Jüdische Gemeinde Brandenburg - Kritik an Kinderschuh-Protest wegen Holocaust-Symbolik

Do 25.03.21 | 12:53 Uhr | Von Larissa Mass
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Symbolbild: Zahlreiche Schuhe und Plakate mit Losungen gegen die Schulschließungen sind vor dem Eingang eines Rathauses in Sachsen zu sehen (Bild: dpa/Robert Michael)
Audio: Antenne Brandenburg | 25.03.2021 | Larissa Mass | Bild: dpa/Robert Michael

Eine Initiative in Brandenburg stellt Kinderschuhe auf, um damit gegen die Corona-Maßnahmen zu protestieren. Die jüdische Gemeinde Brandenburg ruft zum Widerstand auf: Die Aktion bediene sich der Symbolik des Holocaust. Von Larissa Mass

Bundesweit wird aktuell in sozialen Medien dazu aufgerufen, Kinderschuhe vor öffentlichen Einrichtungen wie Rathäuser und Landratsämter zu stellen. Am Dienstag platzierten etwa Protestierende in Schwedt (Landkreis Uckermark) auf den Treppenstufen der Uckermärkischen Bühnen Kinderschuhe.

Damit solle laut dem Veranstalter "Eltern stehen auf e.V" gegen die Corona-Verordnungen in Schulen und Kindereinrichtungen demonstriert werden [www.facebook.com].

Die Initiative fordert auf Info-Flyern und ihrer Webseite [www.elternstehenauf.de] unter anderem Präsenzunterricht ohne Distanz- und Maskenpflicht, und möchte Kinder vor Test- und Impfzwang befreien.

Scharfe Kritik von der jüdischen Gemeinde

Die jüdische Gemeinde in Brandenburg warnt jedoch vor dieser Aktion, hier werde Symbolik aus dem Holocaust missbraucht. Gemeinsam mit dem Bund der Antifaschisten Uckermark-Barnim möchte die Gemeinde gegen die Aktion vorgehen.

Diana Sandler, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde im Barnim, sagte gegenüber dem rbb: "Wir protestieren auf das Schärfste gegen diese widerliche Aktion, die die hunderttausendfachen Morde an jüdischen Kindern symbolisch mit den Corona-bedingten Beschränkungen für unsere Kinder gleichsetzt und somit ein weiteres Mal in unzulässiger Art und Weise die Verbrechen des deutschen Hitler-Faschismus relativiert". Sie sehe in der Aktion auch eine Vorlage insbesondere für antisemitische Parteien und Holocaustleugner, die diese Aktion "mit Inbrunst unterstützen". Sandler verweist auf Facebook, wo dies nachzulesen sei.

"Genauso geschmacklos wie der Judenstern für Impfgegner"

Sandler betont, dass in den faschistischen Konzentrationslagern hunderttausende jüdische Kinder ermordet wurden. Gut erhaltene Kinderschuhe und Bekleidung wurden nach Deutschland für deutsche Kinder geschickt. Die SS machte ein Geschäft daraus. Nach der Befreiung der Konzentrationslager fand man Berge von Kinderschuhen, die nicht mehr verschickt werden konnten [www.ndr.de]. "Dieses Gleichnis ist genauso geschmacklos und antisemitisch wie der Judenstern für die Impfgegner", so Sandler weiter. Das verordnete Tragen des Judensterns war ein Todesurteil für sechs Millionen Menschen.

Gideon Botsch, Leiter der Emil Julius Gumbel Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus (EJGF) in Potsdam, sagt auf Anfrage des rbb, dass die Corona-Maßnahmen häufig mit Diktatur und Verfolgung in Nationalsozialismus gleichgesetzt würden. Das sei für die jüdische Gemeinde verletzend. Kinderschuhe auszustellen bezeichnet er als "Zynismus". Weiterhin sei es nicht selten, dass auf Querdenker-Demos auch klare antisemitische Aussagen fielen und sich auch Corona-Verschwörungstheorien gegen Juden richteten.

Correctiv: gezielte Desinformationskampagnen

Der Verein "Eltern stehen auf e.V." wurde laut Information der eigenen Webseite im vergangenen Juli gegründet und ist auf verschiedenen sozialen Plattformen aktiv. Bei dem Messenger-Dienst Telegram teilen sie sich in verschiedene öffentliche Ortsgruppen. In der Ortsgruppe für Ostbrandenburg wurden auch Fotos der Kinderschuh-Aktion in Schwedt gepostet.

Auf der Vereins-webseite sind auch Vorlagen von Flyern zu finden, die die Mitglieder auf Protestaktionen verteilen sollen. Diese richten sich mit Fehlinformationen zum Teil an Kinder: Sie vermitteln in den Flyern zum Beispiel eine Gesundheitsgefahr durch Masken, erklären, dass Kinder die Testpflicht verweigern sollen, und suggerieren auch mögliche DNA-Speicherungen durch die Corona-Tests. Bei Flyern gegen die Impfkampagne wird angefügt, dass Impfen ein Eingriff in das menschliche Genom sei.

Das Recherchekollektiv "Correctiv" hat den Verein genauer untersucht und erkennt gezielte Desinformationskampagnen und stellt eine Nähe zur Querdenker-Szene fest [www.correctiv.org].

Leid der Kinder vorgeschoben

Der Rechtsextremismus-Experte Gideon Botsch macht darauf aufmerksam, dass bei den Protestaktionen auch unterschieden werde, wer diese initiiert und wer mitläuft. Oft sei es eine diffuse Mischung an Menschen, die sich dabei zusammenfindet. Für seine Kinder auf die Straßen zu gehen, da diese unter den Maßnahmen litten, sie legitim. Doch häufig werde das Leid der Kinder auch vorgeschoben. "Es muss nicht antisemitisch gemeint sein, um in der Wirkung antisemitisch empfunden zu werden", so Botsch.

Bei der jüdischen Gemeinde in Brandenburg hinterlässt die Kinderschuh-Aktion Wut. Sie fordert Verwaltungen dazu auf, in Zukunft ausgelegte Kinderschuhe sofort zu räumen und gemeinnützig zu spenden.

Sendung: Antenne Brandenburg, 25.03.2021, 14:40 Uhr

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Beitrag von Larissa Mass

41 Kommentare

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  1. 41.

    Wofür, bitte, soll das die Rechtfertigung oder Entschuldigung sein? Für mangelnden Weitblick oder Abschätzung der Auswirkung der eigenen Handlungen? Das läuft hinaus auf: ich bin do...! Ich darf das! Dem kann und muss man entgegentreten! Da gibt es gesellschaftliche Tabus!

  2. 40.

    Mir kam sofort, nur beim Lesen der Überschrift, der Gedanke an das Gedicht -Kinderschuhe aus Lublin- Um diesen Vergleich zu ziehen, braucht mir niemand etwas einzureden. Dass Kinderschuhe als Protestsymbol rein zufällig ausgewählt wurden, kann mir kein Mensch erzählen. Ich kann Helmut Krüger aus Potsdam nur zustimmen: anscheinend sind die Gräuel der NS-Zeit schon zu lange her oder diese Protestierer haben den Geschichtsunterricht in geistiger Umnachtung verfolgt. Mir wird übel bei dem Gedanken, dass solche Typen hierzulande ihre menschenverachtenden Ideologien auf diese Weise ausbreiten dürfen.

  3. 39.

    Von jedem Einzelnen kann das nicht unbedingt verlangt werden, von einer Gruppe dagegen schon. Das schwärzeste Kapitel in der deutschen Geschichte lässt sich nicht einfach ad acta legen, zumal auch die Gruppe selbst es war, die mit den herausgestellten Schuhen diese faktische Gleichsetzung vollzogen hat.

  4. 38.

    Haben Sie den Artikel gelesen? Die Argumente sind darin aufgeführt. Wenn man eine solche Aktion macht, dann muss man sich den Vorwurf des Antisemitismus gefallen lassen.

  5. 37.

    Ob sich die Kinder für ihre Eltern schämen, nach dieser Aktion? Ich bin davon überzeugt, wer will denn Eltern, die die Geschichte nicht verstanden haben.

  6. 36.

    Ja es ist ganz einfach und schnell andere in die rechte Ecke zu stellen. Das kommt davon wenn man keine vernünftigen und sachlichen Argumente hat.
    Manchmal ist eine Sache unbedacht und gut gemeint und wird von den ''Gutmenschen ''zerrissen ,egal wie gut das gemeint ist. Hauptsache den Moralischen geben

  7. 35.

    Sie sind wütend, aber Wut ist keine Meinung. Wer andere mit Schimpfworten attackiert, hat leider nicht viel zu sagen.

  8. 34.

    Sie haben das völlig richtig ausgedrückt. Viele Menschen beschuldigt man einfach rechts zu sein. Das ist nicht nur feige und voreingenommen, sondern auch blöd. Wahrscheinlich fehlen den Anklägern die richtigen Argumente.

  9. 33.

    Rathausmitarbeiter oder Schulische Angestellte wurden zu Unrecht beleidigt. Gerade die, die am meisten für die Kinder leisten, wurden symbolisch angegriffen. Die fühlen sich schlecht dabei. Warum wird nicht mal der Rechtsweg ausgeschöpft? Die fehlenden Voraussetzungen für Präsenzunterricht sind einklagbar. Bis jetzt "fliegen die Verantwortlichen unter dem Radar". Warum ist das so?

  10. 32.

    Wir leben in Deutschland. Im konkreten Fall in Brandenburg. Und da sind die Kitas doch offen, oder?

    Was spricht gegen Testen?

  11. 31.

    Das nennt man Täter-Opfer-Umkehr, was sie da gerade erläutern, jedoch gehören Sie nicht zu den Opfern.

  12. 30.

    Sie verdrehen gerade einiges. Der Vergleich kommt nicht von jenen, die ihn kritisieren, sondern von jenen, die diese Aktion unterstützen. Jene müssen sie fragen.

  13. 29.

    Können Sie nicht verstehen und genau deshalb muss man das immer und immer wieder deutlich machen, Hass und der Missbrauch von Geschichte zulasten einer betroffenen Minderheit, die Millionen Opfer zu betrauern hat, sollte längst ausgestorben sein.

  14. 28.

    Das ist ihre Auslegung, sicher wollen sie verharmlosen, aber da gibt es nichts misszuverstehen.

  15. 27.

    Zitat: "Niemand hat die Absicht, den Holocaust hier als Vergleich zu missbrauchen, darauf kommt es an, nicht auf pure Symbole."

    Sind Sie sich da soo sicher, Steffen? Gerade die Berge an Schuhen, der in den KZ ermordeten Kinder, haben sich tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben. Und da diese "Querdenker" or what so ever schon in der Vergangenheit mit "Nazivergleichen" aufgefallen sind - ich erinnere nur mal an die "Nicht geimpft-Judensterne", "Jana - Sophie Scholl - aus Kassel" oder das "Anne Frank-Kind" in Karlsruhe -, scheint mir zumindest ein dahingehender Verdacht nicht ganz unbegründet.

    https://www.ndr.de/geschichte/auschwitz_und_ich/Ein-Ort-in-Auschwitz-Kinderschuhe-in-Block-5,auschwitzkinderschuhe101.html

  16. 26.

    Ja liebe Kommentator*innen, die ihr die Ini verteidigt, das ist ein sehr schmerzhaftes Bild. Ja, es ist symbolhaft und Ja, es ist absichtlich gewählt. Den Vergleich mit dem Holocaust stellt diese Initative selbst her. Und das ist die eigentliche Perversion!

    Ja, die jüdische Gemeinde hat zurecht Kritik an diesem Bild geübt. An dieser Stelle hier meine volle Solidarität. Ich bin unabhängig und selbstständig ebenfalls zu dem Schluss gelangt, wie die jüdische Gemeinde. Wie? Politische und historische Bildung! Mit Menschen die sich solcher Symbolik bedienen muss man nicht mehr reden. Schämen sollten die sich. Ja, schämen.

  17. 25.

    Wehret den Anfängen. Ich finde Ihre Rhetorik der Verharmlosung äußerst bedenklich. Gab es auch damals in dieser Form.

  18. 24.

    Ja ,können sie. Allerdings nur, wenn sie das ohne Nazis tun. Und sorry, die haben das mit den Schuhen nicht zufällig ausgewählt. Die "Initative" besorgter Eltern, hat diese Symbolik mit voller Absicht ausgewählt. Also durchaus berechtigt, diese Kritik.

  19. 23.

    Dass solche Initiativen kaum bis gar nicht mit den sog. Mainstreammedien reden oder auf deren Anfragen antworten, haben Sie aber schon mitbekommen, Christoph?

  20. 22.

    Zitat aus dem Correctiv Artikel: "In einem Youtube-Video sagte Cristin Burg von „Eltern stehen auf“, es sei ihr „schnuppe“, ob ein Reichsbürger oder ein Rechtsradikaler neben ihr stehe. „In dem Moment, wo diese Menschen sich bereit erklären, für die Kinder auf die Straße zu gehen . . . ist mir das egal, ob die irgend ‘ne Gesinnung haben, solange sie die für sich behalten.“


    Eine für mich doch recht seltsam klingende Aussage von immerhin einer der Hauptinitiator*innen dieser Initiative. Denn dass nicht wenige Rechtsextremisten diese sog. Anti-Corona-Proteste dazu nutzen, ihre demokratiefeindlichen Ansichten in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, dürfe eigentlich bekannt sein.
    Früher setzte die NPD bspw. auf Slogans wie "Todesstrafe für Kinderschänder", heute gehen die von neurechten Ideologen geschulten Extremisten geschickter vor. Die Strategie dahinter, die Sorge um "unsere Kinder" für die Verbreitung ihrer Ideologie zu nutzen, ist aber die selbe.

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