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Audio: Antenne Brandenburg | 25.03.2021 | Larissa Mass | Quelle: dpa/Robert Michael

Jüdische Gemeinde Brandenburg

Kritik an Kinderschuh-Protest wegen Holocaust-Symbolik

Eine Initiative in Brandenburg stellt Kinderschuhe auf, um damit gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Die jüdische Gemeinde Brandenburg ruft zum Widerstand auf: Die Aktion bediene sich der Symbolik des Holocaust. Von Larissa Mass

Bundesweit wird aktuell in sozialen Medien dazu aufgerufen, Kinderschuhe vor öffentlichen Einrichtungen wie Rathäuser und Landratsämter zu stellen. Am Dienstag platzierten etwa Protestierende in Schwedt (Landkreis Uckermark) auf den Treppenstufen der Uckermärkischen Bühnen Kinderschuhe.

Damit solle laut dem Veranstalter "Eltern stehen auf e.V" gegen die Corona-Verordnungen in Schulen und Kindereinrichtungen demonstriert werden [www.facebook.com].

Die Initiative fordert auf Info-Flyern und ihrer Webseite [www.elternstehenauf.de] unter anderem Präsenzunterricht ohne Distanz- und Maskenpflicht, und möchte Kinder vor Test- und Impfzwang befreien.

Scharfe Kritik von der jüdischen Gemeinde

Die jüdische Gemeinde in Brandenburg warnt jedoch vor dieser Aktion, hier werde Symbolik aus dem Holocaust missbraucht. Gemeinsam mit dem Bund der Antifaschisten Uckermark-Barnim möchte die Gemeinde gegen die Aktion vorgehen.

Diana Sandler, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde im Barnim, sagte gegenüber dem rbb: "Wir protestieren auf das Schärfste gegen diese widerliche Aktion, die die hunderttausendfachen Morde an jüdischen Kindern symbolisch mit den Corona-bedingten Beschränkungen für unsere Kinder gleichsetzt und somit ein weiteres Mal in unzulässiger Art und Weise die Verbrechen des deutschen Hitler-Faschismus relativiert". Sie sehe in der Aktion auch eine Vorlage insbesondere für antisemitische Parteien und Holocaustleugner, die diese Aktion "mit Inbrunst unterstützen". Sandler verweist auf Facebook, wo dies nachzulesen sei.

"Genauso geschmacklos wie der Judenstern für Impfgegner"

Sandler betont, dass in den faschistischen Konzentrationslagern hunderttausende jüdische Kinder ermordet wurden. Gut erhaltene Kinderschuhe und Bekleidung wurden nach Deutschland für deutsche Kinder geschickt. Die SS machte ein Geschäft daraus. Nach der Befreiung der Konzentrationslager fand man Berge von Kinderschuhen, die nicht mehr verschickt werden konnten [www.ndr.de]. "Dieses Gleichnis ist genauso geschmacklos und antisemitisch wie der Judenstern für die Impfgegner", so Sandler weiter. Das verordnete Tragen des Judensterns war ein Todesurteil für sechs Millionen Menschen.

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Gideon Botsch, Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus (EJGF) in Potsdam, sagt auf Anfrage des rbb, dass die Corona-Maßnahmen häufig mit Diktatur und Verfolgung in Nationalsozialismus gleichgesetzt würden. Das sei für die jüdische Gemeinde verletzend. Kinderschuhe auszustellen bezeichnet er als "Zynismus". Weiterhin sei es nicht selten, dass auf Querdenker-Demos auch klare antisemitische Aussagen fielen und sich auch Corona-Verschwörungstheorien gegen Juden richteten.

Correctiv: gezielte Desinformationskampagnen

Der Verein "Eltern stehen auf e.V." wurde laut Information der eigenen Webseite im vergangenen Juli gegründet und ist auf verschiedenen sozialen Plattformen aktiv. Bei dem Messenger-Dienst Telegram teilen sie sich in verschiedene öffentliche Ortsgruppen. In der Ortsgruppe für Ostbrandenburg wurden auch Fotos der Kinderschuh-Aktion in Schwedt gepostet.

Auf der Vereins-webseite sind auch Vorlagen von Flyern zu finden, die die Mitglieder auf Protestaktionen verteilen sollen. Diese richten sich mit Fehlinformationen zum Teil an Kinder: Sie vermitteln in den Flyern zum Beispiel eine Gesundheitsgefahr durch Masken, erklären, dass Kinder die Testpflicht verweigern sollen, und suggerieren auch mögliche DNA-Speicherungen durch die Corona-Tests. Bei Flyern gegen die Impfkampagne wird angefügt, dass Impfen ein Eingriff in das menschliche Genom sei.

Das Recherchekollektiv "Correctiv" hat den Verein genauer untersucht und erkennt gezielte Desinformationskampagnen und stellt eine Nähe zur Querdenker-Szene fest [www.correctiv.org].

Leid der Kinder vorgeschoben

Der Rechtsextremismus-Experte Gideon Botsch macht darauf aufmerksam, dass bei den Protestaktionen auch unterschieden werde, wer diese initiiert und wer mitläuft. Oft sei es eine diffuse Mischung an Menschen, die sich dabei zusammenfindet. Für seine Kinder auf die Straßen zu gehen, da diese unter den Maßnahmen litten, sie legitim. Doch häufig werde das Leid der Kinder auch vorgeschoben. "Es muss nicht antisemitisch gemeint sein, um in der Wirkung antisemitisch empfunden zu werden", so Botsch.

Bei der jüdischen Gemeinde in Brandenburg hinterlässt die Kinderschuh-Aktion Wut. Sie fordert Verwaltungen dazu auf, in Zukunft ausgelegte Kinderschuhe sofort zu räumen und gemeinnützig zu spenden.

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.03.2021, 14:40 Uhr

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Beitrag von Larissa Mass

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