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Video: Abendschau | 22.02.2018 | Norbert Siegmund | Quelle: dpa/Marcel Kusch

Entscheidung nächste Woche

Urteil zu Diesel-Fahrverboten verschoben

Das Urteil zu Diesel-Fahrverboten in deutschen Städten lässt noch auf sich warten. Die Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig wollen sich noch gründlich beraten, wie es hieß. Berlins Umweltsenatorin fordert unabhängig vom Urteil eine Nachrüstung der Diesel-Pkw.

Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verkündet sein Urteil zur Rechtmäßigkeit von Diesel-Fahrverboten in deutschen Städten erst in der kommenden Woche.

Der Senat wolle die vorliegenden Fragen "gründlich beraten", daher werde an diesem Donnerstag keine Entscheidung mehr fallen, sagte der Vorsitzende Richter in Leipzig. Das Urteil wird demnach am Dienstag, 27. Februar, verkündet.

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Das sogenannte Rechtsgespräch habe deutlich länger gedauert, als vorgesehen, hieß es weiter. Darin ging es zunächst um Fragen des EU-Rechts, Bundesimmissionsschutzgesetzes sowie der Straßenverkehrsordnung. Erörtert wurde auch, ob mögliche Fahrverbote verhältnismäßig wären oder zu Lasten von Diesel-Fahrer gingen, die dafür nichts könnten. Außerdem wurde die Frage beleuchtet, ob Fahrverbote in Städten überhaupt kontrollierbar wären.

Urteil könnte Folgen für fünf Millionen Diesel-Besitzer haben

Die Richter verhandeln darüber, ob deutsche Städte berechtigt sind, Fahrverbote für Diesel-Autos zu erlassen - oder ob dies Sache des Bundes wäre. Der Vorsitzende Richter sagte, es gehe in der Verhandlung nicht darum, die vielfältige Problematik des Diesel zu betrachten. Seit Jahren werden in vielen Städten die Grenzwerte für Stickoxide deutlich überschritten, und Dieselfahrzeuge gelten als Hauptquelle für die giftigen Luftschadstoffe. Nach Angaben des Umweltbundesamtes tragen sie rund 60 Prozent zu der Belastung bei.

Das Urteil könnte bundesweit Folgen für rund fünf Millionen Besitzer von Diesel-Fahrzeugen haben. Denn in Berlin und 60 anderen Städten klagt die Deutsche Umwelthilfe (DUH) auf Fahrverbote und hat in Düsseldorf und Stuttgart bereits Erfolg damit gehabt. Die beiden Großstädte hätten Fahrverbote bereits einführen müssen, legten jedoch Revision ein. Über die wird nun in Leipzig entschieden.

Umweltsenatorin Günther fordert Nachrüstung

Berlins Umweltsenatorin Regine Günther (parteilos) hofft auf baldige rechtliche Klarheit über die Frage von Diesel-Fahrverboten. Der "mit Abstand beste Weg, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen", wäre aus Sicht Günthers eine Nachrüstung von Diesel-Pkw mit Hardware - auf Kosten der Autokonzerne und Unabhängig von der Entscheidung in Leipzig.

Das sehen auch Berlin Grünen-Fraktionschefinnen Antje Kapek und Silke Gebel so. "Um die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, muss die Bundesregierung unabhängig vom Ausgang des Verfahrens die Autoindustrie zur kostenlosen Nachrüstung von manipulierten Dreckschleudern verpflichten und die Blaue Plakette einführen", forderten sie. Die Automobilhersteller lehnen eine Nachrüstung bisher ab.

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Warum sind Stickoxide so ein Problem?

Im vergangenen Jahr wurden die EU-weit gültigen Grenzwerte von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter für das Reizgas Stickoxid in 70 deutschen Kommunen überschritten. Gemeinsame Messungen von TU Berlin und rbb|24 hatten ergeben, dass die Grenzwerte in Berlin noch flächendeckender und stärker überschritten werden als offiziell bekannt.  Schon die offiziellen Messdaten zeigen eine deutliche Überschreitung der Grenzwerte von bis zu 50 Prozent. Diesel-Fahrzeuge sind die Hauptquelle für Stickoxide in den Städten.

Für die Gesundheit vieler Berliner ist das ein großes Problem. Denn laut Weltgesundheitsorganisation erkranken Kinder, die an Stickoxid-belasteten Straßen wohnen, mit höherer Wahrscheinlichkeit an Asthma. Wer an einer solchen verkehrsreichen Straßen lebt, bekommt zudem häufiger eine Lungen- oder eine Herz-Kreislauferkrankung als jemand, der im Grünen wohnt. Laut europäischer Umweltagentur starben im Jahr 2016 in Deutschland rund 13.000 Menschen vorzeitig, weil die Stickoxid-Werte zu hoch sind.

Über welche Klagen verhandelt das Bundesverwaltungsgericht?

Die Deutsche Umwelthilfe hatte Klagen auf Einhaltung der Grenzwerte für Stickoxid gegen die Städte Düsseldorf und Stuttgart gewonnen. Die Gerichte urteilten, dass die Städte Fahrverbote für schmutzige Dieselautos in Betracht ziehen müssen, weil alle anderen Maßnahmen nicht ausreichten, um die EU-weit vorgeschriebenen Grenzwerte einzuhalten.

Die Landesregierungen von Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen legten Revision gegen das Urteil ein. Sie halten es für rechtlich unzulässig, dass Städte selbst Fahrverbote für Millionen von Diesel-Autobesitzer verhängen können und wollen den Bund hierbei stärker in die Pflicht nehmen.

Das Bundesverwaltungsgericht wird darüber verhandeln und möglicherweise auch gleich am Donnerstag darüber entscheiden, ob Fahrverbote für Dieselfahrzeuge in besonders belasteten deutschen Städten rechtlich zulässig sind. Es werden aber noch keine konkreten Fahrverbote angeordnet.

Welche Auswirkungen könnte das Urteil haben?

Wenn die Richter die beiden Urteile bestätigen, müssten Düsseldorf und Stuttgart Fahrverbote einführen. "Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Bundesrichter sektorale Fahrverbote erlauben werden", sagt Peter Kremer rbb|24. Der Rechtsanwalt hat im Auftrag der Deutschen Umwelthilfe das Land Berlin verklagt.

Sektoral bedeutet, dass Fahrverbote an besonders belasteten Straßen verhängt werden können. Das hatten die Richter in Düsseldorf verfügt. In Stuttgart gingen die Richter noch weiter und schlugen vor, das alle Diesel-Autos, die nicht die Abgasnorm Euro 6 erfüllen, nicht mehr in die bestehende Umweltzone einfahren dürfen.

Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat eine deutschlandweite Signalwirkung. Sobald die schriftliche Urteilsbegründung vorliegt, werden auch in vielen anderen deutschen Städten Klagen der Deutschen Umwelthilfe über Fahrverbote verhandelt. Die Verhandlung in Berlin erwartet DUH-Anwalt Kremer frühestens im Mai.   

Was würden streckenbezogene Fahrverbote in Berlin bedeuten?

Fahrverbote könnten je nach Stadt unterschiedlich ausfallen und zeitlich auf bestimmte Strecken und Stadtzonen begrenzt sein, in denen die Grenzwerte am stärksten überschritten werden.

Erlauben die Bundesrichter streckenbezogene, aber keine flächendeckenden Fahrverbote, würde die Umsetzung in Berlin große Probleme nach sich ziehen. Denn bei seiner eigenen Messreihe hatte der rbb an 73 Standorten in der Stadt zu hohe Werte gemessen.

Schwer vorstellbar, wie alle diese Straßen gesperrt werden sollen. Und noch ein Problem kommt hinzu: "Wenn der Senat die Leipziger Straße für Diesel-Autos sperrt, würden die Messwerte Unter den Linden in die Höhe schießen. Eine Klagewelle von Anwohnern, die jetzt mehr Abgase einatmen müssen, könnte die Folge sein", sagt Umwelthilfe-Anwalt Peter Kremer.

Wie viele Diesel-Besitzer in Berlin und Brandenburg wären betroffen?

Berliner und Brandenburger besaßen laut Kraftfahrt-Bundesamt im Januar 2017 - neuere Zahlen sind noch nicht verfügbar -  insgesamt 689.000 Dieselautos.

Nur jedes fünfte hat die moderne Abgasnorm Euro 6. Alle anderen wären potentiell von Fahrverboten betroffen - darunter auch viele Lieferanten, Handwerker und natürlich Pendler.

Wobei 140.000 Berliner und Brandenburger so alte Diesel-Autos der Schadstoffklassen 1 bis 3 fahren, dass sie schon jetzt nicht mehr in die bestehende Berliner Umweltzone einfahren dürfen.

 

Welche Lösungsansätze bietet die Politik?

Der Bund will Fahrverbote unbedingt vermeiden. Die Regierung hat deshalb ein Milliardenprogramm "Saubere Luft" auf den Weg gebracht. Damit sollen Kommunen unterstützt werden, z.B. bei einer besseren Taktung im ÖPNV oder bei einer Umrüstung von Bussen und Taxen. Zuletzt kursierte auch ein Vorschlag den Nahverkehr ganz kostenlos anzubieten.

Umweltverbände kritisieren jedoch die mangelnde Wirksamkeit der Maßnahmen. Gemeinsam mit den Ländern fordern sie vom Bund die Einführung einer "blauen Plakette". Die Plakette würden moderne Wagen mit der Abgasnorm 6 bekommen, sie wären von Fahrverboten ausgenommen. Mit dieser bundesweit einheitlichen Kennzeichnung könnte ein Flickenteppich vieler unterschiedlicher Regeln verhindert werden.

Die Bundesregierung lehnt die "blaue Plakette" bisher ab, weil nur wenige Dieselautos die neueste Abgasnorm erfüllen. Der geschäftsführende Bundesverkehrsminister Christian Schmidt (CSU) spricht im Zusammenhang mit der Plakette von einer "kalten Enteignung von Millionen von Diesel-Besitzern".

Die Kommunen fühlen sich von der Bundesregierung alleingelassen: Die Städte hätten die Schwierigkeiten, aber keine Handhabe, sagte Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther im Dezember im rbb. Nur der Bund könne die Hersteller zu Hard- und Software-Updates verpflichten, und nur der Bund könne durch die Einführung der "blauen Plakette" Fahrverbote durchsetzen, ohne dass es Klagewellen gibt. Bisher setzt Berlin im Kampf gegen hohe Stickoxid-Werte u.a. auf den Ausbau von E-Mobilität und Tempolimits, im Januar hat der Senat einen 10-Punkte-Plan mit Maßnahmen gegen Luftverschmutzung vorgelegt.

Lassen sich Fahrverbote noch vermeiden?

Nach Einschätzung des Umweltbundesamts gibt es nur eine Lösung, mit der Grenzwerte flächendeckend eingehalten und Fahrverbote vermieden werden können: bundesweit fünf Millionen Diesel-Autos müssten mit einem sogenannten SCR-Filter nachgerüstet werden. Die Kosten würden pro Auto rund 1.500 Euro betragen.

Doch noch sind viele Fragen dazu ungelöst - vor allem auch, ob die Autokonzerne, die Steuerzahler - oder doch die Betroffenen selbst die Kosten für die Nachrüstung tragen müssen. Die Deutsche Umwelthilfe schätzt die Kosten für eine flächendeckende Nachrüstung auf zehn Milliarden Euro. Ein neuer Verkehrsminister, der wahrscheinlich wieder von der CSU gestellt wird, müsste sich also gewaltig mit den Autokonzernen anlegen.

Im Koalitionsvertrag von Union und SPD steht dazu, die neue Bundesregierung - wenn die SPD-Mitglieder ihr denn grünes Licht geben - wolle im Jahr 2018 über weitere Schritte zu NOx-Reduzierung, "auch der technischen Nachrüstung" entscheiden. Einschränkend heißt es jedoch: "soweit technisch möglich und wirtschaftlich vertretbar".

Sendung: Inforadio, 22.02.2018, 16.00 Uhr

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