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Quelle: dpa/Weber

Steigende Zahl an Corona-Infektionen

Drohen erneut flächendeckende Schul- und Kita-Schließungen?

Die Corona-Zahlen nehmen deutlich zu, strengere Maßnahmen werden bereits wieder diskutiert. Dabei steigt auch bei vielen Eltern die Sorge, dass Schulen und Kitas erneut flächendeckend geschlossen werden könnten.

35 einzelne Klassen oder Lerngruppen in Berlin befanden sich am vergangenen Dienstag in Quarantäne, komplett geschlossen war jedoch keine Schule, wie die "Tageschau" berichtet. Bisher hat sich auch keine der 692 Schulen als Ort für Superspreader erwiesen. Das gilt auch für Brandenburg, wo sechs von 900 Schulen geschlossen waren.

Gleichzeitig verzeichnete Berlin allerdings mit 199 neu Infizierten am Dienstag den stärksten Tagesanstieg bei Neuinfektionen mit Sars-CoV-2 seit dem 3. April. In der Hauptstadt führt man einen Großteil des deutlich angestiegenen Infektionsgeschehens zwar auf Reiserückkehrer und Ansteckungen im privaten Bereich zurück, trotzdem schüren die steigenden Infektionszahlen die Sorge vieler Eltern, dass Schulen und Kitas noch einmal flächendeckend geschlossen werden könnten. Informationen über ein Wann und Wie gibt es jedoch nicht.

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Hygienebeirat hat Stufenplan erstellt

Auf rbb|24-Anfrage, ob es einen Plan für umfassende Schulschließungen gebe, hieß es von der Senatsbildungsverwaltung, man habe für Berlin "gerade einen detaillierten Stufenplan für den Herbst und Winter erarbeitet". Dieser werde derzeit noch mit den Beschäftigtenvertretungen "final abgestimmt", sagte der Sprecher der Senatsverwaltung für Bildung, Martin Klesmann, rbb|24 am Donnerstag. Er äußerte sich auf Anfrage nicht näher dazu, ob es darin Schwellenwerte für Berlin gibt, die die flächendeckende Schließung der Schulen vorsehen.

Den Berliner Hygienebeirat, der den Stufenplan erarbeitet hat, gibt es seit August. Mehrere Facharbeitsgruppen, bestehend aus Wissenschaftlern und Experten, hieß es zur Gründung des Beirats, würden verschiedene Szenarien erhalten, wenn die Infektionszahlen "in unterschiedlicher Form" ansteigen. Dieser Stufenplan solle dann auch Aufschluss darüber geben, ab welchen Infektionszahlen in Schulen welche Maßnahmen nötig seien.

Einschränkungen beträfen "erfahrungsgemäß zunächst die sogenannten Hotspots bzw. Orte, wo es verstärkt zur Verbreitung des Virus kommt", konkretisierte Senatssprecherin Iris Brennberger auch hinsichtlich des Kita-Bereichs. "Das trifft auf Kitas bisher nicht zu." Damit dies so bleibe, so Brennberger weiter, würden die Hygienemaßnahmen "laufend mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen abgeglichen und gegebenenfalls angepasst".

Auch der Sprecher der Bildungsverwaltung, Klesmann, betonte: "Das Infektionsgeschehen findet nach unseren bisherigen Erfahrungen nicht in den Schulen statt. Dort gab es nach unseren derzeitigen Erkenntnissen im laufenden Schuljahr bisher keine Übertragungen."

Bundesbildungsministerin will keine Maßnahme ausschließen

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek hatte in der vergangenen Woche eine Maskenpflicht im Schulunterricht nicht ausgeschlossen, sollte es im Herbst deutlich höhere Infektionszahlen geben. "Wir müssen das Infektionsgeschehen an den Schulen genau beobachten", sagte sie. Um den Präsenzunterricht im Fall besorgniserregender Infektionszahlen zu gewährleisten, solle keine Maßnahme ausgeschlossen werden.

Auch Regierungssprecher Steffen Seibert hatte nach dem Schulgipfel mit Bundeskanzlerin Merkel und den Kulturministern in dieser Woche gesagt, "Bund und Länder sind gemeinsam entschlossen, eine erneute flächendeckende Schließung der Schulen nach Möglichkeit zu verhindern“. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek fand noch deutlichere Worte. Eine weitere flächendeckende Schulschließung komme "nicht infrage". Das sei, so Karliczek, ihrer Meinung nach aber auch "überhaupt nicht nötig." Doch auch im Frühjahr hatte sich unter anderem Karliczek gegen flächendeckende Schulschließungen ausgesprochen – die kurz darauf dennoch kamen [tagesschau.de].

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Virologe sieht unbeschränkte Schulöffnungen kritisch

Offene Schulen scheinen also vorerst weitgehend beschlossene Sache. Doch Virologe Christian Drosten sieht angesichts seiner Einschätzung, dass die Corona-Pandemie "erst jetzt richtig losgehen" wird, die geöffneten Schulen durchaus kritisch. "Wir werden Probleme kriegen mit der unbeschränkten Schulöffnung, wie sie inzwischen stattgefunden hat", sagte er im "Tagesspiegel". Und mit dieser Position steht Drosten nicht allein da. Fehlende Präventionsmaßnahmen könnten im kühlen Herbst und Winter in kurzer Zeit zu einem Anstieg an Corona-Ausbrüchen führen, die erneute Schulschließungen erzwingen, warnte die Deutsche Gesellschaft für Virologie bereits im August.

Im Frühjahr waren die Schulen in ganz Deutschland wochenlang geschlossen. Zeitweise fand deshalb nur Online-Unterricht statt. Bis zu den Sommerferien gab es ab Mai oder Juni meist nur eingeschränkten Betrieb.

Schüler in Brandenburg während der Corona-Pandemie: mit Abstand im Klassenraum | Quelle: rbb|24 / Schneider

Experten beleuchten Schließungen kritisch

Experten beleuchten die Schulschließungen, zu denen es in den meisten europäischen Ländern im Frühjahr gekommen war, inzwischen kritisch. Ob die Schließungen überhaupt eine wirksame Maßnahme zur Bekämpfung des Coronavirus gewesen seien, war am Mittwoch auch Thema einer internationalen Konferenz, die von der European Society of Clinical Microbiology and Infectious Diseases (ESCMID) und vom ECDC veranstaltet wurde. Nur vier Prozent der in den europäischen Ländern registrierten Fälle von Covid-19 betrafen demnach Kinder bis 18 Jahren.

Man müsse bei der Ergreifung von Maßnahmen auch berücksichtigen, dass sich Schulschließungen sehr negativ auf Kinder auswirken könnten. Es gäbe Berichte, wonach Kinder und Jugendliche einem hohen Risiko für Depressionen und Angstzuständen ausgesetzt, wenn sie von der Schule und ihren Freunden isoliert sind, sagte Chiara Reno von der Universität Bologna in Italien.

Auch der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht eine Schließung von Schulen wegen der Corona-Pandemie als "letztes Mittel" an. Auf dieses Instrument sollte man lediglich an Orten mit hohen Übertragungsraten zurückgreifen, riet Tedros Adhanom Ghebreyesus bei einem Auftritt mit den Direktorinnen des Kinderhilfswerks Unicef und der UN-Kultur- und Bildungsorganisation Unesco Mitte September.

Sendung: Inforadio, 22.09.2020, 14 Uhr

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