-Pandemie und die technische Ausstattung der Schulen entwickele, könnte man auch weitere Schuljahre strecken. Eine Konsequenz dieses Konzepts wäre, dass alle aktuellen Schulkinder in Deutschland insgesamt ein halbes bis ein Jahr länger in Schule gehen als geplant. "Das kostet natürlich auch Geld. Aber das muss es uns wert sein."

Dieses Konzept will er als Vorstandsvorsitzender des VOB diese Woche der Senatsbildungsverwaltung vorschlagen und es im Dachverband des VOB, der Bundesdirektorenkonferenz der Gymnasien, einbringen. Sollte letztere sich hinter Treptows Vorschlag stellen, könnte sie ihn in der Kultusministerkonferenz einbringen – so dass er dann auf nationaler Ebene ins Spiel käme.

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