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Quelle: dpa

Kinoproduktion zu Corona-Zeiten

Filmleute kämpfen um ihre Existenz

Bis zu 400 Mails am Tag, Schaltkonferenzen und dann per Zug nach Berlin zu Verhandlungen über die Zukunft des Studios Babelsberg. Rechtsanwalt Schmidt-Hug ist am Limit. Seine Kanzlei ist Anlaufpunkt für viele Filmschaffende. Von Ansgar Hocke

Stefan Schmidt-Hug gilt als Instanz unter Deutschlands Filmschaffenden. Ein engagierter und filmbegeisterter Anwalt, der seinesgleichen sucht. In den vergangenen Jahren hat er sich viel um die soziale Absicherung in der Filmbranche gekümmert. Viele Schauspieler, Regisseure, Drehbuchautoren, Kameraleute, Kostüm- und Maskenbildner verdanken ihm, dass sie dem freien Markt nicht mehr ganz so schutzlos ausgeliefert sind. Jetzt ist er wieder für sie im Einsatz, vertritt Hunderte von ihnen, weil Filmproduktionen angesichts der Corona-Pandemie eingestellt und ihre Verträge gekündigt werden.

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Retten, was zu retten ist

Der Anwalt versucht zu retten, was zu retten ist, aber er kommt nicht nach. Die Anfragen und Aufträge werden täglich mehr, er kann sie kaum noch abarbeiten. Es ist ein ungleicher Kampf: einzelne Filmschaffende gegen große Produktionsgesellschaften. Für viele freischaffende Filmleute geht es um ihre Existenz.

In den vergangen zehn Tagen erfolgte Absage auf Absage. Die Filmbranche liegt am Boden, denn wegen der Kontaktverbote und der vorgeschriebenen sozialen Distanzierung darf nicht gedreht werden. "Einen Kino- oder Fernsehfilm wird es in diesem Jahr nicht mehr geben", meint Schmidt-Hug.

Zwar versuchen Kulturpolitiker, die Filmwirtschaft und die öffentlich-rechtlichen Sender einen Rettungsschirm aufzubauen, aber ob es gelingt, die Filmschaffenden zu schützen, bleibt abzuwarten. Die meisten Cutter, Regieassistenten, Tonassistenten und viele andere Gewerke am Set haben meist nur befristete Verträge und zählen nicht als Soloselbständige. Darum haben sie bisland auch keinen Anspruch auf staatliche Zuschüsse. Auch Kurzarbeitergeld kommt für viele von ihnen nicht in Frage, denn viele Produktionen wurden einfach gestoppt und die Beschäftigten nach Hause geschickt.

Was wird bloß aus uns?

Die Betroffenen hangeln sich von Vertrag zu Vertrag, der oft nicht länger als sechs Monate dauert. Über die aktuellen Folgen haben die Verantwortlichen in einigen Produktionsfirmen offenbar nicht nachgedacht, so Steffen Schmidt-Hug gegenüber rbb24 Recherche. "Mit voreiligen Kündigungen sägen sich die Firmen nicht nur den Ast ab, auf dem ihre Mitarbeiter sitzen, sondern auch den, auf dem sie selbst sitzen."

Die Hiobsbotschaften häufen sich. Ob kleine Studios oder Kameraleute, sie alle stehen vor dem Ruin, wenn Unterstützung ausbleibt. Täglich erreichen den Anwalt die Fragen der Künstler. Alle wollen sie Hilfe: Was mache ich bei einer Ankündigung über eine Verschiebung des Filmprojektes? Was mache ich bei einem "Angebot" für einen Aufhebungs- oder Änderungsvertrag? Was mache ich, wenn ich einen freiberuflichen Dienstvertrag habe?

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Filmbranche in Berlin und Brandenburg in Gefahr

Mittlerweile vertritt der Münchener Jurist eine Reihe von gekündigten Filmleuten, die in Berlin und Brandenburg für große Produktionsfirmen tätig waren. Bei einer Firma sollte Mitte April Drehbeginn sein, das Medienboard Berlin-Brandenburg hatte bereits eine halbe Million Euro zugesagt. Gut 200 seiner Mandanten waren am Standort Potsdam-Babelsberg beschäftigt. Nach Angaben des Anwalts erhielt jeder von ihnen eine außerordentliche Kündigung. Nun wird mit dem Arbeitgeber verhandelt.

Die Anfragen des rbb bei den Produktionsfirmen blieben bis zum Redaktionsschluss unbeantwortet. Die Begründung dafür lautete, dass man sich dort erst noch mit den Partner in Übersee abstimmen müsse. Der Geschäftsführer der Studio Babelsberg-Motion Pictures GmbH, Carl L. Woebcken, erklärte in 3sat: "Im Moment hoffen wir alle, dass wir in sechs bis acht Wochen wieder funktionsbereit sind und auch die Regeln festgelegt sind, unter denen man wieder an die Arbeit gehen kann. Wenn das nicht der Fall sein sollte, kann das auch für uns existenzbedrohend werden." Beschäftigte der Studios in Babelsberg haben sich inzwischen zusammengeschlossen und wollen unter dem Motto: "Wir sind Babelsberg" um ihren Arbeitsplatz kämpfen.

Böses Erwachen für den deutschen Film

Die große Filmunternehmen oder Unterhaltungskonzerne sind dabei nur die eine Seite der Branche, freischaffende Regisseure, Kameraleute, Visagisten, Drehbuchautoren, kleine Schnittstudios die andere: Sie bilden das Rückgrat der Filmindustrie und müssten geschützt werden, um die Zukunft der Branche zu sichern, erklärt Schmidt-Hug: "Wenn dieser Schutz nicht gelingt, werden wir beim Wiederaufwachen feststellen müssen, dass noch viel mehr Kolleginnen als bisher die Branche verlassen haben, weil sie erfahren haben, wie prekär tatsächlich ihre Arbeit in der Filmbranche ist, im Gegensatz zu allen anderen Branchen."

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Die ARD erklärte, dass die Kreativwirtschaft die zusätzlichen Kosten durch Corona-bedingte Produktionsstopps nicht allein Schultern muss. "Wir wollen solidarisch sein", sagte WDR Intendant Tom Buhrow. Zunächst wolle man alle Produktionsfirmen dazu animieren, alle Möglichkeiten, die der Staat in der derzeitigen Situation bietet, in Anspruch zu nehmen. Die Mehrkosten, auf denen die Produzenten danach noch immer sitzen bleiben, werde man bis zu maximal 50 Prozent übernehmen. Auch das ZDF reagierte und kündigte an, die Hälfte der Mehrkosten zu tragen. Und der Streamingdienst Netflix setzte einen 100 Millionen US-Dollar Hilfsfonds auf, der Produktionsfirmen zu Gute kommen soll, die vorerst nicht weiterarbeiten können. Das Geld soll an Schauspieler und Crew-Mitglieder fließen, die nun erst einmal keine Arbeit haben.

Hilfe muss bei den Menschen ankommen

Für den Bund versprach die Kulturstaatsministerin Monika Grütters drei "Sofortmaßnahmen": Bei geförderten Projekten solle auf Rückforderungen "so weit wie möglich" verzichtet werden. Schon bestehende Programme wolle sie "so schärfen und einsetzen, dass die Maßnahmen sowohl Kultureinrichtungen als auch (…) in Not geratenen Künstlerinnen und Künstlern" und anderen Freiberuflern in der Kultur- und Kreativwirtschaft zu Gute kommen. Ausserdem wolle Grütters sich dafür verwenden, dass "zusätzliche Mittel für Kultur und Medien als Nothilfe zur Verfügung" gestellt werden, um die bereits entstandenen und zukünftigen Belastungen zu mindern.

Anwalt Schmidt-Hug fordert, dass die Hilfe nicht nur bei den Produktionsfirmen, sondern bei den Menschen ankommt, ganz nach der Devise: "Hilfe nur für die, die Hilfe gewähren". Das sei gerade bei den Filmschaffenden wichtig, da diese zumeist nur im Sommer arbeiten und mit diesen Einnahmen über den Winter kommen müssen. Und Anwalt Schmidt-Hug ergänzt: "Jetzt geht es ums Überwintern im Sommer."

Beitrag von Ansgar Hocke, rbb24 Recherche

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