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Quelle: rbb/Carolin Haentjes

#träumweiter - Radikale Visionen auf dem Prüfstand

Aarons Traum: Alle erben alles

Noch nie wurde in Deutschland so viel vererbt wie im Moment: Schätzungsweise 400 Milliarden Euro jährlich. Das meiste davon innerhalb eines kleinen Teils der Bevölkerung. Ist das gerecht? Oder sollte man Erbschaften einfach ganz abschaffen?

"Es geht nicht darum, jemandem seine Zahnbürste oder seinen Laptop wegzunehmen.“ Aaron Bruckmiller verschränkt die Arme vor der Brust. "Es geht darum, dass zwei Drittel des Vermögens in Deutschland von zehn Prozent der Bevölkerung gehortet werden. Und diese so genannten Leistungsträger übergeben ihr Geld unversteuert an ihre Kinder. Das ist ungerecht. Ich fordere 100 Prozent Erbschaftssteuer.“

Aaron Bruckmiller (26) im Interview auf der Admiralsbrücke | Quelle: rbb/ Carolin Haentjes

 Der 26-jährige Aktivist, der sich unter anderem bei der DGB-Jugend und der "Interventionistischen Linken" engagiert, lehnt an der Balustrade der Admiralsbrücke in Berlin-Kreuzberg. An den Ufern des Landwehrkanals sonnt sich die urbane Schickeria. Alle paar Minuten werden die Sonnenanbeter nach leeren Pfandflaschen oder ein paar Cent für eine warme Mahlzeit gefragt.

So sieht es aus in Deutschland im Jahr 2017: Die Wirtschaft wächst, die Arbeitslosigkeit ist auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten. Allein durch seine Arbeit wird in Deutschland aber kaum jemand reich. Laut einer Erhebung der EZB aus dem letzten Jahr sind die Netto-Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt wie nirgendwo sonst im Euro-Raum. Ob man reich ist oder arm bleibt, hängt in erster Linie davon ab, in welche Familie man geboren wurde. Und was es in dieser Familie zu erben gibt.

In Deutschland ist es sehr schwer, von Arbeit reich zu werden

Diese Ungleichheit in Deutschland liegt unter anderem an der unausgewogenen Besteuerung von Löhnen und Vermögen auf der einen – beziehungsweise Erbschaften auf der anderen Seite. 6,8 Milliarden Euro verdiente der Staat im letzten Jahr mit der Erbschafts- und Schenkungssteuer. Übertragen werden jährlich rund 400 Milliarden. Das legt eine aktuelle Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) nah. Das sind gut 70 Milliarden Euro mehr als der gesamte Umfang des Bundeshaushalts für 2017.

Das passt nicht zu einem Land, das sich als Leistungsgesellschaft versteht, meint Markus Grabka. Er forscht am DIW zu Einkommens- und Vermögensverteilung. "Es geht dabei ja um leistungsloses Vermögen. Der Erbe hat dazu selbst nichts beigetragen. Diese Person hatte schlicht Glück in der Geburtslotterie und ist in eine wohlhabende Familie hineingeboren worden."

Was wäre, wenn wir mit einer Erbschaftssteuer radikal umverteilen?

Würde die Erbschaftssteuer auf 100 Prozent steigen, stünden diese 400 Milliarden Euro der öffentlichen Hand zur Verfügung. Was man damit anfangen könnte? Zum Beispiel eine Gesellschaft schaffen, in der alle die gleichen Voraussetzungen haben, in der sich alle auf Grundlage ihrer Talente und Interessen entfalten können.

Ein Ansatz für eine Umverteilung könnte eine "Sozialerbschaft" sein, wie sie von Soziologen wie Claus Offe vor einigen Jahren ins Gespräch gebracht wurde. Mit ihr bekämen alle Staatsbürger einen Betrag  in Höhe von 60.000 Euro zum 18. Geburtstag geschenkt. Das Geld könnte jeder frei nach Wunsch einsetzen – um ein Unternehmen zu gründen, eine Ausbildung im Ausland zu finanzieren oder den künstlerischen Ambitionen nachzugehen, ohne Mama und Papa um Hilfe bitten zu müssen.

Das Geld könnte auch der Gemeinschaft zur Verfügung gestellt werden. Es könnte investiert werden in kleinere Schulklassen und Musikunterricht für alle, in den Ausbau nachhaltiger Landwirtschaft, in Forschung, medizinische Versorgung oder vernünftiges Breitbandinternet. Aaron Bruckmüller würde als erstes die Toiletten in den Berliner Schulen in einen zumutbaren Zustand bringen.

Wie könnte eine Reform des Erbrechts aussehen?

Der Rignano-Plan

Es gibt viele Möglichkeiten, das Erbrecht anders zu gestalten. Vom Italiener Eugenio Rignano (1870-1930) stammt der Vorschlag, bei der Besteuerung des Erbes in drei Schritten vorzugehen. In der ersten Generation werden 30 Prozent Steuern auf ein Erbe erhoben. In der zweiten Generation dann 60 Prozent. Und wenn das Vermögen in der dritten Generation angelangt ist, geht es komplett an den Staat. So wird das direkt Erbe, zum Beispiel von Eltern an die Kinder, wenig eingeschränkt. Gleichzeitig wird aber die Akkumulation von Vermögen verhindert.

Spenden attraktiv machen

Auch ein Blick auf andere Länder lohnt sich: In den USA wird geerbtes Vermögen sehr viel höher besteuert als in Deutschland. Das hat vor allem ideologische Gründe: Ein großes Erbe passt nicht zur Idee des American Dream, allein durch harte Arbeit vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden. Vor allem wohlhabende Amerikaner lehnen den Gedanken ab, ihre Kinder mit einem großen Erbe zu verwöhnen. Bis in die Achtziger wurden in den USA Nachlässe deshalb sogar mit bis zu 77 Prozent –heute liegt der Satz bei 40 Prozent – besteuert. Zu dieser Zeit war es außerdem für Erblasser sehr attraktiv, an gemeinnützige Stiftungen zu vererben. Denn sein Vermögen zu spenden war steuerfrei. Nach Steuerreformen ist das heute nicht mehr so, aber trotzdem hat das Spenden eines großen Erbes immer noch einen guten Ruf. 

Die Flat-Tax

Politiker wie Cem Özdemir (Grüne) oder Christian von Stetten (CDU) fordern eine Flat-Tax für Deutschland. Das heißt einen einheitlichen Steuersatz – unabhängig von der Größe des Erbes. Zwar wäre das eine Vereinfachung des Steuersystems, doch vor allem mittelständische Erblasser müssten dadurch mehr Steuern zahlen als jetzt. Große Unternehmen kämen hingegen vielleicht sogar billiger weg. Eine Flat-Tax würde also ein Ringen um einen möglichst hohen, aber trotzdem für alle tragbaren Steuersatz bedeuten.

Unternehmerverbände hätten lieber gar keine Erbschaftssteuer

"Wir vertreten die Position: Die Erbschaftssteuer muss abgeschafft werden!“, widerspricht Eberhard Vogt, Sprecher des Bundesverbands mittelständischer Unternehmen. Denn ein guter Teil des deutschen Reichtums steckt in Betriebsvermögen. Unternehmen kämen in Schwierigkeiten und Arbeitsplätze würden gefährdet, wenn für das bereits versteuerte Geld Erbschaftssteuer bezahlt werden müsste, so Vogt. Die Unternehmensnachfolge zu regeln sei häufig schon kompliziert genug. "Oft müssen Angehörige ausgezahlt werden. Mit zusätzlichen Steuern kann die Liquidität gefährdet werden.“

Wenn es also schon eine Erbschaftssteuer gibt, dann bitte weiterhin mit großzügigen Ausnahmen. Darauf pochten die Unternehmerverbände auch im letzten Jahr, als über eine Reform der Erbschaftssteuer diskutiert wurde. Firmenerben würden steuerlich zu sehr geschont, hatte das Verfassungsgericht angemahnt.

Mit den beschlossenen Änderungen ist allerdings kaum etwas anders geworden: Kleine und mittelständische Betriebe können sehr einfach von den Steuern befreit werden. Nur für familiengeführte Unternehmensgiganten – etwa VW, BMW oder Bosch – gelten leicht verschärfte Regeln bei der Unternehmensbewertung. Luxusgegenstände wie Yachten, Oldtimer oder Gemälde müssen häufiger besteuert werden. Für Firmenerben ist es aber immer noch sehr einfach, eine Überprüfung ihres Privatvermögens zu vermeiden.

 

Auch Reiche sehen, dass Deutschland gespalten ist

Dass die Spaltung zwischen ganz oben und ganz unten in den letzten Jahren dramatisch wächst, fällt inzwischen auch immer mehr Vermögenden auf. Derzeit wächst die Zahl der Stiftungen in Deutschland um mehrere Hundert jedes Jahr. In Zusammenschlüssen wie der "Bewegungsstiftung" investieren Wohlhabende einen Teil ihrer Mittel in soziale und politische Projekte. Als Mitglieder der "Generation der Erben“ wollen sie Teile ihres Vermögens einsetzen, um "(…) gesellschaftlichen Wandel aktiv zu gestalten", schreiben sie auf ihrer Homepage.

Einer dieser Vermögenden ist Florian Weise.  Der 29-jährige Millionenerbe beschreibt den familiären Druck, der auf ihm gelastet habe, weil er als männlicher Erstgeborener das Haupterbe der Familie antreten und damit die Dynastie fortführen sollte. "Als so ein Königskind erzogen zu werden, macht einen größenwahnsinnig“, sagt er. Dass er nie arbeiten musste, stellte ihn immer wieder vor die Frage, was er überhaupt anfangen sollte mit seinem Leben. Inzwischen arbeitet Weise bei der Obdachlosenhilfe. Und wird mit seiner Arbeit doch selten ernst genommen – er müsste ja nicht aufstehen am Morgen. Er hat ja geerbt.

Florian Weise (29) setzt sein Millionenerbe für politische und soziale Zwecke ein | Quelle: rbb/ Carolin Haentjes

Wir brauchen ein neues Verständnis von Hinterlassenschaft

Weise findet, es sei an der Zeit, den Begriff des Erbens zu überdenken. Das Patriarchale, die Vorstellung von Familienbesitz und die Fixierung auf Blutsbande im deutschen Erbrecht – durch Pflichtteilsregeln und Freibeträge – empfindet er als nicht zeitgemäß. "Erben heißt für mich, dass man etwas erschafft, mit dem man seinen Nächsten einen Teil der Lebenslast nehmen kann.

Wer Erbe ist, sollte jeder selbst entscheiden können. Das müssen nicht die leiblichen Kinder sein.“ Eine Erhöhung der Erbschaftssteuer könnte er sich gut vorstellen. Aber 100 Prozent wären maßlos, sagt er: "Dass man seine Liebe auch in materiellen Gegenständen ausdrücken will, finde ich menschlich.“

Eine hundertprozentige Erbschaftssteuer sei sowieso utopisch, erklärt DIW-Forscher Grabka. Sie würde gegen das Grundgesetz verstoßen, das Familie, Eigentum und Erbe unter besonderen Schutz stellt. Aktivist Aaron Bruckmiller würde erwidern: Auch das Grundgesetz ist nicht in Stein gemeißelt. Und 80 Prozent Erbschaftssteuer, die täten es für ihn erstmal auch. "Ich glaube nicht, dass das alle Weltprobleme löst. Aber es wäre ein Anfang.“

Das sagen die Parteien

CDU/CSU

Die CDU lehne jede "Verschlechterung" der Erbschaftssteuer ab, teilte sie auf rbb|24 Anfrage mit: "Die Erbschaftssteuer wurde 2016 in einem breiten Konsens zwischen Bund und Ländern neu geregelt. Planbarkeit und Verlässlichkeit sind vor allem für die Familienbetriebe sowie den Mittelstand besonders wichtig, um die Fortführung der Unternehmen zu garantieren und Arbeitsplätze zu sichern." - CDU-Berlin

SPD

Die SPD fordert in ihrem Wahlprogramm eine gerechtere Erbschaftssteuer mit weniger Ausnahmen. So will sie der sozialen Ungleichheit etwas entgegensetzen. Sehr große Erbschaften sollen stärker belastet werden. Das sei in der Koalition mit der Union nicht durchsetzbar gewesen. Unsere Anfrage zu 100% Erbschaftssteuer hat die Partei nicht beantwortet.

FDP

Konstantin Kuhle, Bundesvorsitzender der Jungen Liberalen sagt: "Der Komplexität des Themas wird eine 100%-Erbschaftssteuer nicht gerecht. Mir ist wichtig, dass wir nicht die kleinen und mittleren Betriebe schädigen, die unsere Volkswirtschaft stark machen."  Dass die Vermögen in Deutschland so ungleich verteilt sind, ist aber auch aus Perspektive der Freien Demokraten ein Problem: "Dieses löst man aber nicht indem man den vermeintlich Reichen etwas wegnimmt und so eine Umverteilung von oben nach unten betreibt, sondern indem man allen Menschen am Anfang ihres Lebens durch eine gute und für alle Schichten zugängliche Bildung die Möglichkeit gibt alles zu erreichen."

Bündnis 90/Die Grünen

Die Grünen lehnen die Position klar ab, wollen aber eine Vermögenssteuer für Superreiche: "Wir sind für ein gerechtes Steuersystem, das dafür sorgt, dass alle nach ihrer Leistungsfähigkeit zu einer intakten und funktionierenden Gesellschaft beitragen." Das aktuelle Erbschaftssteuermodell erachten sie als zu kompliziert und nicht gerecht. Persönliche Freibeträge, wie z.B. für selbstgenutzte Eigenheime sollen mit den Grünen bestehen bleiben.

Die Linke

Die Bundes-Linke sagt: "Reichtum wird vererbt – meist ohne dass nennenswerte Steuern bezahlt werden. Gerade die Superreichen können ihre Millionenvermögen in Unternehmensanteilen steuerfrei vererben oder verschenken."  Die Linke setzt deshalb auf eine Erhöhung der Erbschaftssteuer auf große Erbschaften, selbstgenutze Eigenheime sollen befreit sein. Außerdem sollen Steuerschlupflöcher geschlossen werden.

AfD

Zur Forderung 100% Erbschaftssteuer, sagt die AfD-Berlin: "Leute, die sich so etwas ausdenken, sollten sich schämen." Sie fordert nicht mehr, sondern weniger Besteuerung: "Weniger Steuern und Verbote würden bedeuten, dass mehr Leute zu Reichtum kommen oder ihr erwirtschaftetes Einkommen auch selbst nutzen dürfen. Wenn der Staat nicht will, dass die Reichen immer reicher werden, dann sollte er einfach aufhören immer mehr Geld von unten nach oben umzuverteilen. Zum Beispiel durch Bankenrettungen, Zwangsfinanzierung von Ökostromanlagen oder Subventionen für E-Autos."

(AfD-Berlin)

#träumweiter ist ein Projekt des 11. Jahrgangs der Volontäre der electronic media school (ems) in Zusammenarbeit mit rbb|24

Beitrag von Clara Ehrmann und Carolin Haentjes

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